Stichwort: Literatur der DDR Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband 1979

16. November 2009, 09:12 Uhr

Am 7. Juni 1979 schloss der Schriftstellerverband unter dem Vorsitz von Hermann Kant (seit 1978) im Roten Rathaus in Berlin Kurt Bartsch, Adolf Endler, Stefan Heym, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Poche, Klaus Schlesinger, Rolf Schneider, Dieter Schubert und Joachim Seyppel aus dem Verband aus. Dieser beispiellosen Reglementierung ging ein offener Brief an Honecker voraus, der in den Westmedien abgedruckt wurde. In dem Brief hatten die Unterzeichner Bartsch, Becker, Endler, Loest, Poche, Schlesinger, Schubert und Stade ihre Sorge verdeutlicht, dass die Staatsorgane immer häufiger engagierte, kritische Schriftsteller diffamierten und zu kriminalisieren versuchten.

Im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender,
mit wachsender Sorge verfolgen wir die Entwicklung unserer Kulturpolitik. Immer häufiger wird versucht, engagierte, kritische Schriftsteller zu diffamieren, mundtot zu machen, oder, wie unseren Kollegen Stefan Heym, strafrechtlich zu verfolgen. Der öffentliche Meinungsstreit findet nicht statt. Durch die Kopplung von Zensur und Strafgesetzen soll das Erscheinen kritischer Werke verhindert werden. Wir sind der Auffassung, dass der Sozialismus sich vor aller Öffentlichkeit vollzieht; er ist keine geheime Verschlusssache. Über seine Erfolge und Niederlagen, d.h. über unsere Erfahrungen zu schreiben, halten wir für unsere Pflicht und unser Recht.

Wir sind gegen die willkürliche Anwendung von Gesetzen; Probleme unserer Kulturpolitik sind mit Strafverfahren nicht zu lösen. Und wenn ein Schriftsteller sich öffentlich die Frage gefallen lassen muss (siehe Sonntag 19/79), warum er eigentlich noch in der DDR bleiben wolle, halten wir das für einen unerträglichen Zustand. Wir bitten Sie, sich unserer Sorge anzunehmen.

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Zur Verhärtung der Fronten hatte im Vorfeld sicherlich auch Dieter Nolls offener Brief an Honecker im "Neuen Deutschland" am 22. Mai 1979 geführt, in dem er Heym, Seyppel und Schneider als "kaputte Typen", die "emsig mit dem Klassenfeind kooperieren", verunglimpfte.

Bei den Verfassern des Protestbriefes an Honecker fehlten beim Ausschlussverfahren die Namen Becker, Stade und Loest. Becker und Stade hatten bereits 1977 bzw. 1978 den Schriftstellerverband verlassen, und Loest gehörte dem Leipziger Verband an. Er trat 1980 aus dem Verband aus und verließ ein Jahr später die DDR. Deshalb ging es im Ausschlussverfahren um Bartsch, Endler, Poche, Schlesinger und Schubert als Verfasser des Briefes, sowie um Heym, Jakobs, Schneider und Seyppel, die wegen Veröffentlichungen im Westen in Misskredit standen.

Inszenierung eines Tribunals

Im Zusammenwirken von Parteiführung, Staatssicherheit und Kulturministerium inszenierte der Berliner Bezirksvorstand des Schriftstellerverbandes ein Tribunal. Der Ausschluss wurde durch eine Sitzung des Präsidiums des Verbandes am 23. Mai sowie durch die Tagung des Zentralvorstandes am 30. Mai 1979 vorbereitet. Auf der Vorstandssitzung am 30. Mai gab Hermann Kant den scharfen Ton der Mitgliederversammlung schon vor. Die von Heym ins Gespräch gebrachte Zensur bezeichnete Kant als "die staatliche Lenkung und Planung des Verlagswesens". Seine Rede war am nächsten Tag im "Neuen Deutschland" nachzulesen.

Doch ging es auf der Mitgliederversammlung nicht um die Probleme des Schriftstellerverbandes, sondern um Partei- und Staatsangelegenheiten. Kant verunglimpfte die beschuldigten Autoren, "gegen die DDR und SED und deren Kulturpolitik und Rechtsordnung in verleumderischer Weise aufgetreten zu sein" und "sich in den Dienst der antikommunistischen Hetze gegen die DDR und den Sozialismus gestellt" zu haben. Doch die Angegriffenen gingen nicht zu der früher üblichen Übung der Selbstkritik über, sondern wehrten sich.

Stefan Heym: Worum geht es? Nicht um Devisen oder ähnliches. Es geht um die Literatur. Der Schriftstellerverband, dafür ist er eigentlich da, müsste sich auf die Seite derer stellen, die sich bemühen, unsere Welt in ihrer Widersprüchlichkeit darzustellen und verständlich zu machen. Stattdessen lässt er Resolutionen drucken, die dem Apparat bescheinigen, wie Recht er hat, gerade diesen Teil der Literatur des Landes zu unterdrücken.

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Die Abstimmung war eine reine Formsache, öffentlich und nicht geheim, um später die Gegenstimmen zur Rechenschaft ziehen zu können. 80 Prozent der 400 Anwesenden stimmten für den Ausschluss. Dabei muss man berücksichtigen, dass der überwiegende Teil der Anwesenden per Parteiauftrag delegiert worden waren. Zudem wurden viele Wortmeldungen gegen die Aktion des Verbandes einfach nicht berücksichtigt, und viele Autoren hatten sich in Briefen gegen den Ausschluss ausgesprochen.

Dass diese Machtdemonstration weder die Probleme der Parteiführung , noch die des Schriftstellerverbandes löste, sondern weiter verschärfte, zeigte sich vor allem in dem Exodus an Schriftstellern, die das Land verließen.