Millionenbeträge Mitteldeutschland profitiert noch heute vom SED-Vermögen
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16. Dezember 2023, 09:30 Uhr
Die mitteldeutschen Bundesländer profitieren bis heute vom Vermögen der einstigen Staatspartei SED. Seit der Wiedervereinigung flossen in mehreren Tranchen rund 600 Millionen Euro aus diesem Topf nach Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Mit dem Geld, das in den Wirren der Wendezeit zum Teil im Ausland versteckt wurde, werden Gedenkstätten, Museen und Kultureinrichtungen bezuschusst, aber auch der Ausbau von schnellem Internet im ländlichen Raum.
Das Lindenau-Museum in Altenburg, das Deutsche Nationaltheater in Weimar und das Kyffhäuser-Denkmal – diese drei Orte von überregionaler Bekanntheit haben etwas gemeinsam: Ihre Sanierung wurde bzw. wird mit Geldern der ehemaligen Staatspartei SED bezuschusst.
Dass ehemaliges SED-Vermögen bis in die Gegenwart hinein nach Mitteldeutschland fließt, hat etwas mit der Geschichte zu tun. Als die Berliner Mauer im Herbst 1989 fällt und das Volk auf die Straße geht, verliert die SED zwar ihre Macht, aber noch nicht ihr Vermögen. Und dieses ist enorm: 6,2 Milliarden DDR-Mark, fast 1.700 Immobilien, Verlage, der Geschenkedienst Genex, Beteiligungen an ausländischen Unternehmen und nicht näher bekannte Devisenbestände. Damit ist die SED eine der reichsten Parteien in Europa.
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Genossen bedienen sich am SED-Vermögen
Die Genossen beginnen recht früh nach dem Mauerfall, dieses Parteivermögen zu verstecken, um es vor staatlichem Zugriff zu sichern. Etwa 490 Millionen Ost-Mark werden als Darlehen an verdiente Parteikader und Funktionäre verteilt, insgesamt 160 Darlehensnehmer. "Die Genossen liefen wirklich mit Taschen und Tüten voller Geld nach Hause, man konnte die Hände offenhalten und bekam ganz einfach Geld", sagt der Journalist und Buchautor Peter Wensierski, der jahrelang zum versteckten SED-Vermögen recherchiert hat.
Die Genossen liefen wirklich mit Taschen und Tüten voller Geld nach Hause.
Mit dem Geld gründen viele Funktionäre eigene Firmen und sichern sich so eine sanfte Landung in der Marktwirtschaft. Doch nicht jeder Sozialist hat das Zeug zum Kapitalisten. In Chemnitz etwa verprasst der Sohn einer Funktionärin 600.000 Ost-Mark aus der Parteikasse. Er kauft eine alte Fabrikantenvilla und gründet ein Geschäft für Anglerbedarf. Als das "Anglerparadies" nicht mehr paradiesisch läuft, eröffnet er in der Villa ein Hotel, danach eine Gaststätte, eine Wirtschaftsdetektei und ein Abrissunternehmen – alles Versuche von kurzer Dauer und mäßigem Erfolg. Zum Schluss mietet sich in der Villa ein Bordell ein.
SED-Geld auf Auslandskonten versteckt
Hunderte Millionen schafft die Partei, die ab Anfang 1990 PDS heißt, außerdem über Strohmänner ins Ausland. Eine dieser Schiebereien fliegt nur zwei Wochen nach der Wiedervereinigung auf, als der Parteisekretär des Saalekreises bei einer Bank in Norwegen 70 Millionen D-Mark in Bar abheben möchte. Sein unbedarftes Benehmen macht die Bankangestellten stutzig – sie verständigen die Behörden in Deutschland, die eine Hausdurchsuchung in der Parteizentrale der PDS in Berlin veranlassen.
So kommt der sogenannte Putnik-Deal ans Licht. Als Vorwand, das Geld ins Ausland zu schaffen, erfinden die Genossen Schulden, die die SED in der Sowjetunion gehabt haben soll. Die Moskauer Firma Putnik stellt sie der Nachfolgepartei PDS in Rechnung und bekommt das Geld auf ein Konto in Westdeutschland überwiesen – natürlich nicht in Transferrubel, sondern in harter D-Mark! Von dort wird es nach Norwegen und in die Niederlande weiter transferiert.
Der Putnik-Deal ist die bekannteste, aber bei weitem nicht die einzige Schieberei mit dem SED-Vermögen. In den Folgejahren können Fahnder und eine eigens dazu berufene Kommission einen Großteil davon aufspüren. Bis heute wurden um die 1,5 Milliarden Euro wiederentdeckt. Doch das ist längst noch nicht alles, ist Wensierski überzeugt. Der Journalist geht davon aus, dass ein dreistelliger Millionenbetrag immer noch versteckt ist: "Auf irgendwelchen Konten liegt noch Geld, und nicht wenig. Und diese Konten sind irgendwo im Ausland, in den Händen von Menschen, denen das eigentlich nicht zusteht."
Auf irgendwelchen Konten liegt noch Geld, und nicht wenig.
Das, was im Laufe der letzten drei Jahrzehnte eingetrieben werden konnte, wird an die ostdeutschen Bundesländer verteilt, die das Geld für Investitionen und gemeinnützige Zwecke einsetzen. Als Verteilungsschlüssel dient dabei die Einwohnerzahl von 1991. Überweisungen aus dem "Vermögen von Parteien und Massenorganisationen der DDR" (kurz PMO), das zum Großteil aus dem Vermögen der SED besteht, gab es bislang in den Jahren 1994, 1997, 2008, 2009, 2010, 2018 und 2021. Sachsen erhielt das größte "Tortenstück".
Sachsen profitiert am meisten von SED-Vermögen
Wie das Finanzministerium in Dresden auf MDR-Anfrage mitteilte, flossen seit der Wiedervereinigung rund 295 Millionen Euro PMO-Mittel nach Sachsen. Mit dem Geld wurden u.a. Straßen in sächsischen Kommunen erneuert, ÖPNV-Haltestellen barrierefrei umgebaut und neue Niederflurstraßenbahnen für Leipzig beschafft.
Viel PMO-Geld floss zudem an Gedenkstätten: für die Opfer der sogenannten NS-Euthanasie in Großschweidnitz, für die Opfer der NS-Militärjustiz in Torgau und für die Häftlinge des ehemaligen KZ Sachsenburg. Eine besondere Ironie der Geschichte: auch drei Gedenkstätten für die Opfer des SED-Unrechts wurden mit Geldern der einstigen Staatspartei mitfinanziert: das ehemalige Stasigefängnis Bautzner Straße in Dresden, die Runde Ecke in Leipzig und das Kaßberg-Gefängnis in Chemnitz.
Ein Teil des Parteivermögens kam auch dem Denkmalschutz zugute, etwa der Sanierung des Neuen Schlosses in Bad Muskau, des Zisterzienserinnen-Klosters St. Marienthal in Ostritz, des Musikpavillons in Bad Elster sowie verschiedener Kulturdenkmäler, die durch Hochwasser beschädigt wurden. Die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden erhielten zudem Mittel für den Ankauf von Kunstwerken und für die Digitalisierung, und das Staatliche Museum für Archäologie in Chemnitz bekam Geld für "diverse Investitionen".
Die vorerst letzte Überweisung empfing Sachsen im Jahr 2021. Aus dieser Tranche in Höhe von rund 44 Mio. Euro wurden bzw. werden gut 100 Projekte unterstützt, z.B. das vor kurzem eröffnete Textil- und Spitzenmuseum im Weisbachschen Haus in Plauen. Das Geld muss spätestens bis 2025 ausgegeben sein, da es andernfalls an den Bund zurückzuzahlen ist.
Thüringen fördert Gedenkstätten und Breitbandinternet
Thüringen erhielt nach Auskunft des Finanzministeriums in Erfurt 126 Mio. Euro an PMO-Mitteln seit der Wiedervereinigung. Aufgrund eines Landtagsbeschlusses kam auch hier ein erheblicher Teil Gedenkorten zugute, die in Thüringen v.a. an die ehemalige innerdeutsche Grenze erinnern: der Grenzanlage Mödlareuth, dem Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen, dem Grenzmuseum Schifflersgrund, dem Grenzbahnhof Probstzella und der Gedenkstätte Point Alpha.
Erhebliche Mittel aus dem SED-Vermögen flossen in den letzten Jahren zudem in den Ausbau von schnellem Breitbandinternet im ländlichen Raum. Außerdem wurden u.a. der Ausbau eines Fraunhofer-Kompetenzzentrums für innovative Batterietechnologie in Hermsdorf, die Sanierung und Neugestaltung des Feuerwehrtechnischen Zentrums in Artern sowie verschiedene Projekte im Zusammenhang mit der BUGA 2021 gefördert.
Aus der vorerst letzten Tranche des Jahres 2021 erhielt Thüringen rund 24 Mio. Euro. Davon fließen fast 15 Mio. Euro in den Breitbandausbau. Außerdem werden mit dem Geld Sanierungsarbeiten am Lindenau-Museum in Altenburg, am Deutschen Nationaltheater in Weimar und an der Steilwand des Kyffhäuserdenkmals bezuschusst. 3,1 Mio. Euro gehen ins nordthüringische Ellrich, wo in diesen Tagen der Wiederaufbau des Glockenturms der mittelalterlichen St.-Johannis-Kirche beginnt.
Sachsen-Anhalt: Forschung, Breitbandausbau, Kultur
Sachsen-Anhalt erhielt seit der Wiedervereinigung laut Finanzministerium in Magdeburg insgesamt rund 178 Mio. Euro aus dem Parteivermögen der DDR. Ähnlich wie Thüringen investiert das Land einen großen Teil davon in den Ausbau von Breitbandinternet. Außerdem wurden mit dem Geld zwei hochkarätige Forschungseinrichtungen gefördert: das Fraunhofer-Zentrum für Silizium-Photovoltaik in Halle und das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse in Leuna. Weitere Summen flossen an das Lehrerseminar in den Franckeschen Stiftungen in Halle sowie Kitas und Sportstätten.
Im Bereich Kultur profitierten das Museum Schloss Bernburg, das Stiftsbergmuseum in Quedlinburg, das Salzlandmuseum in Schönebeck, das Theater Eisleben und das Nordharzer Städtebundtheater von Zuwendungen aus dem PMO-Topf. Bezuschusst wurden auch Sanierungsmaßnahmen am Magdeburger Dom, an der Stiftskirche Hamersleben und an den Laubenganghäusern in Dessau-Törten, die zum UNESCO-Welterbe gehören. Im Bereich Tourismus wurde die Erschließung des Domplatzes in Naumburg und Verbesserungen am Europaradwanderweg R1 gefördert.
Aus der letzten Tranche von 2021 in Höhe von fast 27 Mio. Euro werden Sanierungsmaßnahmen im Salzlandmuseum Schönebeck, am Dom zu Havelberg und am Stiftsberg in Quedlinburg bezuschusst, außerdem Spiel- und Freizeitanlagen in Magdeburg, ein Dorfbegegnungszentrum in Niegripp, die Sanierung eines Freibades in Eilenstedt und die Reaktivierung eines Natur- und Erlebnispfades in Arendsee.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 07. Dezember 2023 | 19:20 Uhr