Im Gespräch mit Filmwissenschaftler Ralf Forster - Teil 1 Amateurfilm im Osten
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28. Juli 2020, 10:43 Uhr
Amateurfilmer dokumentierten den Alltag im Osten. Unsere Reihe "Der Osten im Privatfilm" widmet sich den Hobbyfilmern während der NS-Zeit und in der DDR. Ein Gespräch mit Filmwissenschaftler Ralf Forster.
Welche Rolle spielen Privat- und Amateurfilme als Quelle?
Das ist durchaus umstritten. Es gibt ja die Tendenz, Amateurfilme aus der NS-Zeit oder der DDR einzusetzen, um Authentizität zu zeigen. Denn man nimmt an, dass die Filme nicht in irgendeiner Form vom Staat kontrolliert wurden. Das Material eignet sich aus Sicht der Sender, um es als Lückenfüller einzusetzen, um bestimmte Aussagen allgemeingültiger Art zu präsentierten. Ich zeige also einen Kaffee-Ausflug der Dreißigerjahre und lege eine allgemeine Aussage zu dieser Zeit darüber. Diese Tendenz solche Stützbilder zu verwenden, ist zu kritisieren, weil es bei den Amateuraufnahmen eigentlich um konkrete Biografien geht. Da passieren natürlich Fehler.
Das gilt natürlich auch für den DDR-Film, weil Filmen in der DDR ebenfalls reglementiert wurde, auch bei Amateurfilmen - sobald sie in die Öffentlichkeit kommen sollten. Man hatte dann oft eine Schere im Kopf. Bei einem Betrieb filmte man beispielsweise nicht in eine schmutzige Ecke, außer man wollte aussagen, dass dieser Zustand nun der Vergangenheit angehört. Ich halte es für problematisch, damit eine gesamtgesellschaftliche Erscheinung zu bebildern.
Wie entkommt man diesem Dilemma?
Indem man versucht, das Material an die Biografien der Leute zu binden. Doch, wenn man keine Geschichte hat, wird es kompliziert. Eine andere Möglichkeit wäre es, Zeitzeugen mit den Bildern zu konfrontieren und sie rückblickend dazu etwas sagen zu lassen, so wie es Michael Kuball schon 1978/79 in "Familienkino" etabliert hatte.
Zum Amateurfilm in der DDR: Wer filmte eigentlich?
Man muss unterscheiden zwischen dem Privatfilm und dem Amateurfilm in der DDR. Der Privatfilm entstand in der Familie und wurde auch keinem anderem gezeigt, außer mal zu Feierlichkeiten.
Der Amateurfilm hingegen versteht sich als Teil des öffentlichen Forums. Er ist ein Zwischenformat zwischen Privatfilm und Profifilm. Man fand sich in Gruppen zusammen und wollte mit den Filmen in die Öffentlichkeit, im Unterschied zu den privaten Filmern. Die Amateurfilmer steckten zwar zu großen Teilen in staatlichen Strukturen, bekamen im Gegenzug jedoch Unterstützung und Geld, um ihr Hobby auszuleben. Das war ein großer Ansporn.
Es gab also eine organisierte Amateurfilmkultur. Sie wurde im Rahmen der kulturpolitischen Leitlinien gefördert – im Gegensatz zum Disko-Besuch oder dem Lesen von westlicher Literatur. So wurde der Amateurfilmzirkel vom FDGB betrieblich abgesegnet, finanziell und materiell ausgestattet. Da gab es einen Fond, den man anzapfen konnte, um Rohfilm und Technik zu kaufen. Das intensivierte sich ab 1958/59.
Warum haben so viele in den Filmstudios mitgemacht, obwohl es doch kontrolliert war?
Viele haben in diesen Gruppen gearbeitet, weil sie sich das Material nicht leisten konnten und die gute 16mm-Ausstattung nutzen wollten. Doch im Betrieb war das eben sehr kontrolliert. Der Betrieb war Träger und wollte als solcher auch berücksichtigt werden. Zum Beispiel wurde gesagt: "Wir haben hier eine neue Kantine, filmt doch mal, wie sie essen." Später war Arbeitsschutz ein Thema. Da wurde sanfter Druck ausgeübt, weil man ja auch Geld bekam. Es gab eine Beeinflussungsebene und Abhängigkeitsverhältnisse. Aber natürlich hat man da auch mal getrickst und eine Rolle aufgehoben, um was anderes zu drehen.
Es gab aber auch Einzelfilmer. Das war ja nicht verboten. Als Gruppe musste man sich registrieren lassen, doch das haben diese Filmamateure nicht getan, auch nicht die subversiven Künstlerfilmer. Problematisch wurde es, wenn es an die Öffentlichkeit gehen sollte. Die Künstlerfilmer aus den 80er-Jahren, wie Gino Hahnemann und andere, haben das dann in illegalen Galerien oder in privaten Wohnungen gezeigt. Da konnte der Staat nichts machen. Aber sobald es in einen Jugendklub oder Betrieb ging, gab es Kontrollinstanzen - zum Beispiel die betrieblichen Ebenen und Gremien, die von der SED kontrolliert wurden. Die haben ganz stark versucht, die Kulturarbeit zu überwachen. Selbst in Kneipen musste eine Vorführung bei der Volkspolizei angemeldet werden. Deshalb haben Leute, die in den 80er-Jahren subversive Kunstfilme gemacht haben, die Filme auch selbst entwickelt. Die Chemikalien dafür konnte man frei kaufen. Sie wussten ja, dass sie die Aufnahmen vom Kopierwerk möglicherweise nicht zurückbekommen würden, weil das Material kontrolliert wurde.
Inwieweit entstanden Filme abseits politischer Einflussnahme?
Die meisten Filme sind sehr konform, mitnichten subversiv. Und mit kritischen Filmen wollte man die DDR nicht stürzen, sondern nur einen besseren Sozialismus. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es zwei Gruppen gibt. Für die einen ist es wichtig, als Gruppe zu existieren. Das hatte richtigen Familiencharakter, war eine kleine Heimat. Innerhalb des Systems konnte man unreguliert arbeiten, nach dem Motto: Wenn ich konforme Filme mache, also mal einen Trickfilm zur Verkehrserziehung, werde ich in Ruhe gelassen. Und dann kann ich auch andere Filme machen. Man hatte sich also eine Selbstzensur auferlegt, da man ja weiter Filme machen wollte.
Andererseits gab es Studios wie das "Filmstudio Würchwitz", die formal zur FDJ gehörten und an einer Schule angesiedelt waren. Die haben sich sehr freizügig gezeigt, pazifistische Filme gemacht, gegen die Aufrüstung in Ost und West, oder erotische Filme sowie Filme für den Umweltschutz. Da wurden schon heiße Eisen angefasst und offiziell durchgesetzt, sogar teilweise prämiert. Das war ambivalent. Denn schließlich suchte man künstlerisch gute Beispiele, um auch international Preise zu gewinnen.
Da waren die Filmemacher ständig in der Zwickmühle, was sie machen dürfen und wie kritisch man berichten kann. Darf ich äußern, dass es nicht am Individuum, sondern an der Struktur lag? In der Praxis ist das aber nicht oft passiert. So gibt es eine große Masse an Amateurfilmstudios, die normativ traditionell, konservativ und affirmativ die DDR gelobt haben. Ich habe viele Leute interviewt, die nostalgisch an die DDR denken und ganz ernsthaft den 1. Mai gefilmt haben. Es gibt also alle Spielarten.
Zur Person
Dr. Ralf Forster ist Filmtechnikhistoriker am Filmmuseum Potsdam und stellvertretender Sammlungsleiter.
Er ist unter anderem spezialisiert auf Dokumentar-, Privat- und Heimatfilm. 2013-2016 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Filmuniversität Babelsberg "Konrad Wolf" beschäftigt. Dort forschte er im Rahmen des DFG-Projektes "Regionale Filmkultur in Brandenburg" zum Amateurfilm in der DDR. Seine daraus entstandene Abschlusspublikation "Greif zur Kamera, gib der Freizeit einen Sinn", zu den sozialen und künstlerischen Aspekten des DDR-Amateurfilms, erscheint 2018 bei etk München.
Im Gespräch mit Filmwissenschaftler Ralf Forster - Teil 2
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Fernsehen:
Der Osten im Privatfilm - 8mm DDR
Teil 1 | 28.07.2020 | 22.10 Uhr