Heimliche Medikamententests Viel mehr DDR-Versuchskaninchen für West-Pharmafirmen
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21. Juli 2010, 08:36 Uhr
Viel mehr DDR-Bürger als bisher bekannt sind offenbar ohne ihr Wissen für Medikamententests westlicher Pharmafirmen benutzt worden. Das berichtet das MDR-Nachrichtenmagazins "Exakt" und beruft sich auf Akten des DDR-Gesundheitsministeriums. Demnach fanden die Versuchsreihen nicht nur an der Charité und einer weiteren Berliner Klinik statt, wie der "Spiegel" Anfang der 90er-Jahre berichtet hatte, sondern auch in anderen Krankenhäusern in den Bezirken der DDR.
Plauen: Studie mit Mittel gegen Depressionen
So wurde 1989 im Bezirkskrankenhaus Plauen das Antidepressivum Brofaromin der Schweizer Firma Ciba Geigy getestet. Bei "Exakt" schildert eine Angehörige: Auf der Suche nach einem Krankenhausbett für ihre schwer depressive Mutter sei sie damals erst erfolgreich gewesen, als sie einwilligte, dass die Mutter an einer Studie teilnahm. In deren Verlauf magerte die Mutter ab, reagierte nicht mehr auf die Außenwelt und schien dem Tode nah. Erst als die Tochter verlangte, das Medikament abzusetzen und wieder das bewährte DDR-Medikament Amitriptelin zu verabreichen, besserte sich der Zustand wieder. Aus Unterlagen des DDR-Gesundheitsministeriums lässt sich schließen, dass in anderen Fällen die Tests sogar tödlich ausgingen.
Devisen für die großen Aufgaben der DDR
Unterlagen der Stasi belegen, dass sich die DDR für die Medikamententests bezahlen ließ. Abgewickelt wurden die Geschäfte über den Devisenbeschaffer der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski, und sein Imperium der Kommerziellen Koordinierung, kurz KOKO. Der KOKO-Experte der Birthler-Behörde für die Stasi-Unterlagen, Reinhold Buthmann, ist sich sicher, dass die Gelder zu einem Großteil an Golodkowski geflossen sind und nicht an die Kliniken. "Das Ziel war vollkommen klar: Devisen erwirtschaften für die großen Aufgaben der DDR", so Buthmann. Unterlagen des DDR-Gesundheitsministeriums lassen vermuten, dass für die Tests mehrere Millionen D-Mark geflossen sind.
Billiger und risikoarmer Test für die Westfirmen
Für die Pharmakonzerne aus dem Westen waren die Tests im kleineren Teil Deutschlands offensichtlich ein gutes Geschäft. Für wenig Geld konnten sie die Wirksamkeit neuer Medikamente mit zuverlässigen Ergebnissen überprüfen lassen. Bei etwaigen Fehlschlägen mussten sie weder ein Haftungsrisiko noch um ihr Image fürchten. Brofaromin-Hersteller Ciba Geigy ist heute nach einer Fusion Teil der Novartis AG in Basel. Dort sieht man sich nicht in der Lage, zu den Vorgängen heute noch etwas zu sagen. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte hat Ciba Geigy nie beantragt, das Medikment Brofaromin auf dem deutschen Markt zuzulassen. Wie sich die Schweizer Firma Medikamententests organisierte ist allerdings kein Einzellfall: Aus den Akten des Gesundheitsministeriums der DDR geht hervor, dass auch viele Medikamente westdeutscher Firmen in den 80er-Jahren in Ostdeutschland getestet wurden.