Urlaubsspezial: Von Grenzern und bulgarischer Gastfreundschaft
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06. Dezember 2021, 13:33 Uhr
Jens Oettel wollte 1985 mit dem Zug seinen Eltern an den Balaton nachfahren. Doch sein weniges Gepäck weckte das Misstrauen der tschechischen Grenzer.
Ab dem Jahre 1971 waren wir, meine Eltern, meine Schwester und ich, jedes Jahr für drei Wochen entweder im Ungarn-Urlaub oder in Bulgarien. Die ersten Jahre haben wir noch in einem Hotel in Siofok verbracht, später dann wurde am Balaton oder an der Schwarzmeerküste, beziehungsweise im Rila-Gebirge gezeltet.
Aufregende Vorbereitungszeit
Die Zeit vor dem Urlaub war geprägt von großen Aufregungen. So musste immer rechtzeitig daran gedacht werden, Konserven für den Urlaub zu besorgen. Zumeist wurden dafür Rinderrouladen, Gulasch und der Gleichen gekocht und eingeweckt. Der Grund dafür war, dass die zur Verfügung stehenden Devisen in Forint mehr als knapp bemessen waren. Der notwendige Betrag für Benzin, Campingplatzkosten und Verpflegung war meistens deutlich höher als der Betrag, dem einen die DDR-Verantwortlichen zugestanden haben.
Je näher die Grenze zur ČSSR rückte, umso höher schlug der Puls und das Herz begann zu rasen. Schuld daran waren die DDR-Grenzer, die je nach Lust und Laune den Aufenthalt an der Grenze zu einer Geduldsprobe werden lassen konnten. So musste meine Mutter nicht nur einmal den Vorrat an Toilettenpapierrollen abrollen. Man hat wohl Devisenschmuggel vermutet.
Kleines Gepäck erregt Misstrauen der Grenzer
Ein ganz besonderes Erlebnis verbinde ich mit dem Urlaub im Jahre 1985. Auf Grund eines Vorbereitungslehrganges für das im September 1985 beginnende Studium bin ich meinen bereits voraus gefahrenen Eltern mit dem Zug an den Balaton nachgefahren. Gepäck hatte ich nur, was ich für die Zugfahrt unbedingt brauchte, also nur eine kleine Tasche. Und so kam, was kommen musste. An der Grenze zur ČSSR gefragt, wo ich den hin wolle, habe ich wahrheitsgemäß geantwortet: "Für zwei Wochen an den Balaton, zu meinen Eltern, die schon dort sind." Was ich denn für Gepäck dabei hätte, so die nächste Frage. Nachdem ich auf die kleine Tasche verwiesen hatte, wurde ich gebeten mitzukommen "zur Klärung eines Sachverhaltes". Nachdem man auf dem Campingplatz in Balatanfüred angerufen und die Bestätigung erhalten hatte, dass meine Eltern wirklich dort waren, konnte ich meine Reise, natürlich erst im nächsten Zug, fortsetzen. Meine Eltern haben natürlich nichts davon gewusst, dass ich Probleme bei der Einreise hatte und warteten demzufolge vergeblich am Bahnhof auf mich. Dass sie sich Sorgen machen könnten, wo denn ihr Sohn bleibt, hat die Grenzer nicht interessiert.
Spontane Völkerfreundschaft am Lagerfeuer
Aber es gab auch viele schöne Eindrücke von den Reisen in das sozialistische Ausland. So kam es auf einer Wiese in den Rhodopen zu einer innigen Freundschaft zwischen Bulgaren und DDR-Bürgern. Mehrere bulgarische Familien hatten einen improvisierten Campingplatz eröffnet. Da beschlossen wir, uns dazu zu stellen. Nachdem der Camptourist CT 6-2 aufgebaut war, sind wir Kinder auf Entdeckungsreise gegangen. Die bulgarischen Kinder waren in etwa unserem Alter und trotz Sprachbarriere haben wir uns zusammengefunden. Mit einbrechender Dunkelheit entfachten die Einheimischen ein Lagerfeuer, an welchem wir Kinder ebenfalls Platz nahmen. Die Bulgaren begannen, Volkslieder zu singen und zu tanzen. Nach einiger Zeit baten die Bulgaren meine Eltern, doch auch am Lagerfeuer Platz zu nehmen. Diese ließen sich nicht lange bitten. Als meiner Mutter dann begann, deutsche Volkslieder zu singen, war eine Harmonie in der Runde, die ich auch jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, wieder empfinde. Spät in der Nacht, besser früh am Morgen, sind wir dann zu Bett gegangen. Nach dem Aufstehen begann der allgemeine Aufbruch. Wir wurden befragt, wo denn die weitere Reise hingehen sollte. Die geplante Route tangierte zufällig den Heimatort der Familien und so wurden wir eingeladen, dort zu übernachten. Dies haben wir dann auch getan und so ist eine Freundschaft entstanden, welche einige Jahre bestand hatte. Leider ist es nie zu einem Gegenbesuch in der DDR gekommen.
Statt Knoblauchgebinden - Bierwerbung
Sicher hatten nicht alle Bürger der DDR die Möglichkeit, so oft in das sozialistische Ausland fahren zu können. Aber ich für meinen Teil habe diese Reisen genossen. Nach der Wende waren wir, meine Familie und ich, noch zwei Mal in Ungarn. Aus Nostalgie sozusagen. Aber auch in Ungarn hat die Globalisierung Einzug gehalten. Die zu DDR-Zeiten urig eingerichtete "Piroschka Csarda" in der Nähe von Siofok war nicht wiederzuerkennen. Keine von der Decke herabhängenden Knoblauchgebinde, keine Blumenkränze und zu Essen gab es Wiener Schnitzel. Die ungarische Identität war durch ausländische Bierkonzerne völlig unterdrückt worden. Dafür überall Bierwerbung. Scheußlich.