Digitalisierung der DEFA-Filme Wie DEFA-Filme im digitalen Zeitalter für die Nachwelt erhalten werden
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"Wir machen gerade die Puhdys"
25. November 2021, 16:02 Uhr
Der Zahn der Zeit nagt unerbittlich. Sichtbar ist das auch in den Archiven, in denen das DDR-Filmerbe der DEFA lagert. Die DEFA-Stiftung hat dem Verfall jetzt den Kampf angesagt. In Berlin gibt es eine Firma, in der man sich der zeitintensiven und kostspieligen Aufgabe annimmt, und aus alten Zelluloidstreifen digitale Filme für die Nachwelt zaubert. MDR Zeitreise-Reporterin Annett Meltschack hat sich dort umgesehen.
Früher war alles auf Band
Es ist ein kompletter Raum, ein riesiges Regal mit unzähligen Filmrollen - alles gehört zu einem einzigen Film: "Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow". Es geht um einen Bahnwärter, der mit Einführung der Elektronik von seinem Posten verschwinden soll. Aber worum es geht, spielt heute bei Eurotape Berlin eigentlich keine Rolle. Was eine Rolle spielt: Haben wir alle Bild- und Tonrollen? In welchem Zustand sind sie? Was ist zu bearbeiten? Denn hier wird der Film von 1973 für die Gegenwart aufbereitet. Er wird digitalisiert und das wird Wochen dauern. "Ja, das ist so die Zeit, die das braucht", sagt der Chef von Eurotape, Ralf Jesse.
Also die klassische Digitalisierung startet immer mit so einer Fülle von Material, unterschiedliche Sorten, 35mm Film, 16mm Film, alles ist denkbar. Und auch verschiedene Tonspuren. Und der erste Schritt besteht in der Befundung, der Analyse und ist eben wirklich manuell Bild für Bild und mit der Lupe.
Es ist einer von mehr als 13.000 DEFA-Filmen, die es ursprünglich nur auf Filmrollen gab. Filmrolle – was war das noch gleich? Wenn heute ein Kino oder ein Fernsehsender einen Film zeigt, dann schickt der Verleih in der Regel eine Festplatte. Früher kam das Ganze in Filmrollen, die wiederum in Blechdosen steckten. Zur Sicherheit – Zelluloid ist schnell entflammbar - und zum Schutz. Im Kino legte der Filmvorführer dann den Film ein und wenn zwischendurch eine Pause entstand, und die Leinwand weiß wurde, dann, weil er den Film wechseln musste oder weil der Film einfach mal gerissen war. Dann wurde er geklebt und die Stelle ruckelte für immer. Alle DEFA-Filme waren auf solche Filmrollen gebannt, wie auch sonst im analogen Zeitalter der DEFA von 1946 bis 1992. Diese Bänder liegen nun zu Tausenden in Archiven und keiner würde sie je wiedersehen, gäbe es nicht Firmen, wie Eurotape, die Filme digitalisieren und gäbe es nicht die entsprechenden Finanzen.
Zur DEFA
Am 17. Mai 1946 wurde die Deutschen Film Aktiengesellschaft (DEFA), die zunächst als sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft bestand. Seit 1952 lagen alle Aktienanteile in den Händen der 1949 gegründeten DDR und aus der DEFA wurde ein Staatsbetrieb. Am 1. Juli 1990 wurde die DEFA in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt und in Treuhandverwaltung überführt. 1992 kaufte der französische Konzern CGE das Spielfilmstudio der DEFA. Das Dokumentarfilmstudio wurde nach einer kurzen Übergangsphase in treuhänderischer Verwaltung aufgelöst.
DEFA-Filme werden Kulturerbe
Um das DEFA – wie auch das westdeutsche Filmerbe zu retten, startete 2019 eine Bund-Länder-Initiative zur Digitalisierung. Zehn Jahre lang werden je zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Unendlich viel? Eher nein. Eine Hochrechnung ergab: allein für die 170.000 Kurz- und Langfilme, die in den Haupt-Archiven (Kinemathek, Filminstitut, DEFA- und Murnau-Stiftung, Bundesarchiv) lagern, wären 474 Millionen Euro nötig, um die Filme vor dem Zerfall zu retten und zu erhalten. Die Digitalisierung eines normalen Spielfilms beginnt bei 15.000 Euro, im einfachsten Falle. Die bislang teuerste Film-Rettung war Fritz Langs "Die Nibelungen" und kostete 750.000 Euro.
Seit 1999 gehören die Filme der DEFA zum nationalen Kulturerbe – für erhaltenswert befunden, auch weil sie Zeugnisse sind, die von einem untergegangenen Land erzählen. So werden sie für die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben, die Erlaubten und die Verbotenen, die Gefeierten und die Versteckten, die Propaganda - genauso wie die Dokumentarfilme. Als die Zeit der DEFA 1992 endgültig vorüber war, wurden die meisten Filmkopien vernichtet. Die Blechkassetten gingen in Fischfabriken und wurden zu Fischdosen. Dank DEFA-Stiftung und Bundesfilmarchiv gibt es aber noch die Originale. Die Originale und – bei der DEFA seinerzeit fein säuberlich aufbewahrt – auch die geschnittenen Stellen. So ließen sich auch zensierte Filme teilweise rekonstruieren und nun eben Schritt für Schritt ins digitale Zeitalter überführen.
Nur vier Firmen bundesweit können das in diesem Umfang. Braucht es doch nicht nur teure Apparaturen, sondern auch Fachleute, die in vielen Etappen Bild für Bild und Ton für Ton den Film bearbeiten. Die Firma hier in Berlin Marienfelde war früher eine Kopierwerkstatt für Videobänder. VHS - ja, auch das gab es mal. Es waren die 90er-Jahre und der große Boom der Videotheken, als Ralf Jesse hier als Student jobbte und eben Videos kopierte. Dann kam die Digitalisierung und Ralf Jesse übernahm. Jetzt hat er zwölf Mitarbeiter. Sie bearbeiten auch aktuelle Spielfilme und Fernsehserien.
DEFA-Filme: Von der Rolle in den Rechner
Die alten Filme beginnen mit der besagten Befundung. Per Hand – mit weißen Handschuhen – schaut Ronald Beer Einzelbild für Einzelbild. Ralf Jesse sieht ihm über die Schulter. "Hier wird geschaut: gibt es Auffälligkeiten oder Beschädigungen, wie Risse oder Klebestellen. Das muss alles per Hand behoben werden." Schritt zwei: die Waschmaschine. Vorsichtig schiebt sich der Film hinter geschlossenen Fenstern zwischen unzähligen wuscheligen Rollen hindurch.
Das ist Kunstfell. Hier wird der Film tatsächlich gewaschen. Mit Alkohol und rotierenden Rollen wird der aufliegende Schmutz entfernt, sehr schonend, damit das Material keinen Schaden nimmt. Danach wird er auch wieder mit warmer Luft trockengeföhnt und ordentlich aufgewickelt. Und damit wäre er dann bereit für den nächsten Schritt.
Das ist die Digitalisierung. Der Filmscanner, schon was Größeres. Nicht billig, drum auch selten in Deutschland. Der Film wird von unten durchleuchtet und von oben einzelbildweise fotografiert. 24 Bilder pro Sekunde, das ist die Maßeinheit, von jedem dieser Bilder ein digitales Foto. Auch wenn der Filmscanner noch so gut ist – das was rauskommt, will keiner sehen. Bild und Ton werden in mehreren Stufen nachbearbeitet, Barrierefreiheit wird ergänzt, also Audiodeskription und Untertitel. Christine Hiam macht das Grading, den "Look":
Also ich bekomme vom Digitalisieren weiches flaches Bild, was sehr flau aussieht und matschig, wo jeder sagen würde, he? Das ist doch kein schönes Bild. Und ich fange dann an und füge Kontrast hinzu, dadurch poppen die Farben auf. Auf einmal sehe ich das Rot richtig, das Grün das Blau und dann kann ich entscheiden wie viel von jeder Farbe ich im Bild haben möchte.
Klar, mehr rot macht mehr Romantik und mehr blau eher kühl. Aber die DEFA-Digitalisierer und damit Christine Hiam haben einen Auftrag.
Wir reizen nicht die Farbmöglichkeiten aus, die wir heute haben, sondern bleiben so nah wie es geht am Original. Manchmal sind die damaligen Regisseure hier mit mir dabei, wenn sie noch leben. Dann denken wir gemeinsam nach.
Hier läuft gerade eine Szene aus unserem Platow-Bahnwärter-Film: die Puhdys singen. Sie sehen schräg aus in ihrer 70er Jahre Kleidung, enge gestreifte Hosen, ärmellose Shirts, alles knallbunt. Der Film ist von 1973. Und das waren dann wohl die Farben der Zeit. So original wie möglich eben. Aber der Gesang - wie immer ein Ohrwurm. Nach runden zwölf Wochen ist der Film hier fertig. Er kann damit wieder gezeigt werden, sogar HD, so wie mehr als 500 aufwendig digitalisierte DEFA-Filme. Gezeigt und so in Erinnerung bewahrt.
Am Ende gehen digitale und analoge Variante zurück an das Bundesfilmarchiv. Ja, auch der alte Film in den vielen Dosen wird aufgehoben. "Logisch", sagt Ralf Jesse, "Na klar, das ist der Schatz, auf dem die da sitzen und ich hoffe, sie heben das auch für immer und ewig auf. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, ein abfotografiertes Gemälde aus der Galerie wegzuschmeißen, nur, weil er ein Foto gemacht hat. Also man muss immer das Original aufheben. Vielleicht gibt es irgendwann technologische Entwicklungen, die es erlauben, das alles noch viel besser zu machen, als wir es zum jetzigen Zeitpunkt können."
Bestand der DEFA
Ende der 80er Jahre bestand die DEFA aus drei Bereichen: dem VEB DEFA-Studio für Spielfilme und Dokumentarfilme Berlin/Babelsberg und dem VEB Trickfilmstudio Dresden. Insgesamt entstanden in den DEFA-Studios ungefähr 700 Spielfilme (davon etwa 160 für Kinder), 750 Animationsfilme sowie 2.250 Dokumentar- und Kurzfilme.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR-Zeitreise | 16. Mai 2021 | 22:00 Uhr