Interview Ohne Presseausweis zum Konzert - der Fotograf Harald Hauswald
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06. November 2018, 10:45 Uhr
Harald Hauswald hatte die internationale Musikstars, die in der DDR Konzerte geben durften, vor seiner Kamera. Aber auch die Fans und ihre Emotionen hat Hauswald auf seinen legendären Konzertfotos festgehalten.
Herr Hauswald, Sie hatten zu DDR-Zeiten nicht mal einen Presseausweis, weil die DDR-Obrigkeit ihnen diesen verboten hatte. Wie sind sie auf all diese Konzerte gekommen?
Der Tontechniker von der FDJ war in meine Freundin verliebt und daher hat er mir immer Pressekarten zugesteckt. Dafür hat er allerdings immer wieder vom FDJ-Obersten einen Anraunzer bekommen. Trotzdem habe ich immer wieder von ihm Karten bekommen. Es gab eine einzige Ausnahme: Für Bruce Springsteen hatte ich einen Presseausweis von der ARD, um die Bilder zu machen, die von der Kamera nicht eingefangen werden konnten.
Warum haben Sie auch das Publikum fotografiert und wie haben Sie die Fans bei den Konzerten wahrgenommen?
Mich interessiert immer die Reaktion von Menschen, besonders wenn Ektase rüber kommt. Vom Fotografengraben war es bombig, die erste Reihe zu sehen. Die waren alle hellauf begeistert, endlich mal ein Ventil, endlich mal Rock-Musik richtig live erleben! Die Konzerte sind fast explodiert. Bei Springsteen waren offiziell 160.000 Zuschauer zugelassen aber inoffiziell waren es bestimmt 220.000, weil die Menschen hinten die Zäune eingerannt haben. Es war ein unglaublicher Moment als die vielen Jugendliche "Born in the USA" mitgesungen haben und das ein Jahr vor Mauerfall. Ich hatte Gänsehaut!
Das hört sich nach Ekstase an! Wie haben sie selbst diese Konzerten erlebt?
Genauso wie das Publikum, kein Unterschied! Einmal bei Fischer-Z, einer Band, die rhythmische-englischen Folkrock spielen, da wippten alle Teleobjektive von den Fotografen mit. Bei mir natürlich auch.
Wer hat sie am meisten bei all den Konzerten beeindruckt und was war ihr Highlight?
Bruce Springsteen! Die Stimmung war gigantisch, wenn da 200.000 Menschen mitmachen und riesengroße Ami-Fahnen schwenken, das ist unglaublich. Wenn die mit den Fahnen über den Alexanderplatz gerannt wären, das wären zwei Jahre Knast gewesen. Springsteen selbst hat vor einiger Zeit bei einem Konzert in Deutschland gesagt, das sei sein bestes Konzert gewesen. Wegen des Geldes haben sie es nicht gemacht. Die Künstler wurden in Naturalien bezahlt, wie mit Meißner Porzellan oder einer Segeljacht.
Bob Dylan war auch gigantisch, obwohl er voll besoffen war. Der war so betrunken, das er drei Titel gar nicht erst gespielt hat, die auf der Liste standen. Das hat mir ein Redakteur von der Wochenzeitung "Sonntag" gesteckt. Zugabe hat er auch keine gemacht. Der wusste glaube ich, nicht mal wo er gerade auftritt. Dylan sollte eigentlich in der Waldbühne in West-Berlin spielen und dann wurden zu wenige Karten verkauft. Da hat die FDJ das Konzert abgekauft und er hat, glaube ich eine Segeljacht dafür bekommen.
Durften Sie jedes Bild aufnehmen oder gab es Kontrollen?
Wenn man einmal drin war, war es kein Problem, da durfte man das ganze Konzert durch fotografieren. Erst nach dem Mauerfall durfte man bei einigen nur noch drei Titel fotografieren, wie es heute üblich ist. Bei David Bowie war es so: Zuerst ist er rumgerast wie ein Blöder, aber leider bei wenig Licht. Aber Titel vier, als wir nicht mehr fotografieren durften, da hat er sich total verändert. Da ist er auf einmal zu einer Salzsäule erstarrt.
Gab es einen Unterschied zwischen den Konzerten, wenn Ost-oder Westmusiker spielten?
Die allgemeine Ausrichtung der Rock-Jugend war Richtung West-Musik. Am Anfang hat die DDR richtig gewettert gegen alles was aus dem Westen kam und hat versucht dagegen vorzugehen zum Beispiel mit der Singe-Bewegung. Aber die Ostbands haben zum Teil auch Westmusik nachgespielt. Dann wurde von der DDR die 60/40 Regel eingeführt, so dass bei Konzerten und im Radio mindestens 60 Prozent Ost-Musik gespielt werden mussten. Aber mit der Westmusik strömte das West-Lebensgefühl rüber. "Born to be wild" von Steppenwolf, "Child in Time" von Deep Purple – das Lebensgefühl war der Drang nach Freiheit. Ostmusiker haben sich Mühe gegeben, "Am Fenster" das waren große Hits, aber es ist nicht an das was aus Westen kam rangekommen.
Sie sind bekannt für Bilder, die ein kritisches Bild der DDR zeichnen. Welche Kritik verbirgt sich hinter den Bildern bei den Konzerten?
Ich denke das einzige Foto ist das, auf dem zwei FDJ-ler bei einem Springsteen Konzert in der ersten Reihe zu sehen sind und dabei abgehen, obwohl sie aufpassen sollten. Damit habe ich die Ordnungsmacht veräppelt. Der Rest der Bilder ist eigentlich sehr zeitlos und bis heute aktuell. Gut, einige Losungen der FDJ sind auch zu sehen wie "Friedenskonzert für Nicaragua". Das hat keinen so wirklich interessiert. Heute würde an der Stelle Werbung hängen.
Wieviel haben die Konzerte zur politischen Wende beigetragen?
Ich würde nicht sagen, dass sie zur politischen Wende in dem Sinne beigetragen haben. Sondern plötzlich wurden Gefühle zugelassen, für etwas was bis dato verboten war, nämlich Westmusik zu mögen. Und das wurde plötzlich auch noch vom Staat zugelassen! Man hatte das Gefühl, jetzt ist auf einmal eine Freiheit da, die einen ermutigt hat, auch politisch tätig zu werden. Ein kleiner Auslöser für die Wende mag da schon drin gesteckt haben. Wenn etwas streng verboten war und jetzt plötzlich akzeptiert wurde, dann hat man das Gefühl: Wir haben uns Freiheit erobert! Die FDJ hatte gemerkt, dass der Drang nach der Westmusik da ist und wollte mit den Konzerten ein Ventil aufbauen. Aber wenn man den kleinen Finger reicht, wollen viele die ganze Hand.
Der Redakteur Alexander Osang behauptet im Spiegel, dass die Konzerte mehr dazu beigetragen haben, dass die Wende friedlich verlaufen ist, als Kohl. Stimmen Sie zu?
Das ist durchaus möglich, weil da schon so eine Art Freiheitsdrang war, der gedeckelt wurde. Wenn der Freiheitsdrang einmal friedlich befriedigt wurde, dann kann es auch friedlich weitergehen.
Harald Hauswald, geboren in Radebeul, ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und einer der bedeutendsten Fotochronisten der späten DDR. Der Fotograf lebt in Berlin und ist Mitbegründer der international bekannten Ostkreuz-Fotoagentur. In seinem neuen Buch "Like a Rolling Stone" (Jaron Verlag) zeigt er seine Fotografien bei Konzerten von Weststars im Osten.
Über dieses Thema berichtete der MDR am 14.2.2018 um 21:45 Uhr in MDR aktuell