Die Exklave Steinstücken - eine Exklave Westberlins in der DDR
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18. August 2010, 08:30 Uhr
Ein paar Straßen, ein paar Häuser, ein paar Bäume – gerade einmal zwölf Hektar groß war Steinstücken. Zwischen 1945 und 1971 war die zu Zehlendorf gehörende Gemarkung die einzige bewohnte Exklave Westberlins in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. in der DDR.
Als 1920 die Verwaltungseinheit "Groß-Berlin" gegründet wurde, entstanden zehn Exklaven in der Mark Brandenburg – verwaltungstechnisch zu Berlin gehörende Gebiete außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes. Weil sich die Vereinbarungen der alliierten Siegermächte auf alte deutsche Verwaltungsgrenzen beriefen, fielen nach der Teilung Berlins in vier Sektoren diese Exklaven an Westberlin. Steinstücken (Gemeinde Wannsee, Bezirk Zehlendorf) gehörte zum amerikanischen Sektor. Es lag südwestlich von Kohlhasenbrück. Ein zu Potsdam gehörendes Waldstück bildete einen Korridor zu Berlin, sodass die Einwohner Steinstückens nach 1945 ostdeutsches Territorium überqueren mussten, um nach Westberlin zu gelangen.
So kam es in Steinstücken [...] zu Behinderungen des nur über DDR-Gebiet möglichen Zugangs und in der Folge wiederholt zu Konfrontationen zwischen den DDR-Organen und den Anwohnern, Vertretern des Berliner Senats und der amerikanischen Alliierten.
Ihren Ausweis, bitte!
Am 18. Oktober 1951 besetzten DDR-Volkspolizisten vorübergehend das 300 mal 400 Meter große Areal. Die Amerikaner protestierten – nach vier Tagen machte die DDR diese Annexion rückgängig. Ende Mai 1952, als im Zuge sich verschärfender Ost-West-Auseinandersetzungen die DDR ihre Grenzen zur Bundesrepublik und zu West-Berlin abriegelte, wurde auch Steinstücken mit Sperranlagen umgeben. Von da an erfolgte der Zugang für die etwa 200 Einwohner nur über einen von der DDR kontrollierten, gut einen Kilometer langen Verbindungsweg. Alle Besucher und Lieferanten mussten eine Meldebescheinigung über einen Zweitwohnsitz in Steinstücken vorweisen.
Flucht per Hubschrauber
Nach dem Mauerbau 1961 brach der Kampf um die Vorherrschaft in Steinstücken erneut aus: Sofort nach seiner Ankunft in Westberlin kündigte der amerikanische Sonderbeauftragte Clay vor US-Offizieren in der Berliner Garnison an, mit dem Auto über die Zonengrenze in die 1.200 Meter entfernte West-Berliner Exklave Steinstücken fahren. Laut "Spiegel" erklärt Clay: "Ich will mal sehen, ob die Vopos wagen, mich aufzuhalten."
Das Vorhaben sprach sich herum – 500 begeisterte Westberliner bereiteten Clay in Zehlendorf einen Jubelempfang, der ihm zwar schmeichelte, aber seine Absicht zunichte machte, ohne Aufsehen die DDR-Grenzposten zur Freigabe des Weges nach Steinstücken zu zwingen. Am nächsten Tag stieg Clay auf den Hubschrauber um – und demonstrierte mit seiner Landung in Steinstücken Stärke und Macht. Drei US-Soldaten wurden in Steinstücken stationiert. Täglich stellten Hubschrauber die Verbindung her – besonders brisant: Mit ihnen wurden auch Flüchtlinge ausgeflogen, die sich nach Steinstücken retten konnten – sieben waren es am 27. September 1961.
In Washington wurde die Britische Botschaft vorstellig. Ob es klug sei, "wegen einer derart geringfügigen Angelegenheit einen Zwischenfall zu riskieren". Doch der General antwortete: "Es kommt darauf an, gerade in solch kleinen Dingen das Ansehen der Alliierten in Berlin wiederherzustellen." (Der Spiegel 36/1966)
Das Ende der Exklave
1972 regelte eine Vereinbarung über den Gebietsaustausch das Problem der Exklaven. Ein 2,4 Hektar großes Areal zwischen Steinstücken und Kohlhasenbrück fiel an Westberlin. Seit dem 30. August 1972 hatte Steinstücken eine direkte, durch nunmehr zu Westberlin gehörendes Gebiet verlaufende Straßenverbindung in die Stadt und war mithin keine Exklave mehr. Für die etwa 120 Erwachsenen und 60 Kinder in Steinstücken zog etwas mehr Normalität ein – soweit das in einer geteilten Stadt überhaupt möglich war. Heute erinnert neben einer Schrifttafel auch ein aus zwei Rotorblättern gebildetes kleines "Luftbrücken"-Denkmal an die absurde Situation im Schatten der Mauer.