Hintergrund zur Großdemo am 4.11.1989 Die Staatssicherheit organisierte mit
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04. November 2009, 11:25 Uhr
Während in Leipzig und anderen Städten der DDR bereits Hunderttausende spontan auf den Straßen demonstrierten, wurde die Berliner Kundgebung ordentlich angemeldet. Und die Stasi hatte ihre Hände mit im Spiel.
"Ich möchte Sie begrüßen und beglückwünschen zu dieser größten Demonstration in der Geschichte der DDR, die als erste nicht von oben, sondern von unten organisiert, auf dem Rechtsweg beantragt und genehmigt worden ist", sagte der Rechtsanwalt Gregor Gysi am Anfang seiner Rede auf dem Berliner Alexanderplatz. Das sollte nach einem grandiosen Erfolg klingen, den die Organisatoren der Kundgebung erzielt hätten. Und das hatten sie in der Tat, gleichwohl: In Leipzig und anderen Städten der DDR demonstrierten seit Ende September 1989 bereits Hunderttausende, spontan und ohne auf eine Genehmigung zu warten, auf Straßen und Plätzen. Und was die knapp eine Million Teilnehmer der Berliner Demonstration nicht wusste: Die Staatssicherheit hatte auch ein wenig mitorganisiert.
Streng geheimes Informationspapier
In einem "streng geheimen" Informationspapier "über die für den 4. November 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, initiierte Demonstration von Kunst- und Kulturschaffenden" hat die Staatssicherheit den Vorgang erfasst. In dem Papier werden auch Vorschläge gemacht, wie eventuell auf einen "friedlichen Verlauf" der Demonstration Einfluss zu nehmen ist und "Provokationen, die das Ansehen von Partei, Staat und Staatsorganen schädigen" bereits im Vorfeld entschieden entgegengetreten werden kann. Außerdem wollte die Staatssicherheit sowohl auf die "mitgeführten Plakate" als auch auf die Rednerliste Einfluss nehmen.
Wolf Biermann darf nicht singen
Erfolgreich intervenierte die Staatssicherheit zum Beispiel gegen den Auftritt des 1976 von der SED ausgebürgerten Liedermachers Wolf Biermann und stützte sich dabei auch auf "progressive Kräfte unter den Theaterschaffenden, wie den Intendanten des Maxim-Gorki Theaters, Albert Hetterle", der befürchtete, "dass feindliche Kräfte die vorgesehene Demonstration für antisozialistische Ziele missbrauchen könnten". Aber auch der Schriftsteller Jürgen Fuchs und die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley wurden von den Organisatoren der Demonstration nach intensiven Gesprächen mit Partei und Staatssicherheit ausgeladen. Der ehemalige Leiter des Aufbau-Verlags Walter Janka, der wegen angeblicher "konterrevolutionärer Verschwörung" von 1957 bis 1960 im Zuchthaus Bautzen eingesperrt war, verzichtete auf seinen Auftritt, nachdem er erfahren hatte, dass auch der Generaloberst der Staatssicherheit a. D. Markus Wolf auf dem Alexanderplatz reden wird. Erich Mielke selbst soll Wolf aufgefordert haben, sich auf die Rednerliste setzen zu lassen.
Durchmarsch zur Mauer befürchtet
Die größte Sorge aber hatte die Staatssicherheit mit der erwarteten Anzahl von Demonstranten. Mit über 500.000 Teilnehmern wurde gerechnet. Was würde geschehen, wenn ein Teil von ihnen einfach zur Mauer durchmarschiert? Für die Geheimdienstler eine Horrorvorstellung. Den Veranstaltern wurde deshalb unmissverständlich klar gemacht, dass am Marx-Engels-Platz, etwa anderthalb Kilometer vor dem Brandenburger Tor, die Demonstration in jedem Fall stoppen müsse. Doch das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) schätzte bereits realistisch ein, dass es am Ende nicht viel gegen diese enorme Menge von Demonstranten ausrichten kann – weder gegen staatsfeindliche Äußerungen, noch gegen provokante Plakate. Und an den Ernstfall, den Marsch der Demonstranten zur Mauer, wollte man am Besten gar nicht denken. Vorsichtshalber wappnete man sich gegen mögliche Angriffe auf die eigene Zentrale in der Normannenstraße und ließ zusätzlich Hunderte von Geheimdienstlern am Alexanderplatz in Stellung gehen. Sie sollten während der Demonstration versuchen, "militante feindselige Kräfte zu isolieren", "positive und vernünftige Kräfte" hingegen "zu stärken".
Zertrampeltes Blumenbeet statt militante Übergriffe
Doch alle Befürchtungen erwiesen sich am Ende als weitgehend unbegründet. Zwar gab es hier und da durchaus "staatsfeindliche" Plakate und Losungen, doch dafür machten sich sämtliche Redner nicht für eine Abschaffung des Sozialismus stark, sondern für dessen Demokratisierung. Sie ernteten dafür großen Applaus. Es gab keine militanten Übergriffe und einen Marsch zur Berliner Mauer hatte auch niemand im Sinn gehabt. Die gesamte Veranstaltung war friedlich verlaufen. Die einzige Beschädigung, die nach der Demonstration festgestellt werden musste, war eine zertrampelte Blumenrabatte vor dem "Palast der Republik". Dort hatten junge Schauspieler eine Sitzung des SED-Politbüros satirisch nachgespielt.
(Zitate aus: Befehle und Lageberichte des MfS, Basis Verlag Berlin 1990.)