Das "Neptun" in Warnemünde Devisenbringer und Hotel fürs Volk
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16. August 2022, 16:31 Uhr
Das Hotel "Neptun" in Warnemünde galt in der DDR als Traumziel an der Ostsee. Ursprünglich für Westurlauber geplant, wurde es zum FDGB-Urlauberziel.
Mit dem Bau des Hotel "Neptun" in Warnemünde wollte die DDR auch im Bereich Tourismus Welt- und Westniveau beweisen. Ein Prestigeprojekt, das noch von Walter Ulbricht ins Leben gerufen worden war. Der neunzehnstöckige Bau wurde von der schwedischen Firma SIAB in Strandnähe hochgezogen als Hotel, in dem nur mit Devisen bezahlt werden konnte. Der betuchte Westurlauber sollte statt "Plaste und Elaste" Bäder mit eleganten Chromarmaturen vorfinden, ganz wie zu Hause. Das bestens ausgebildete Hotel- und Servicepersonal sollte sich als Dienstleister verstehen und höchsten Ansprüchen gerecht werden.
Honecker kippt den Traum vom Traumhotel
Doch dann kam es anders. Nach der Entmachtung von Walter Ulbricht versprach sein Nachfolger Erich Honecker "Wohltaten fürs Volk": Dazu gehörte zum Beispiel eine verbesserte Versorgung mit Ferienplätzen. So kam es, dass sich das "Neptun" auch den Werktätigen öffnete.
Nach der Eröffnung 1971 mussten neben 20 Prozent Devisenbringern 80 Prozent der Hotelkapazität für FDGB-Urlauber bereitgestellt werden. Für den jungen Hotelchef Klaus Wentzel bedeutete das damals eine Katastrophe: "Stellen Sie sich vor, Sie trainieren eineinhalb Jahre mit der ganzen Mannschaft, lernen drei oder vier Fremdsprachen, delegieren die Leute überall hin, Sie haben die feinsten Speisekarten, die feinsten Waren eingekauft. Und dann wird auf einmal gesagt, Sie müssen jetzt einen Kontrakt machen mit der Gewerkschaft für Gewerkschaftsurlauber." Wentzel versuchte, den Qualitätsstandard des "Neptuns" zu retten, indem er auch den FDGB-Urlaubern Besonderes bot.
Essen vom Feinsten
Die Urlauber oder Geschäftsleute aus dem Westen erwarteten für ihr Geld weder Letscho noch Soljanka: Sie wollten auf "gehobenem Niveau" speisen. In einem Land der Mangelwirtschaft entwickelten die Küchenchefs deshalb fantasievolle Versorgungswege. In der Stadt wurden Kühlhäuser gemietet, man baute ein eigenes Netz mit landwirtschaftlichen Betrieben auf, tauschte Radieschen, Räucheraale oder Erdbeeren gegen Ferienplätze im "Neptun". Der Tauschhandel wurde auch internationalisiert: So gab es Wein und Paprika aus Ungarn gegen Ersatzteile. Dadurch trafen Urlauber im Hotel für DDR-Verhältnisse tatsächlich auf Ungewöhnliches auf den Speisekarten wie etwa Langusten aus Kuba.
Irritation: Urlauber werden nicht platziert
Aber alles hatte seinen Preis, auch für den FDGB-Urlauber. Zahlte man zu Hause in der Eckkneipe fürs Bier 0,72 Mark, wurden in der Eingangshalle des Hotels fürs Radeberger oder das Pilsner Urquell stolze neun Mark für den halben Liter verlangt. Und noch in weiterer Hinsicht war das "Neptun" ein ganz besonderes FGDB-Ferienheim: Gäste wurden in den Restaurants nicht platziert und mussten auch nicht zu vorgeschriebener Zeit zur Essensausgabe erscheinen. Das wiederum führte bei vielen, die es nicht anders kannten, zu einiger Irritation in den ersten Urlaubstagen.
Allzeit bereit - die Stasi im Traumhotel
Ein großes Hotel, in dem sich West-Geschäftsleute und Politiker ganz ungeniert mit normalen DDR-Bürgern treffen können, war der Albtraum für die Stasi. Sie wollte den Klassenfeind jederzeit beobachten und "abschöpfen" können, daneben aber auch DDR-Bürger von unbotmäßigen Kontakten abhalten. Die Staatssicherheit installierte in ausgesuchten Zimmern Mikrofone und Kameras und postierte Überwachungsteams unmittelbar im Hotel. Daneben wurde ein ungewöhnlich großes Aufgebot von sogenannten informellen Mitarbeitern eingesetzt. Nach dem Ende der DDR fanden sich etwa 100 IM-Akten über Mitarbeiter der Nobelherberge.