Zwischen Drill und Gewalt Alltag der Sowjetsoldaten in der DDR
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20. Februar 2018, 15:09 Uhr
Bis zu 120 Männer in einem Mannschaftsraum, kaum Freizeit, miserable Versorgung - und einmal in der Woche Duschtag: Das Leben der in der DDR stationierten sowjetischen Soldaten war hart und entbehrungsreich.
Zwischen 350.000 und 500.000 sowjetische Soldaten waren in der DDR stationiert - so viele wie nirgendwo sonst außerhalb der Grenzen der UdSSR. Die Dauer des Wehrdienstes betrug zunächst drei, später zwei Jahre. In dieser Zeit kamen die Soldaten so gut wie nie aus ihren Kasernen heraus. Ihr Alltag war geprägt von militärischem Drill und Gewalt.
Der Begriff des freien Tages galt als unanständig
Die Rekruten, die in der DDR ihren Wehrdienst abzuleisten hatten, kamen häufig aus den nichteuropäischen Republiken der Sowjetunion – sie sollten sich in ihren Stationierungsorten vollkommen fremd fühlen. Wochenlang wurden sie, nicht selten in Viehwagons, in die DDR gebracht. Meist erfuhren sie erst hier, in welcher Stadt sie dienen sollten. Doch der Alltag war ohnehin überall derselbe: Es gab einen strikt durchorganisierten Tagesablauf und ein grundsätzliches Kontaktverbot nach außen, außerdem waren Urlaub und Ausgang eine Seltenheit.
In einem Interview mit dem Historiker Thomas Ammer erzählte Anfang der 1990er-Jahre ein ehemaliger Offizier: "Offiziell hängt in jeder Einheit ein Dienstplan aus, der aber in Wirklichkeit nur auf dem Papier besteht. Insbesondere gibt es keinen festgelegten Dienstschluss, ebenso wenig ein gesichertes freies Wochenende. Freizeit - das bedeutet in der Praxis oft die Teilnahme an bestimmten Diensten in der Einheit. Das heißt, man muss in der Einheit präsent sein. [...] Ein Begriff wie der eines freien Tages galt geradezu als unanständig."
Morgens, mittags, abends: Brei
Ein einfacher Soldat erhielt im Schnitt einen monatlichen Sold von rund einem Rubel pro Tag (das waren etwa drei DDR-Mark) und bis zu 25 DDR-Mark zusätzlich. Von den so maximal rund 100 DDR-Mark mussten aber nicht nur Dinge wie Zigaretten und Schokolade, sondern auch ganz grundlegende Artikel wie Lebensmittel und Waschutensilien bezahlt werden - denn die Versorgung in den Kasernen war karg. Nach ihrer Flucht Anfang 1987 erzählten zwei Deserteure damals im westdeutschen Fernsehen: "Das Essen der einfachen Soldaten ist in jeder Hinsicht miserabel. Ich würde so etwas nicht einmal meinen Hunden geben: Brei, nur Brei - morgens, mittags, abends, immer Brei."
Ähnlich schlecht war es um die gesundheitliche Betreuung der Soldaten bestellt. Ein Deserteur erzählte damals, in den Armeehospitälern werde man "nicht geheilt, sondern nur am Sterben gehindert. Ich wurde beispielsweise im Sommer 1986 am Blinddarm operiert. Er wurde mir ohne jede Betäubung herausgeschnitten."
Die "Herrschaft der Großväter"
Doch die schlechte Versorgung war nur eine der Bürden, die die Soldaten zu tragen hatten. Besonders unter den Schikanen der höheren Ränge litten viele junge Männer zusehends, nicht wenige zerbrachen daran oder riskierten gefährliche Fluchtversuche. Die "Dedowschtschina", die "Herrschaft der Großväter", stand für eine systematische Unterdrückung der Rekruten durch die dienstälteren Ränge. Sie war geprägt von Brutalität und Nötigung bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Nach Schätzungen durch die Fraktion Die Grünen/Alternative Liste von 1990 waren in der DDR jährlich bis zu 4.000 Sowjetsoldaten ums Leben gekommen – durch Unfälle, Gewaltexzesse und Selbsttötungen.
Kriminelle Übergriffe durch die Soldaten
Doch auch kriminelle Übergriffe von Soldaten der Sowjetarmee außerhalb der Kasernen gehörten zur Tagesordnung. Aus Stasi-Akten gehen allein für die Jahre 1976 bis 1989 etwa 27.500 Delikte sowjetischer Militärangehöriger auf DDR-Gebiet hervor, darunter viele Verkehrsdelikte und Diebstähle, aber auch Mord, Körperverletzung, Raub und Vergewaltigung. Ein straffällig gewordener Sowjetsoldat konnte von der DDR-Justiz jedoch nicht belangt werden. Der Thüringer Kriminalpolizist Klaus Dalski bestätigt: "Unsere Ermittlungen hörten am Tor der Kaserne auf." Stattdessen wurden von den eigenen Männern begangene Verbrechen durch die Oberbefehlshaber oftmals mit drakonischen Maßnahmen geahndet - bis hin zur Todesstrafe.
Pioniernachmittage am Samowar
Eine der wenigen angenehmen Abwechslungen im Soldatenleben bildeten die "verordneten" Kontakte zu den DDR-Bürgern. Eigeninitiative war verboten, doch zu Feiertagen und politischen Veranstaltungen bei den deutschen Nachbarn wurden regelmäßig kleine Abordnungen der vorbildlichsten Soldaten entsandt: zu Pioniernachmittagen am Samowar, kleinen Konzerten in Kulturhäusern, Dia-Vorträgen über die Sowjetunion und Matrjoschka-Malstunden mit den Kleinsten - die "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft" (DSF) machte es möglich. Doch abseits dieser vorgeschriebenen Termine blieben die Soldaten weitgehend abgeschottet.
Granaten und Munition auf wilden Müllkippen
Weitere "Kontakte" zu den DDR-Bürgern gab es eher durch negative Ereignisse: Ortschaften in der Nähe von Truppenübungs- und Schießplätzen waren ständig der Gefahr von Querschlägern und fehlgeleiteten Granaten ausgesetzt. Im thüringischen Gossel wurde die Kirchturmspitze weggeschossen, in Schwerin kam es Mitte der 80er-Jahre gar zu einer "mehrstündigen Explosion eines Munitionsdepots", wie seinerzeit aus einem Schreiben der Bezirksverwaltung Schwerin an das Ministerium für Staatssicherheit hervorging. Im März 1989 starben zwei Kinder, als auf einer wilden Müllkippe eine Patrone explodierte, zwei Monate später starben zwei weitere Kinder, nachdem sie auf einem Truppenübungsplatz nicht beräumte Munition gefunden hatten und diese explodiert war.
Rückkehr ins Ungewisse
Das Jahr 1989 stellte die GSSD vor eine überraschende Situation. Plötzlich drohte ihr mit der Maueröffnung buchstäblich der Boden unter den Füßen wegzubrechen. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde der Abzug der Sowjettruppen bis zum 31. Dezember 1994 festgelegt, später auf den 31. August 1994 vorgezogen. Das Unterfangen stellte sich als eine logistische Großaufgabe heraus, die insgesamt drei Jahre und elf Monate dauerte. 546.200 Soldaten und Offiziere sowie die Angehörigen mussten nach Russland zurückgebracht werden. Dazu kamen mehr als 120.000 schwere Waffen und sonstiges militärisches Gerät - insgesamt eine Last von 2,7 Millionen Tonnen.
Für die Soldaten gestaltete sich die Heimkehr schwierig - sie gingen in ein zerfallendes Reich, das nach dem Scheitern des Sozialismus unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten litt. Was also lag näher, als beim Abzug aus den Kasernen alles mitzunehmen, was nicht niet- und nagelfest war? Generaloberst Matwej Burlakow schrieb später in seinen Aufzeichnungen über den Abzug: "Ich forderte von den Kommandeuren, sorgsam mit materiellen Werten umzugehen und nach Möglichkeit alles mitzunehmen, weil man praktisch alles am neuen Stationierungsort in Russland gebrauchen könnte." Was die Westgruppe der Sowjetarmee zurückließ, war eine Last, an der das wiedervereinigte Deutschland noch heute zu tragen hat: verfallene Kasernen, kontaminierte Grundstücke, Müllberge und zurückgelassene Munition.
Auf dem letzten Panzer, der 1994 die DDR verließ, stand "Lebe wohl Deutschland - für immer!" - angelehnt an das "Abschiedslied der russischen Soldaten", das Oberst Gennadi Luschetzki damals schrieb: "Deutschland, wir reichen dir die Hand - und kehr'n zurück ins Vaterland. Die Heimat ist empfangsbereit. Wir bleiben Freunde - allezeit! Auf Frieden, Freundschaft und Vertrauen sollten wir uns're Zukunft bauen. Die Pflicht erfüllt! Leb' wohl, Berlin! Uns're Herzen heimwärts ziehn."
(Zitate aus: Ilko-Sascha Kowalczuk, Stefan Wolle, Roter Stern über Deutschland. Ch. Links Verlag, Berlin 2010.)
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Fernsehen: Sowjetarmee geheim | 02. August 2020 | 22:45 Uhr