11. Juni 1985 Glienicker Brücke: Größter Agentenaustausch im Kalten Krieg
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11. Juni 2023, 05:00 Uhr
Es war der größte Agentenaustausch im Kalten Krieg. Am 11. Juni 1985 wurden auf der Glienicker Brücke, die Potsdam mit dem damaligen West-Berlin verband, 23 West-Spione aus DDR-Haft gegen vier entlarvte Ost-Agenten ausgetauscht. Acht lange Jahre hatten die Verhandlungen gedauert.
"Als ich den weißen Strich an der Brücke passierte, gab es auch den Gedanken – jetzt ist es endlich vorbei! Ich war dem Zugriff der Macht entkommen", erinnerte sich Eberhard Fätkenheuer später an den Mittag des 11. Juni 1985. Fätkenheuer hatte seit 1975 sowjetische Militärtransporte und NVA-Aktivitäten für die CIA ausspioniert. 1979 wurde er in Magdeburg auf offener Straße verhaftet und zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.
"Ich saß erst in Hohenschönhausen, dann fünf Jahre in Pankow. Nach einigen Tagen Absonderung kam ich dann nach Karl-Marx-Stadt, von wo es am Morgen des 11. Juni im Reisebus nach Potsdam ging. Neben mir 24 andere inhaftierte Agenten", so Eberhard Fätkenheuer. Im Bus hieß es, es geht in den Westen. Kein Wort vom Agentenaustausch. Kurz vor der Glienicker Brücke hielt der Bus: Pinkelpause. Ein Stasi-Mann warnte: "Wer jetzt noch abhaut, wird erschossen."
Jahrelanges Tauziehen um den Agentenaustausch
Begonnen hatten die Verhandlungen schon acht Jahre zuvor. Und sie galten einem Mann, der am Ende nicht unter den Freigelassenen war: dem russischen Juden Anatoli Schtscharanski. Der Bürgerrechtler war im März 1977 in der Sowjetunion verhaftet und wegen angeblicher Spionage für die CIA angeklagt worden. Juden in der ganzen Welt setzten sich für den Dissidenten ein. Doch die Verhandlungen dauerten Jahre, unter anderem weil die Sowjets darauf bestanden, Scharanski als Spion auszutauschen, während die Amerikaner ihn als politischen Häftling ansahen. "So kamen mit der Zeit andere Gefangene ins Gespräch", so der Journalist und Publizist Norbert Pötzl.
Der Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel war der Unterhändler der DDR-Regierung, wenn es um den Austausch von Häftlingen ging. Im Sommer 1980 übergab er dem ARD-Korrespondenten Lothar Löwe eine Liste von 30 Agenten, die in der DDR für den Geheimdienst CIA spioniert hatten. Die USA setzten sich nicht für diese Spione ein, denn es handelte sich nicht um amerikanische Staatsbürger. Sie hatten, wie Eberhard Fätkenheuer, größtenteils militärische Aktivitäten ausgespäht.
25 Westagenten gegen vier Ostspione
Es begann ein langes Feilschen. Die DDR war besonders an Alfred Zehe interessiert, einem Physikprofessor aus Dresden, der während seiner Gastprofessur in Mexiko geheime US-Rüstungsdokumente weitergeleitet hatte. Auch die anderen Ostspione seien dicke Fische gewesen, so der Geheimdienstexperte Pötzl, der langjähriger Spiegel-Redakteur war und in dieser Funktion über Geheimdienste recherchiert und Bücher zum Thema veröffentlicht hat.
Marian Zacharski, offiziell Direktor eines polnischen Exportunternehmens in Los Angeles, war tatsächlich als Offizier des polnischen Geheimdienstes damit beauftragt, geheime Rüstungspläne der USA auszuspionieren, und wurde dort 1981 zu lebenslanger Haft verurteilt. Penju Kostadinov, ehemaliger Handelsattaché an der bulgarischen Botschaft in Washington, war im September 1983 aufgeflogen, als er sich von einem V-Mann des FBI angeblich vertrauliche Regierungsdokumente hatte aushändigen lassen. Die DDR-Bürgerin Alice Michelson war im Oktober 1984 auf dem New Yorker Kennedy-Flughafen festgenommen worden. Sie hatte für den sowjetischen Geheimdienst KGB Kurierdienste geleistet. Am Ende war der Deal: 25 Westagenten gegen vier Ostspione. Stasi-Chef Mielke genehmigte den Austausch.
Austausch auf der Glienicker Brücke
Der 11. Juni 1985 ist ein schöner sommerlicher Tag. In der Mitte des Übergangs, direkt am Grenzstreifen, stehen US-Diplomat Richard Burt und der Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel, beide nervös und unter Hochspannung. Auf der Ostseite der Brücke parkt ein streng bewachter Bus mit einer brisanten Fracht: 25 in der DDR und in Polen aufgeflogene CIA-Agenten, erinnert sich Renate Bütow, die damals mit einem "Tagesschau"-Team als einziges Fernsehteam vor Ort ist. "Mein Assistent wollte sich unter der Brücke kurz die Füße vertreten, dabei wurde er fast verhaftet", so Bütow. Als sie den Bus mit den wartenden Agenten auf der Ostseite sieht, ist sie geschockt: "Diese Menschen hatten ausgemergelte und blasse Gesichter." Die vier Ost-Spione werden mit einer Militärmaschine aus den Vereinigten Staaten nach Berlin-Tegel geflogen und mit einem Kleinbus zur Glienicker Brücke gebracht.
"Alles war blitzschnell vorüber"
Gegen 13 Uhr verlassen 23 der 25 West-Spione den Bus. Sie gehen über die Glienicker Brücke in Richtung West-Berlin. Zwei bleiben zurück: Sie wollen in der DDR bleiben, aus familiären Gründen. Eberhard Fätkenheuer ist überwältigt, die Tränen fließen, als er in Richtung Westen läuft. Die vier Ost-Agenten überqueren die Brücke in Gegenrichtung und werden im Osten von Anwalt Wolfgang Vogel in Empfang genommen. "Alles war blitzschnell vorüber", so die ARD-Journalistin Renate Bütow. Nach einer halben Stunde ist der größte Agentenaustausch während des Kalten Kriegs abgewickelt – auf der Glienicker Brücke tritt wieder Stille ein.
Letzter Agentenaustausch
Acht Monate später, am 11. Februar 1986, darf auch der Dissident Anatoli Schtscharanski in den Westen – beim nächsten und letzten Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke. Inzwischen regiert in Moskau Michail Gorbatschow, der den Kalten Krieg beenden wird.
Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2020.
Dieses Thema im Programm: MDR Zeitreise | 24. November 2015 | 21:15 Uhr