Kriminologisches Fernsehspiel DDR-TV-Reihe "Der Staatsanwalt hat das Wort"

18. November 2021, 16:10 Uhr

Als 1965 die erste Folge der Sendereihe "Der Staatsanwalt hat das Wort" ausgestrahlt wurde, war das eine kleine Sensation: Erstmals wurden Verbrechen von DDR-Bürgern im Fernsehen thematisiert. Aber die Reihe verstand sich nicht als Krimiserie, sondern als "Rechtsbelehrung".

Kriminalfilme hatte es im DDR-Fernsehen Anfang der 1960er-Jahre nur sehr vereinzelt gegeben. Und das hatte einen schlichten Grund: Nach Ansicht der staatstragenden Partei waren sie überflüssig, da es in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft keine nennenswerte Kriminalität mehr geben sollte. Und so waren folgerichtig in den wenigen produzierten Krimis die Übeltäter in der Mehrzahl Westdeutsche oder vom Westen aus gesteuerte DDR-Bürger. Im Frühjahr 1963 aber bekam die Fernseh-Dramaturgin Käthe Riemann den Auftrag, eine neue Sendereihe "zu Problemen der Rechtspflege" zu konzipieren. Als Vorbild sollte ihr dabei die populäre ARD-Serie "Das Fernsehgericht tagt" dienen.

Keine Suche nach einem Täter

Die Verantwortlichen des DDR-Fernsehens hatten der neuen Sendereihe zwei Funktionen zugedacht: Zum einen sollte sie eine "Rechtsbelehrung" und die "Pflege des sozialistischen Rechtsbewusstseins" mit künstlerischen Mitteln betreiben, zum anderen dem Wunsch des Publikums nach spannender Unterhaltung Rechnung tragen. Im Sommer 1963 legte Käthe Riemann ihr Konzept vor. Es hatte mit den gängigen Mustern des Kriminalfilms nicht allzu viel gemein, denn weder gab es Ermittler noch die Suche nach einem Täter, die für gewöhnlich den Reiz des Genres ausmacht. Die neue Fernsehserie sollte vielmehr ein "kriminologisches Fernsehspiel" sein, in dem die Umstände vorgeführt werden, die zu einem Verbrechen geführt haben und in dem die Psyche eines Menschen beleuchtet wird, der "auf die schiefe Bahn geraten ist". Das Konzept überzeugte und wurde im Oktober 1963 bestätigt.

Erstmals Verbrechen von DDR-Bürgern thematisiert

Abgenickt hatten die Verantwortlichen damit auch einen tatsächlich entscheidenden Aspekt: Es würde in der neuen Sendereihe ausschließlich um Verbrechen von DDR-Bürgern gehen. Offenbar war man zu der Überzeugung gelangt, dass es zwei Jahre nach dem Mauerbau nicht mehr recht glaubwürdig sei, allein westdeutsche Kriminelle für Verbrechen in der DDR verantwortlich zu machen. Offen war vorerst nur die Frage, ob die Rolle des Erzählers, der das Geschehen kommentieren und einordnen würde, ein Jurist, Journalist oder Schauspieler übernehmen sollte. Man entschied sich schließlich für den damals gerade einmal 30 Jahre alten Juristen Peter Przybylski, Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft der DDR.

Der Staatsanwalt mit der strengen Brille und dem SED-Abzeichen am Revers avancierte in den kommenden Jahrzehnten zur prägenden Gestalt der am 21. Oktober 1965 erstmals ausgestrahlten Sendereihe "Der Staatsanwalt hat das Wort". Er fungierte nicht nur als Moderator, sondern beriet auch die Autoren bei der Auswahl der Stoffe. In der Sendung selbst führte er in die jeweilige Handlung ein und unterbrach den Film zuweilen, um auf etwaige verhängnisvolle Entwicklungen hinzuweisen, am Ende verhängte er dann das Strafmaß und erläuterte es - selbstredend ganz im Sinn der sozialistischen Moral und Gesetzlichkeit.

Peter Przybylski, der Staatsanwalt aus "Der Staatsanwalt hat das Wort", plaudert mit Herbert Köfer. 8 min
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Peter Przybylski, der Staatsanwalt aus "Der Staatsanwalt hat das Wort", plaudert mit Herbert Köfer über seine TV-Arbeit. (Aus: DDR-Fernsehen "Das blaue Fenster" vom 09.03.1984)

Di 18.08.2015 17:15Uhr 07:47 min

https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/kultur/video291184_zc-8afd0c71_zs-f7c70080.html

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Straftaten gegen das Volkseigentum

Die Auswahl der Delikte richtete sich dabei streng nach der offiziellen Kriminalitätsstatistik der DDR. So kam es, dass zumeist minderschwere Vergehen thematisiert wurden: Trunkenheit am Steuer, Veruntreuung, Diebstahl, Unterschlagung und "Vergehen gegen das sozialistische Eigentum", sprich: Materialklau aus Betrieben.

"Jede dritte Straftat in der DDR richtete sich gegen das Volkseigentum", erinnert sich Peter Przybylski. "Viele Straftaten passierten im Handel. Das habe ich oft zum Thema gemacht." Gewaltdelikte spielten folgerichtig nur eine untergeordnete Rolle, da sie, so die Argumentation, eben äußerst selten und im Übrigen nicht zu verhindern seien. Für den "Staatsanwalt" geschriebene Drehbücher mit Mord oder Totschlag wurden daher in der Regel umgehend an die Kollegen vom "Polizeiruf 110" weitergereicht.

Bei Westausstrahlung Przybylski einfach herausgeschnitten

Etwa fünf Millionen Zuschauer sahen durchschnittlich die alle sechs Wochen ausgestrahlten Folgen. Doch nicht der "Staatsanwalt" an sich war populär bei den Fernsehzuschauern, sondern – die Spielfilmszenen. Denn in ihnen wurden nicht nur die Motive der Täter subtil nachgezeichnet, sondern auch der Alltag in der sozialistischen Republik durchaus wirklichkeitsnah dargestellt. Dafür sorgten über die Jahre hin namhafte Autoren, Regisseure und vor allem Schauspieler wie Ulrich Mühe, Henry Hübchen, Jenny Gröllmann, Rolf Hoppe, Jörg Schüttauf, Ezard Haussmann oder Walther Plathe. In den 1970er-Jahren erkannte auch die ARD die Qualität der Sendereihe: Bei den Ausstrahlungen in ihren dritten Programmen wurden die Kommentare des Staatsanwalts einfach herausgeschnitten und die Filme konnten für sich wirken.

"Bis zum bitteren Ende" - nach 139 Folgen ist Schluss

Im Herbst 1989 gab es harsche Proteste der Fernsehzuschauer gegen Staatsanwalt Peter Przybylski, der als die "personifizierte DDR-Justiz" galt. Er wurde entlassen und in den weiteren Folgen durch Schrifttafeln, Moderatoren und Live-Diskussionen ersetzt. Doch die Zuschauer waren auch der Reihe selbst überdrüssig geworden. Sie wollten sie nicht mehr sehen. Und so lief im Sommer 1991 die letzte von insgesamt 139 Folgen "Der Staatsanwalt hat das Wort". Sie trug den Titel "Bis zum bitteren Ende".

Peter Przybylski hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst anderen Aufgaben zugewandt. Er arbeitete als Rechtsanwalt und schrieb eine Abrechnung mit dem SED-Staat, die unter dem Titel "Tatort Politbüro" ein Bestseller wurde, ihrem Autor freilich die Bezeichnung "Wendehals" eintrug.