"Heiße Ware": Wie West-Schallplatten in den Osten geschmuggelt wurden

04. Juli 2018, 10:29 Uhr

Platten von Rockbands und Musikern aus dem Westen waren in der DDR eine absolute Rarität. Musikliebhaber und Plattensammler mussten daher ziemlich findig sein: Sie besorgten sich die "heiße Ware" auf Schwarzmärkten, für horrende Preise in Budapester "Pop-Shops" oder schmuggelten sie aus der Bundesrepublik herüber.

Eigentlich waren es nur Schallplatten mit Rockmusik: von den Rolling Stones, den Doors, Sting oder Santana. Aber in der DDR wurden aus diesen Westplatten Objekte unstillbarer Begierde, vermittelten sie doch eine Ahnung von einem anderen Leben jenseits der sozialistischen Reglementierungen. Um an diesen heißen Stoff zu kommen, nahmen die Rock-Fans aus der DDR eine Menge in Kauf: Sie ließen die Platten aus dem Westen herüberschmuggeln, kauften sie auf dem Schwarzmarkt oder brachten sie von Ungarn-Urlauben mit.

Plattenschmuggel

"Im Nachhinein ist es erstaunlich, was man für Risiken eingegangen ist", erinnert sich der Dresdner Frank Rotzsch. "Der Drang, diese Musik zu hören, war so stark, dass ich mich über Gesetze einfach hinweggesetzt habe." Rotzsch hörte gern Rock und Soul-Musik und wollte die Platten seiner Lieblingsbands besitzen. Doch deren Musik galt im Osten als nicht erwünscht. Rotzsch aber fand einen Dreh, um an die Platten heranzukommen: Seine Mutter war bereits Rentnerin und durfte daher in den Westen reisen. Sie brachte von ihren West-Besuchen immer eine Platte mit - die Grenzbeamten kontrollierten sie offenbar nur oberflächlich. Die erste Platte, die sie ihrem Sohn mitbrachte, war "Music of my mind" von Steve Wonder. Für Rotzsch ist es immer noch eine besondere Platte.

"Plattenring"

Aber die Westplatten mussten ja irgendwie finanziert werden. Und Westgeld hatte Frank Rotzsch nicht. So entwickelte der clevere junge Sachse ein Geschäftsmodell: eine Art "Plattenring". Die Scheiben aus dem Westen wurden zunächst unter den Freunden herumgereicht, die sie auf ihre Tonbänder überspielten. Sodann verhökerte Rotzsch die Platte auf dem Schwarzmarkt für eine entsprechende Summe: 250 DDR-Mark für eine LP waren dabei durchaus an der Tagesordnung. Von dem Geld kaufte Rotzschs Mutter wieder neue Platten im Westen ein.

Westbands bei "Amiga"

In den 1970er- und 1980er-Jahren erschienen beim Ost-Berliner Schallplattenlabel "Amiga" Lizenzplatten einiger maßgeblicher Rockbands und Songwriter aus dem Westen. Und so konnte man in der DDR nun beispielsweise Scheiben von den Beatles, Rolling Stones, Santana, Queen, Deep Purple, Bruce Springsteen, Cat Stevens, Bee Gees, Udo Lindenberg, Bob Dylan und Jethro Tull kaufen. Oftmals waren es Zusammenschnitte der berühmtesten Songs. Jede Platte kostete 16,10 Mark. Genauso viel wie Platten von den Puhdys oder Karat. Allerdings gingen diese Alben meist "unterm Ladentisch" weg. Wer keine Beziehungen zum örtlichen Schallplattenladen hatte, war einigermaßen chancenlos.

Cover mit kyrillischen Buchstaben

Besser sah es in der Sowjetunion und Bulgarien aus. Dort gab es ein durchaus beachtliches Angebot an Lizenzplatten westlicher Rockbands, gewissermaßen von den Doors bis zu den Stones. Man musste nur die kyrillischen Buchstaben entziffern können...

Budapest - Eldorado für ostdeutsche Musikliebhaber

Doch das Eldorado für die ostdeutschen Musikliebhaber war ganz zweifellos die ungarische Metropole Budapest. In den zahllosen "Pop-Shops" der Stadt besorgten sich die meist "Jesuslatschen" tragenden jungen Leute aus Berlin, Leipzig oder Rostock Original-Platten von den Doors, den Stones, von Queen oder Bob Dylan. Allerdings verlangten die Händler horrende Preise für ihre Ware - bis zu 400 Ost-Mark für eine Langspielplatte. Das entsprach in etwa einem halben Monatslohn einer Verkäuferin in der DDR.

Großzügige Grenzbeamte

Markus Rindt
Plattensammler und Musiker: Markus Rindt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dann galt es auch noch, die kostbaren Platten an den sehr wachsamen DDR-Grenzern vorbeizuschmuggeln. "Wir haben die Schallplatten im Zug an Orten versteckt, wo man nicht nachweisen konnte, dass sie uns gehören", erinnert sich der Dresdner Musikliebhaber Markus Rindt. "In Mülleimer haben wir die Musikkassetten reingestopft. Oder unter die Bänke geschoben. Wir hatten halt große Angst, dass die Grenzer uns die Platten wegnehmen." Ab Mitte der 1980er-Jahre zeigten sich die Grenzbeamten etwas großzügiger. Es galt das ungeschriebene Gesetz, dass Platten von Bands, die mittlerweile auch bei "Amiga" erschienen waren, eingeführt werden durften. Schallplatten von den Stones, Bob Dylan oder den Beatles konnten daher anstandslos in die sozialistische Republik mitgebracht werden.

"Eine Platte hatte damals einen ganz anderen Wert"

Der Mauerfall 1989 machte dem Mangel an Schallplatten von Musikern und Bands aus dem Westen schlagartig ein Ende. Nun gab es alles in Hülle und Fülle. Doch die alten Platten sind für Markus Rindt, heute klassischer Musiker, noch immer etwas ganz Besonderes. "So eine Platte hatte man sich wieder und wieder angehört, man kannte das Album am Ende von vorne bis hinten und wieder zurück. Eine Platte hatte für mich damals einen ganz anderen Wert als heute."

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "Umschau" 25.04.2017 | 20:15 Uhr