Tschernobyl: gigantische Schutzhülle aus Stahl über dem Unglücksreaktor
Tschernobyl: Heute schützt eine gigantische Schutzhülle aus Stahl über dem Unglücksreaktor vor dem Austritt radioaktiver Strahlung. Bildrechte: imago images/Ukrainian News

Reaktorunglück Tschernobyl 1986: Berichterstattung in der DDR

23. April 2021, 17:42 Uhr

Erst zwei Tage nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 wird in der DDR erstmals über das Ereignis berichtet. Die Meldung ist allerdings nur vier Zeilen lang. Lesen Sie eine Chronologie der Berichterstattung in der DDR.

28. April 1986 - Erste Meldung über "eine Havarie" in Tschernobyl

Zwei Tage nach dem Reaktorunfall im Atomkraftwerk in Tschernobyl in der Ukraine, wird in der DDR zum ersten Mal von dem Ereignis berichtet - in den Fernsehnachrichten der "Aktuellen Kamera", und zwar ganz am Ende der Sendung. Der Sprecher verliest auch nur eine aus insgesamt vier Sätzen bestehende Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS, der zufolge sich im Kernkraftwerk in Tschernobyl eine "Havarie" ereignet habe und einer der Kernreaktoren "beschädigt" wurde.

29. April 1986 - Zwei Menschen in Tschernobyl sind gestorben

Der Moskau-Korrespondent des DDR-Fernsehens verliest am 29. April 1986 eine Erklärung des Ministerrats der UdSSR, wonach zwei Menschen in Tschernobyl gestorben und vier Dörfer in der Unglücksregion evakuiert worden sind. Der Chef des "Amtes für Atomenergie und Strahlenschutz der DDR" erklärt, dass es für die DDR-Kernkraftwerke strenge Vorschriften gibt. Das Überprüfen der Anlagen in der DDR sei demzufolge "nicht relevant".

Aktuelle Kamera vom 01. Mai 1986 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Moskau-Korrespondent der DDR, Wolfgang Mertin, berichtet am 29. April 1986 in der "Aktuellen Kamera" von zwei Toten in Tschernobyl.

Di 29.04.1986 20:44Uhr 02:26 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video-128426.html

Rechte: Deutsches Rundfunkarchiv

Video

30. April 1986

"Keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen notwendig"


Der Nachrichtensprecher der "Aktuellen Kamera" verliest am 30. April 1986 eine Erklärung des "Amtes für Atomenergie und Strahlenschutz der DDR", nach der "keinerlei gesundheitlichen Gefährdungen bestanden oder bestehen". Und auch die Weltgesundheitsorganisation soll Entwarnung gegeben haben: "Besondere Vorsichtsmaßregeln außerhalb der UdSSR sind nicht notwendig".

Alles nur "hochgespielt"

In einer halbstündigen Sondersendung des DDR-Fernsehens am 30. April 1986 kommen zwei hochrangige DDR-Wissenschaftler zu Wort: Prof. Dr. Karl Lanius, Direktor des Instituts für Hochenergiephysik, und Prof. Dr. Günter Flach, Direktor des Zentralinstituts für Kernforschung in Rossendorf bei Dresden. Flach sagt: "Auf dem Gebiet der Kernenergie" gebe es "die geringste Zwischenfallquote, wenn man es etwa mit dem Bergbau vergleicht". Karl Lanius meint: "Man muss aus dem Unfall lernen", ansonsten sei alles nur "hochgespielt".

1. Mai 1986 - Spezialtrupps mit modernster Technik in Tschernobyl

Die "Aktuelle Kamera" widmet in ihrer Sendung am 1. Mai 1986 anlässlich des "Kampftags der Arbeiterklasse" mehr als dreiviertel der Sendezeit den Demonstrationen. Ganz am Ende verliest der Moskau-Korrespondent des DDR-Fernsehens eine Erklärung des Ministerrats der UdSSR: "Spezialtrupps, die mit modernster Technik und wirksamsten Mitteln ausgerüstet sind, entaktivieren die Flächen in Tschernobyl", heißt es in der Erklärung. Bilder oder Filmaufnahmen aus dem Katastrophengebiet werden nicht gezeigt.

Aktuelle Kamera vom 01. Mai 1986 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

2. Mai 1986 - Stabilisierung auf niedrigem Niveau

Als einer der ersten europäischen Staaten veröffentlichte die DDR Messwerte über Radioaktivität in der Luft im Zeitraum vom 30. April bis zum 2. Mai 1986. Die Interpretation liefert die "Aktuelle Kamera" gleich mit: "Stabilisierung auf niedrigem Niveau." Eine Gefährdung der Bevölkerung habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Auch Experten aus den USA werden zur Beruhigung der Bürger zitiert: "Die meiste Radioaktivität ist bereits ausgetreten."

Aktuelle Kamera vom 06. Mai 1986 4 min
Bildrechte: AK vom 06.05.1996/MDR

3. Mai 1986 - "Radioaktive Wolke war nie eine Gefährdung"

Nach einem langen Bericht über den Parteitag der DKP in Hamburg verliest der Moskau-Korrespondent in der "Aktuellen Kamera" vom 3. Mai 1986 erneut nur eine TASS-Meldung. Der Tenor der Meldung lautet: "Die Arbeiten rund um Tschernobyl sind gut organisiert." Ausführlich werden französische Atomexperten zitiert, die der Auffassung sind, dass "die radioaktive Wolke nie eine Gefährdung für Ost- und Westeuropa" darstellte. Außerhalb der Zehn-Kilometer-Sperrzone um den Unglücksreaktor, so die Experten, seien die Strahlen völlig unbedenklich. Auch in der Bundesrepublik würden "völlig normale Werte" gemessen.

6. Mai 1986 - Zahl der Reaktorunfälle in den USA steigt

Die "Aktuelle Kamera" vom 6. Mai 1986 beschränkt sich auch an diesem Tag auf das Verlesen einer Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS: Das Gebiet rund um den Reaktor wird gesäubert und die evakuierten Menschen finden anderswo Arbeit ... Ausführlich widmet sich die Nachrichtensendung dagegen den amerikanischen Atomkraftwerken. "Die Zahl von Nuklearunfällen in den USA haben ständig zugenommen", heißt es. "1985 war das Jahr mit der größten Pannenserie."

Aktuelle Kamera vom 06. Mai 1986 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

14. Mai 1986: Gorbatschow zum Reaktorunfall

In einer Ansprache im sowjetischen Fernsehen am 14. Mai 1986 äußerte sich der Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, erstmals zum Reaktorunglück in Tschernobyl. Das DDR-Fernsehen zeigte keine Ausschnitte, nicht einmal ein Bild des sowjetischen KP-Chefs, der mit seiner Politik von "Glasnost" und "Perestroika" den Unmut der Ost-Berliner SED-Führung auf sich gezogen hatte. Stattdessen kommentierte Götz Förster, Redakteur der "Aktuellen Kamera", Gorbatschows Ansprache.

Aktuelle Kamera - Kommentar zu Tschernobyl 4 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

22. April 1987: "Wir sind alle gesund"

Das DDR-Fernsehen zeigt am 22. April 1987 eine Reportage des Magazins "Objektiv" mit dem Titel "1 Jahr nach Tschernobyl". Der Reporter des DDR-Fernsehens besuchte eines von insgesamt 52 neu entstandenen Dörfern "für Leute, die das Sperrgebiet rund um den Unglücksreaktor Tschernobyl verlassen mussten". "Wir sind alle gesund", sagt einer der Dorfbewohner, "es gab keinen einzigen Fall einer Strahlenkrankheit." "Es gefällt uns hier", meint eine Frau, "dennoch, wir würden gern wieder zurückgehen."