Zur Geschichte des DOK-Festivals in Leipzig Die Sechziger | Filme der Welt für den Frieden der Welt
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25. Oktober 2019, 16:03 Uhr
Wie entwickelt sich das Leipziger Filmfest in den 1960er-Jahren, als DEFA-Filme bei Festivals im Westen ausgeladen oder gar verboten werden? Und wie kommt das Festival schließlich an sein Symbol, die Taube?
1960 - Neustart gegen Ausgrenzung
Nach dreijähriger Pause startet das Leipziger Festival unter dem Namen "Internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche" neu. Das ist auch eine Reaktion auf die Ausgrenzung im Westen. Bei den Festivals in Oberhausen und Mannheim werden DEFA-Produktionen ausgeladen, für verschiedene Filme gibt es im Westen Aufführungsverbote. Gefragt ist Improvisationstalent. Zu Beginn des Festivals stehen lediglich zwei Programme fest, Hotelbetten fehlen, von offizieller Seite gibt es nur wenig Unterstützung.
1961 - Politische Einflussnahme
Die SED wirft ein Auge auf das Festival, eine Parteigruppe sorgt vor Ort für Linientreue. Obwohl das internationale Festkomitee der Veranstalter ist, muss das Programm den Verantwortlichen beim Zentralkomitee der SED vorgelegt werden. Es beeinflusst die Zusammensetzung der Jury und das Programm. Mit dem Festival will die Partei Weltoffenheit demonstrieren, aber auch die staatliche Eigenständigkeit betonen und ein Gegengewicht zu den großen westdeutschen Festivals etablieren.
1962 - Die Friedenstaube kommt nach Leipzig
"Selbstverständlich!" ruft Pablo Picasso aus, als er gefragt wird, ob seine Taube von nun an ständiges Symbol des Festivals werden darf. So werden von nun an die Hauptpreise "Goldene" und "Silberne Tauben" genannt. Picasso hatte sie ursprünglich für die Pariser Weltfriedenskonferenz 1947 entworfen. In diesem Jahr laufen Filme auch außerhalb Leipzigs, zum Beispiel in Rosswein, Altenburg und Espenhain.
1963 - Mehr Resonanz bei Presse und Publikum
Das Festival bekommt positive Kritiken in "Le Monde" und der "Times". Es kommen mehr Zuschauer - Mitte der 1960er über 65.000. Auch die Zahl der eingereichten Filme steigt deutlich an, es kommen 410 ausländische Teilnehmer aus 39 Ländern. Zudem nehmen erstmals internationale Organisationen teil: der Weltgewerkschaftsbund, der Weltbund der Demokratischen Jugend oder die Internationale Frauenföderation.
1964 - Viele Preise und Persönlichkeiten
Neben dem Club der Filmschaffenden der DDR treten ab 1964 auch der Intendant des Deutschen Fernsehfunks Heinz Adamek und der Minister für Kultur der DDR als Veranstalter der Filmwoche auf. Da das Festival mehr und mehr Anerkennung sowohl von der Presse als auch dem Publikum erfährt, sind in diesem Jahr alle "Großen" der Branche in Leipzig zu Gast, u.a. Stanley Forman, Paul Rotha und Edgar Anstey. Gleich sechs Goldene sowie acht Silberne Tauben werden an die Filmschaffenden vergeben. Die Goldene Taube ist von nun auch der Hauptpreis. Und es wird eine neue Auszeichnung eingeführt: Der Egon-Erwin-Kisch-Preis wird von nun an durch das OIRT (Organisation Internationale de Radiodiffusion et de Télévision) in Leipzig und nicht mehr in Moskau verliehen.
1965 - Die Leipziger Dokwoche als Politikum
Zum 20. Jahrestag des Sieges über das NS-Regime laufen in einer Retrospektive unter dem Motto "Filme contra Faschismus" Filme wie "Mein Kampf" (1960, Erwin Leiser) oder "Das Leben Adolf Hitlers" (1961, Paul Rotha). Mihail Romms "Der gewöhnliche Faschismus" (Obyknovennyi Fašizm, UdSSR) erregt nicht nur bei Kritikern und Publikum großes Interesse, sondern wird auch mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnet. Und es gibt Appelle an die Dokfilmer, Vietnam zu unterstützen und die zivile Bevölkerung über das Vorgehen der US-Armee aufzuklären. Niemand könne in der Vietnamfrage gleichgültig bleiben.
1966 - Blut für Vietnam
Zwar beschäftigt sich die Retrospektive in diesem Jahr mit dem französischen Dokumentarfilm, doch stehen die aufstrebende Kinematographien, Filme von und über Entwicklungsländer sowie über den Vietnamkrieg im Zentrum des Festivals. Es wird eine groß angelegte Blutspende-Aktion im Rahmen des Festivals organisiert. Am ersten Tag der Aktion lässt sich bereits die komplette Internationale Jury Blut abnehmen. Viele der Besucher folgen diesem Vorbild und so fährt mehrmals während der Festivalwoche ein Bus die Spendenwilligen ins örtliche Krankenhaus.
1967 - Roter Oktober und deutsch-deutsche Eiszeit
Das Festival steht im Zeichen des 50. Jahrestages der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution". Wichtige Dokfilmer der Zeit wie Joris Ivens, Paul Rotha oder Erwin Leiser kommen nach Leipzig. Die Retrospektive widmet sich dem Jubiläum: "50 Jahre sowjetischen Dokumentarfilm". Tschechoslowakische Filme, die angeblich erste Anzeichen des "Prager Frühlings" aufzeigen, dürfen nicht laufen. Das deutsch-deutsche Verhältnis zwischen den Dokfilmern bröckelt: Vom Verband der westdeutschen Kurz- und Dokumentarfilmproduzenten kommt der Aufruf, das Festival nicht zu besuchen.
1968 - Neuer Name und Kontroversen
Das Festival, jetzt unter dem neuen Namen "Internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche für Kino und Fernsehen", wird von einem einseitig politischem Programm bestimmt. Einerseits werden Imperialismus-kritische Filme wie "Piloten im Pyjama", "LBJ" oder "Im Jahr des Schweins" gezeigt, andererseits werden die politischen Ereignisse in Prag und des Mai 1968 vollkommen ausgeklammert. Auch gibt es ein Aufführungsverbot für lateinamerikanische Filme, die offiziell erwünschten Ansichten zuwider laufen. Zum ersten Mal findet ein eigenständiger Wettbewerb für Fernsehproduktionen statt. Die Goldene Taube geht an "Por primera vez" ("Zum ersten Mal") von Octavio Cortázar aus Kuba.
1969 - Film als "Mittel zum Zweck"?
In diesem Jahr zeigt Leipzig eine "dürftige" Filmauswahl. Dies liegt wahrscheinlich auch an der Sonderveranstaltung "Begegnungen mit Lenin", die kurz vor Lenins 100. Geburtstag im April des kommenden Jahres gezeigt wird. Die aktuelle weltpolitische Lage wird jedoch nicht außer acht gelassen. Neben dem Vietnam-Meeting findet ein Treffen mit 30 Filmmachern und Interessierten aus Afrika, Asien und Lateinamerika statt. Zentrale Frage ist, wie die Neulinge aus den ehemaligen Kolonien sich mit der "Waffe Film" gegen Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus einsetzen können.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: 28.10.2019 | 23:05 Uhr