Arbeit über den Wolken "Stewardess war der absolute Traumberuf"
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12. August 2022, 11:15 Uhr
Es gab wenige Möglichkeiten, die DDR regelmäßig zu verlassen. Eine der wenigen Chancen bot die Interflug: Der Beruf der Stewardess war außerordentlich begehrt.
"Stewardess war der absolute Traumberuf", erinnert sich Roswitha Thieme. Gemeinsam mit zwanzig anderen jungen Frauen war sie 1960 zur "Flugbegleiterin" ausgebildet worden - die ersten Stewardessen der zwei Jahre zuvor gegründeten "Interflug". "Der Arbeitsplatz war in der Luft, man hat ständig neue Länder und andere Menschen kennengelernt."
Ein Hauch von Grenzenlosigkeit und Freiheit
In einer Zeit, in der Fliegen Luxus war und selbst die meisten Bundesdeutschen noch nie ein Flugzeug von innen gesehen hatten, galt der Job tatsächlich als etwas Besonderes. Und die Faszination des Berufs erhöhte sich noch einmal, als 1961 die Mauer gebaut wurde und fremde Länder für den DDR-Normalbürger in unerreichbare Ferne rückten. Den Traumberuf von Roswitha Thieme umwehte spätestens von diesem Zeitpunkt an ein Hauch von Grenzenlosigkeit und Freiheit.
Die DDR im Ausland "würdig vertreten"
Die Auswahlkriterien bei der "Interflug" waren streng. Neben Mehrsprachigkeit und tadellosem Auftreten wurde selbstverständlich großer Wert auf "staatsbürgerliche Reife" gelegt. Schließlich sollten die Stewardessen die DDR im Ausland "würdig vertreten" und vor allem stets auch wieder zurückkommen. "Bisschen familiären Hintergrund musste man schon haben, um diesen Job überhaupt machen zu können", sagt Interflug Stewardess Andrea Beu. "Möglichst Partei, möglichst verheiratet, möglichst viele Kinder, damit man die Sehnsucht abzuhauen nicht hat."
Rom, Mailand, Paris ...
Im Ausland wurden die Stewardessen mit Westgeld ausgestattet: D-Mark oder Dollar. Nicht selten blieben ihnen mehrere Tage bis zum Rückflug nach Berlin-Schönefeld. Sie konnten Ausflüge machen oder Stadtbummel in Rom, Mailand oder Paris ... Und nur die allerwenigsten Stewardessen nutzten die Gelegenheit zur Flucht: Sie waren privilegiert und die Arbeit machte Spaß; sie konnten Zigaretten und Parfüm mit nach Hause bringen oder ab und zu mal eine "Bravo" für die Tochter. "Es war schon toll, die Fliegerei", schwärmt Roswitha Thieme noch heute.
Die Stasi fliegt immer mit
Natürlich hatte die Staatssicherheit die Mitarbeiter der "Interflug" immer im Blick. Und die Stewardessen ahnten, dass kaum eine Maschine abhob, ohne dass nicht wenigstens ein inoffizieller "IM" an Bord war. "Manchmal haben wir heimlich abgezählt: Nicht-Stasi, Nicht-Stasi, Stasi, Nicht-Stasi", erinnert sich die Stewardess Bärbel Gantz.
Keinen Spaß verstand die Staatssicherheit etwa bei Romanzen zwischen Piloten und Stewardessen – die waren strikt verboten. Denn wer fremd geht, geht vielleicht auch ganz, so die simple Logik der Schlapphüte. Natürlich überwachten sie auch penibel das Privatleben der "Interflug"-Mitarbeiter. Andrea Beu: "Wenn Ehen von Scheidung bedroht waren, durften die Kolleginnen nur noch in den Osten fliegen. Weil damit ihr seelischer Zustand labil sein könnte, und das könnte ja eventuell ihre Bereitschaft, in den Westen zu gehen, fördern. Da reichten schon Gerüchte ..."
Traum von der großen weiten Welt
Andrea Beu, die in den achtziger Jahren bei der "Interflug" angeheuert hatte, um in der Welt herumzukommen, war nie in den Genuss gekommen, in das so genannte NSW, das nichtsozialistische Währungsgebiet, fliegen zu dürfen. Einen Grund dafür hatte man ihr nie genannt. Sie flog stattdessen nach Budapest und Moskau.
Über dieses Thema berichtete der MDR in "60 Jahre Interflug" 16.09.2018 | 22:25 Uhr