Ost-Imbiss Krusta – die DDR-Variante der Pizza
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22. August 2022, 08:58 Uhr
Wenn man ehemalige DDR-Bürger fragt, ob sie Pizza aus DDR-Zeiten kennen, reagieren viele ungläubig: Das gab es damals höchstens in Berlin, wo die Versorgungslage besser war! Manche kennen die Krusta, eine sozialistische Pizza-Interpretation. Und wieder andere schwärmen von der Tiefkühl-Pizza aus der Kaufhalle. Ein kleiner Streifzug durch die Pizza-Geschichte der DDR.
Es ist Mai 1976. Erich Honecker ist seit fünf Jahren der erste Mann im Staat und in der DDR weht ein neuer Wind – die Zeiten, als man den Gürtel enger schnallen sollte, um den Sozialismus aufzubauen, sind vorbei. Jetzt sollen auch DDR-Bürger endlich das Leben genießen. Die Löhne steigen, das Warenangebot wird besser. Honecker schwebt eine Art sozialistische Konsumgesellschaft vor, offiziell unter dem Namen "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" verkündet. Da passt es gut ins Bild, dass in Berlin eine Gaststätte öffnet, die endlich eine ostdeutsche Variante der Pizza im Angebot hat, die viele DDR-Bürger bereits aus dem Westfernsehen kennen.
Krusta: eine Eigenkreation der DDR
Doch in der DDR heißt das Gericht nicht Pizza, sondern Krusta – und weicht erheblich vom italienischen Vorbild ab, weiß Prof. Josef Matzerath von der TU Dresden, der die Pizza-Geschichte der DDR erforscht hat.
Krusta ist eine Eigenkreation, die man sich in der DDR ausgedacht hat – man kann sagen, eine Mischung aus Thüringer Speck- und Zwiebelkuchen, italienischer Pizza und vielleicht mexikanischer Tortilla.
Entwickelt wurde sie von einem Kollektiv junger Köche. Bei der "Messe der Meister von Morgen" im November 1976 in Leipzig wird sie mehr als wohlwollend aufgenommen. Zwei Krusta-Entwickler schrieben sogar eine wissenschaftliche Arbeit darüber.
Krusta wird auf einem Backblech gebacken und in rechteckige, handgroße Stücke geschnitten. Der Teig ist dunkler als beim italienischen Original, weil er neben Weizen- auch Roggenmehl enthält. Außerdem werden Gewürze wie Paprika und Kümmel hinzugefügt – in Italien wäre das ein Sakrileg.
Man hat die Leute da abgeholt, wo sie standen, und den Teig eben ein bisschen exotisch gemacht, indem man Gewürze hinzugefügt hat, die nach "Mediterranem" schmeckten. Auch die Böden waren in der DDR etwas dicker, als man das in Neapel für angemessen hält. Doch das gilt auch heute, beispielsweise für die asiatische Küche: Es wird alles ein bisschen an den Geschmack der Menschen angepasst, an die man es verkaufen will.
Den Kunden schmeckt es in der Tat und schon bald entsteht eine ganze Kette von Krusta-Stuben in der DDR, mit einer Menge Krusta-Sorten. Die Beläge sind reichhaltig und deftig – und aus heutiger Sicht zum Teil gewöhnungsbedürftig. Die Spreewald-Krusta etwa ist mit einer Mischung aus Sauerkraut, Hackfleisch und saurer Sahne belegt, die Rostocker Fischkrusta wartet mit Dosenfisch in Tomatensoße auf und auf die Räucherbroilerkrusta kommt neben "Räucherbroiler" Rührei drauf. Hier stand die Mangelwirtschaft der DDR Pate, denn die Zutaten müssen "ganzjährig und in ausreichender Menge" zur Verfügung stehen, wie es im Konzept der Krusta-Stuben von 1977 heißt.
Die Planung für diese Schnellgaststätten sah vor, dass man vor allen Dingen Zutaten verarbeitet, die man sowieso im Überfluss hatte – und auf so eine Krusta kann man alles Mögliche drauflegen und eben auch Produkte verarbeiten, die sich sonst nicht so gut verkaufen.
Einige Krusta-Sorten lehnen sich kulinarisch an die sozialistischen Bruderländer an: die ungarische Letschokrusta, die Schwarzmeerkrusta mit Salami und Anchovis, die Szegediner Krautkrusta, sogar eine kubanische Ananaskrusta steht auf der Speisekarte.
Pizza Buffet: planmäßig aufgebaute Schnellimbiss-Kette
In den Achtzigern ist die Zeit dann auch für eine "echte" Pizza reif. Dann erobert nämlich eine weitere Gaststättenkette die Republik: Pizza Buffet. Bei ihrem Aufbau geht man – typisch DDR – sehr planmäßig vor. Drei Einrichtungen legen ihre Kräfte zusammen, um das Konzept und die Rezepturen für das Pizza Buffet zu entwickeln: das Backwarenkombinat Leipzig, das Rationalisierungs- und Forschungszentrum Gaststätten, Hotels, Gemeinschaftsverpflegung in Berlin und das Institut für Getreidewirtschaft in Potsdam-Rehbrücke.
In der DDR war man der Überzeugung, dass man das hochgradig rationalisieren muss. Bei der Pizza bestand die Rationalisierung in einer industriellen Fertigung des Teigs und der Beläge, so dass im Pizza Buffet selbst beides nur noch zusammengefügt und gebacken wurde. Die Planung ging sogar so weit, dass man bestimmt hat, wie lange ein Gast sich in dem Lokal aufhalten soll.
Pizza Buffes gibt es nicht nur als stationäre Gaststätten – zumindest im Raum Dresden ggibt es sie auch als mobile Stände, die mal auf dem Markt in der Dresdner Wallstraße, mal auf dem Parkplatz in Moritzburg stehen. 1988 existieren DDR-weit 42 Pizza Buffets. Doch auch hier weicht man noch erheblich vom italienischen Original ab: In den Pizzateig mischt man Öl und Vollmilchpulver. Und die Gemüsepizza ist weder vegan noch vegetarisch – sie wird mit Tomatenketchup, marinierter Paprika, Mischgemüse, Zwiebeln, Gewürzgurken, Räucherspeck, Jagdwurst, Kapern und Käse belegt.
DDR-typisch: die hohe Kunst des Improvisierens
Neben den beiden Ketten Pizza Buffet und Krusta-Stube gibt es vereinzelt auch unabhängige Pizza-Patisserien in der DDR, so in Leipzig, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Jena und Zittau. Auch in Hotels, die ausländische Reisegruppen verköstigen, steht Pizza manchmal auf dem Speiseplan, wobei auch hier DDR-typische Variationen anzutreffen sind – so zum Beispiel im Dresdner Jugendtouristenhotel "Schloss Eckberg". Als der Küchenchef eines Tages plötzlich mit Unmengen Bratwurst beglückt wird, beschließt er kurzerhand, eine Hälfte in die Soljanka und den Rest auf die Pizza zu geben.
Man kannte auch in der DDR italienische Pizza-Rezepte – es gab durchaus auch DDR-Köche, die in Italien waren. Der Vater von Gregor Gysi hatte als Botschafter in Rom zum Beispiel einen Koch, der wusste, wie Pizza geht. Der Wissenstransfer war nicht das Problem. Aber ausländische Gerichte werden immer an den Geschmack der jeweiligen Küche angepasst. Und außerdem war zu DDR-Zeiten viel Improvisation notwendig, um mit den Sachen, die man hatte, etwas Kreatives herzustellen – und da kam man eben auf die merkwürdigsten Pizzabeläge.
Gegen Ende der DDR kommt schließlich auch Tiefkühlpizza in die Kaufhallen, hergestellt vom VEB Backwarenkombinat Berlin. In Internetforen schwärmen die User bis heute davon – unter anderem von der Teufelspizza, die ihrem Namen "alle Ehre" gemacht habe, zu 7,50 Mark das Stück. Doch nach der Wende teilt die DDR-Tiefkühlpizza in der biederen Schachtel das Schicksal vieler anderer Ostprodukte: Sie wird nicht mehr gekauft.
Rezept für eine DDR-Krusta
Für den Teig:
200 Gramm Weizenmehl
250 Gramm Roggenmehl
50 Gramm getrockneter Sauerteig
1 Packung Trockenhefe
1 Teelöffel Salz
1 Teelöffel Zucker
50 Milliliter lauwarme Milch
ca. 250 Milliliter lauwarmes Wasser
Für die Soße:
1 saure Gurke
1 Zwiebel
1 Paprika
3 Esslöffel Tomatenmark
Für den Belag:
nach Geschmack Pilze, Salami, angebratenes Hackfleisch, Sauerkraut und geriebener Käse
Zubereitung:
Das Mehl sieben und mit Sauerteig und Salz in eine Schüssel geben. In die Mitte eine Delle eindrücken, die in lauwarmer Milch mit Zucker aufgelöste Hefe hineingießen. Den Teig kneten und langsam Wasser hinzugeben, bis sich der Teig von der Schüsselwand löst. Den Teig zu einer Kugel formen, abgedeckt an einem warmen Ort mindestens eine Stunde gehen lassen.
In einer Pfanne kleingeschnittene Zwiebeln glasig dünsten, kleingeschnittene Paprika und Gurken hinzufügen. Tomatenmark und 3 Esslöffel Wasser hinzufügen, aufkochen und pürieren.
Den aufgegangenen Teig ausrollen (nicht zu dünn!) aufs Backblech legen, Soße auftragen, nach Belieben belegen, Käse darüberstreuen und anschließend bei 240 Grad Celsius 15-20 Minuten backen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise F: 125 (339) | 20. September 2020 | 22:20 Uhr