1953 Aufstand im Gulag Workuta Heini Fritsche und der Aufstand im Gulag Workuta
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07. Dezember 2016, 13:45 Uhr
Die sowjetischen Gulags wurden für viele tausende Kriegsgefangene und politische Häftlinge zum Trauma. In den Tiefen Sibiriens schufteten sie als Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen. Heini Fritsche kam als Jugendlicher in das berüchtigte Gulag Workuta und erlebte dort den Aufstand im Jahr 1953.
Die Urkatastrophe des Zweiten Weltkrieges löschte ganze Generationen aus. Nur wenige junge Menschen wie Heini Fritsche kamen mit dem Leben davon und sehnten sich nach einem friedlichen Neuanfang. Diese Chance war nicht allen vergönnt. Wer als Soldat in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet, bekam meist die volle Härte der stalinistischen Diktatur zu spüren. Gulags wurden zum Inbegriff für den Repressionsapparat, in den nach Kriegsende auch politische Häftlinge geraten sind.
Den Krieg überlebt
Heini Fritsche war gerade einmal 16 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg endete und seine Heimat von sowjetischen Truppen besetzt wurde. Der gebürtige Leipziger war damals Schüler und wuchs in einer sozialdemokratisch geprägten Familie auf. So war es selbstverständlich für ihn, dass er Ende 1945 in die SPD eintrat.
Ich hörte die BBC in London, ich hörte Dr. Kurt Schumacher, den ersten Parteivorsitzenden der SPD. Das sind alles Dinge, die auf mich eingewirkt haben und mein Denken beflügelt haben.
Der junge Mann merkte schnell, dass mit dem sowjetischen Besatzungsregime eine neue Ordnung Einzug gehalten hatte. Mit der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur sozialistischen Einheitspartei begann sein innerer Wiederstand. Wie er heute sagt, brachte ihn der "Mut der Jugend" dazu, gegen die Vereinigung zu stimmen. Auch in der Schule begann er politisch anzuecken.
Jugendwunsch: Kommissar
Offen trat seine Ablehnung in dieser Zeit noch nicht zu Tage. Heini Fritsche blieb Mitglied der SED und konnte die Schule beenden, was ihn aber nicht vor neuen Schwierigkeiten bewahrte. Er sollte zur Wismut, einem Uranbergbaugebiet, das unter sowjetischer Kontrolle stand. Der junge Mann konnte sich dem entziehen. Er folgte stattdessen seinem Jugendwunsch und bewarb sich bei der Kriminalpolizei. Mit seiner Verpflichtung kam er zur Volkspolizeibereitschaft nach Großenhain und damit vom Regen in die Traufe. Denn gerade bei der neu aufgebauten Volkspolizei versuchte man eine antiwestliche Ideologie vorzugeben, die Heini Fritsche endgültig zum Gegner der neuen Ordnung machte.
Da ging es um Dinge, wo ganz konkret auch gesagt wurde: Wir befreien die Arbeiterklasse Westdeutschlands vom Joch der Kapitalisten und ihr könnt in wenigen Wochen in Köln, in Hamburg und Stuttgart sein. Und das hat uns so entsetzt, dass mein Freund, gesagt hat: Weißt du was, jetzt müssen wir was tun!
Verhaftet und Verschleppt
Mit einer Hand voll Gleichgesinnter wurde Heini Fritsche nun aktiv. Sie spielten dem Westberliner Radiosender RIAS Informationen darüber zu, wie aus der Polizei schrittweise die paramilitärische "Kasernierten Volkpolizei" entstehen sollte. Die Gruppe um den jungen Polizisten flog auf und wurde wegen Boykotthetze verhaftet.
Wir wurden nacheinander gegriffen und waren 14 Tage bei der "roten Gestapo" in Potsdam. Ich hab dort meine Entlassung unterzeichnet. Damit haben die nämlich später operiert und gesagt: Die sind nach dem Westen abgehauen. Fortan waren wir ja verschwunden für die Familien.
Die jungen Männer waren nun eine Fall für den sowjetischen Geheimdienst NKWD. In U-Haft genommen, wurden sie gnadenlos verhört und als Spione angeklagt. Für Heini Fritsche sah das Militärtribunal 25 Jahre im Gulag vor. Ein Offizier unter ihnen verurteilte man zum Tode.
Aufstand in der Hölle
Im Mai 1952 erreichte Heini Fritsche den Gulag Workuta am nördlichen Ende des Urals. Er war nun einer von 70.000 "Feinden der Sowjetunion", die unter unmenschlichen Bedingungen im Berg- und Gleisbau schufteten. Ohne ausreichend Nahrung und medizinische Versorgung fristeten die Männer ein erbärmliches Dasein. Tausende von ihnen gingen dabei zu Grunde.
Ich kam mir manchmal vor wie in Dantes Hölle. "Lass alle Hoffnung fahren dahin!" heißt es da in einer Zeile. Und die hatte ich zunächst auch nicht.
Erst Stalins Tod im März 1953 machte den Männern Hoffnung. Mit dem Mut der Verzweiflung begehrten sie gegen ihr Schicksal auf, traten in den Streik und übernahmen die Kontrolle im Lager. Doch ihr Streben nach Freiheit endete am 1. August 1953 in einer Katastrophe. Das Lager wurde umstellt und sollte von sowjetischen Truppen zurückerobert werden. Die blutige Niederschlagung des Streiks forderte wohl 64 Tote und 136 Schwerverletzte. Auch Heini Fritsche wurde verletzt. Er bekam einen Schuss mitten durch den Hals. Sein Freund Dietmar Bockel schaffte ihn beiseite und mitinhaftierte Ärzte retten ihm schließlich das Leben.
Entlassung mit den "Heimkehrern"
Der Blutzoll, den auch Heini Fritsche gezahlt hatte, war nicht umsonst gewesen. Die Ereignisse in Workuta führten auch in Moskau allmählich zu einem Umdenken. Als Konrad Adenauer 1955 die Rückkehr der letzten Kriegsgefangenen aushandelte, wurde auch Fritsche nach Hause entlassen, wo ihn seine Familie seit Jahren für tot hielt. Seine Rückkehr nutze er, um nach Stuttgart auszusiedeln. In seiner neuen Heimat wollte jedoch niemand hören, was Heini Fritsche aus dem Gulag zu erzählen hatte, wie er heute berichtet. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde er offiziell rehabilitiert.