21. August 1989 Kurt-Werner Schulz: das letzte Opfer des Eisernen Vorhangs
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21. August 2020, 11:37 Uhr
Kurt-Werner Schulz, ein 36-jähriger Architekt aus Weimar, war das letzte Opfer des Eisernen Vorhangs. Am 21. August 1989 wurde er beim Versuch, über die ungarisch-österreichische Grenze in den Westen zu gelangen, von einem ungarischen Grenzsoldaten erschossen.
Im Mai 1989 hatte Ungarn mit dem Abbau des Eisernen Vorhangs an seiner Grenze zu Österreich begonnen. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der fernen DDR, obwohl das Staatsfernsehen kein einziges Wort darüber verloren hatte. Immer mehr DDR-Bürger reisten im Sommer 1989 nach Ungarn, in der Hoffnung, ohne Mühe in den Westen gelangen zu können. Was sie nicht wussten: Der Sicherungszaun an der österreichisch-ungarischen Grenze war zwar Vergangenheit, der Schießbefehl galt aber nach wie vor, ähnlich wie in der DDR. Das wurde Kurt-Werner Schulz zum Verhängnis - nur zweieinhalb Monate vor dem Fall der Berliner Mauer.
Am 21. August 1989 versuchte der 36-jährige Architekt aus Weimar gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Gundula Schafitel und dem sechsjährigen Sohn Johannes nahe der ungarischen Stadt Répcevis (Lutzmannsburg) die Grenze Richtung Freiheit zu passieren. Zwei Tage vorher hatte die Familie bereits einen Anlauf bei Sopron genommen, wo kurz zuvor mehr als 600 DDR-Bürgern beim "Paneuropäischen Picknick" die Flucht in den Westen gelungen war. Doch der Versuch misslang - die drei DDR-Bürger wurden von ungarischen Grenzsoldaten für kurze Zeit festgenommen. Eine Rückkehr in die DDR war für die Familie nach der Freilassung jedoch keine Option. Schulz und seine Lebensgefährtin fassten vielmehr den Entschluss, es erneut zu versuchen.
Am Eisernen Vorhang erschossen
Kurt Werner Schulz und seine Freundin reisten nach Répcevis. Sie glaubten, die ungarischen Grenzer würden dort nicht mehr so genau hinschauen. Ein fataler Irrtum. Denn die Bewacher des Eisernen Vorhangs waren durch die vorangegangene Massenflucht in Sopron alarmiert. Eine klare Ansage, wie zu verfahren ist, gab es nicht – die Grenzwächter wurden von der noch zaudernden Regierung im fernen Budapest im Ungewissen gelassen.
Als die drei DDR-Flüchtlinge am Abend des 21. August ihren zweiten Fluchtversuch wagten, hatten sie wieder Pech. Ungarische Grenzsoldaten hatten sie auch diesmal entdeckt und mehrfach zum Stehenbleiben aufgefordert. Eine Signalrakete wurde abgeschossen, sogar ein Warnschuss fiel. Die kleine Familie ließ sich davon allerdings nicht beirren, rannte hastig weiter Richtung Österreich und überquerte sogar die Grenze. Doch ein junger Grenzsoldat konnte Kurt-Werner Schulz, der sich bereits zehn Meter auf österreichischemn Territorium befand, festhalten. Gundula Schafitel und ihr Sohn blieben stehen. Kurt-Werner Schulz wehrte sich, es kam zu einem Handgemenge. Kurze Zeit später fiel ein Schuss – Schulz sank zu Boden.
Todesschütze war erst 19
Es war ein Unfall, stellte eine eilends gegründete österreichisch-ungarische Untersuchungskommission fest. Der Todesschütze war ein 19-jähriger Wehrpflichtiger, der den Vornamen Zoltán trug. Den Nachnamen verschwieg das ungarische Verteidigungsministerium. Zoltán gab vor der Untersuchungskommission zu Protokoll: "Er versuchte, mir die Kalaschnikow zu entreißen, die nicht mehr gesichert war. Ein Schuss löste sich, der ihn direkt in den Mund traf." Der Grenzsoladt wurde freigesprochen.
Witwe darf in den Westen ausreisen
Die Witwe Gundula Schafitel und ihr Sohn konnten am 24. August 1989, nachdem die Untersuchungskommission ihre Arbeit beendet hatte, offiziell nach Österreich ausreisen. Am selben Tag durften auch mehr als einhundert DDR-Bürger, die die Botschaft der Bundesrepublik in Budapest besetzt gehalten hatten, ausreisen. Sie wurden nach Westdeutschland gebracht.
Fall des Eisernen Vorhangs
Ebenfalls am 24. August 1989 trafen Ungarns Ministerpräsident Miklós Németh und sein Außenminister Gyula Horn Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Németh eröffnete die historische Begegnung mit den Worten: "Herr Bundeskanzler, Ungarn hat sich entschieden, den DDR-Bürgern die freie Ausreise zu erlauben." Am 11. September 1989 war es dann so weit. Ungarn öffnete seine Grenzen und Tausende DDR-Bürger flüchteten umgehend in den Westen. Der Eiserne Vorhang war in Ungarn Geschichte - und nur einen Monat später auch in Berlin.
Schlichtes Denkmal
30 Jahre später, im August 2019, wurde eine schlichte Gedenktafel in der Nähe des Unglücksorts, inmitten des sogenannten Lutschburger Weingebirges, eingeweiht. Sie erinnert seither an Kurt-Werner Schulz, das letzte Opfer des Eisernen Vorhangs.
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell | 11. September 2019 | 21:45 Uhr