Rudolf Horn: Der "Design-Papst des Ostens"
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14. Februar 2023, 14:59 Uhr
Lange vor Ikea schraubten die Ostdeutschen mit dem "Möbelprogramm Deutsche Werkstätten" (MDW) aus dem VEB Möbelkombinat Dresden-Hellerau ihre Wohnträume zusammen. Die Schrankwand des "MDW" war das große Erfolgsprodukt. Schöpfer des Wohn-Klassikers MDW war Rudolf Horn, den man auch den "Design-Papst des Ostens" nennt.
Schnörkellos und praktisch ist es - das Möbelprogramm Deutsche Werkstätten (MDW) aus Dresden-Hellerau. Von 1966 bis 1990 werden mehr als eine halbe Million Montage-Möbel produziert. Industriell gefertigt, lassen sie allerlei Gestaltungsmöglichkeiten zu. Den Schöpfer des in der DDR äußerst beliebten Wohn-Klassikers kennen allerdings nur Fachleute: Rudolf Horn.
Heute wird der Name genannt und wenn der Name bekannt ist, dann kann das Produkt nicht falsch sein, dann muss es gut sein. Da ist eine völlig andere Wertigkeit im Gang, die gab es in der DDR so nicht.
Design für die Masse
Rudolf Horn, geboren am 24. Juni 1929, wächst im sächsischen Waldheim auf. Er erlernt den Beruf eines Tischlers, studiert anschließend Holztechnologie in Dresden und erwirbt wenig später ein Diplom an der Hochschule Burg Giebichenstein in Halle. Dort ist er drei Jahrzehnte lang als Professor und Direktor beschäftigt. Seinen Studenten vermittelt Rudolf Horn nicht nur Wissen, sondern auch seine Maxime.
Für wen machst du das? Diese Frage hat mich mein ganzes Berufsleben als Gestalter nicht verlassen. Was brauchen die Menschen, was ist zweckmäßig? Es ging mir nie darum, einzelne Gruppen zu bedienen, sondern darum, Lösungen zu finden, die einer großen gesellschaftlichen Mehrheit verfügbar waren.
Volksbedarf statt Luxusbedarf: Angelehnt an das Bauhaus-Prinzip sind Horns Arbeiten schlicht und unkonventionell. "Zu reduziert" (Rudolf Horn) für die auf biedermeierlichen Pomp bedachten Partei- und Staatsführer der DDR. "Das sind ja nur Bretter", lautet der Kommentar von Walter Ulbricht über Horns Montagemöbel. Doch auf diese Weise kompensiert Horn geschickt den Mangel an hochwertigen Materialien. Spanplatten und Kunststoffen verleiht er eine moderne, pfiffige Optik. Horns größte Herausforderung als Gestalter ist jedoch die akute Wohnungsnot in der DDR. Sechs Millionen Wohnungen sind im Krieg zerstört worden.
Wohnraum war knapp, er musste unter Umständen mehrfunktionell genutzt werden. Viele junge Leute haben Wohnen, Arbeiten und Schlafen kombinieren müssen.
Variabel Wohnen im starren System
Auf der Grundlage einer normalen Plattenbauwohnung entwickelt Horn zusammen mit Kollegen 1970 das kühne Projekt vom "Variablen Wohnen". Die Idee: In einer leeren Wohn-Hülle kann jeder Bewohner festlegen, wohin er die versetzbaren Wände haben will. In Rostock und Dresden werden zwei Experimental-Bauten errichtet. Mehr als 100 Familien ziehen ein.
Das war das Interessanteste, mit wieviel Fantasie, Überlegung und Selbstbewusstsein die Leute plötzlich gekommen sind, um ihre Wohnung so und so oder so zu gliedern. Keine glich der anderen, obwohl die Ausgangsbedingungen doch gleich waren. Und das bestätigte unsere Überzeugungen, das wir den Leuten Spielraum geben müssen, selbst zu entscheiden, wie sie leben wollen, wie ihre Umgebung aussehen soll.
Dem Prinzip der "offenen Gestaltung" bleibt Horn treu
Doch trotz seines Erfolges wird das visionäre Wohnprojekt in der Praxis nicht weiter fortgesetzt. Die erforderliche Flexibilität aller am Bau Beteiligten ist im starren Planungssystems der DDR nicht gegeben. Die Enttäuschung über das Scheitern seiner Idee kompensiert Rudolf Horn mit neuer Arbeit. Seinem Grundprinzip der "offenen Gestaltung" bleibt er aber treu: Horn entwickelt Möbel als hochflexible Baukasten-Systeme. Das fertige Ensemble gestaltet jeder selbst.
Da haben die Leute für sich Lösungen gefunden, da wäre ich als Profi nie dahinter gekommen. Und genau das war gewollt - der Nutzer wird zum Vollender, der Nutzer ist Finalist.
Ein Sessel für den Westen
In seiner Leipziger Wohnung sind viele seiner Möbel zu finden, darunter auch ein seltenes Exemplar seines Freischwingers. Der Entwurf für diesen Sessel geht auf eine Begegnung mit dem berühmten Barcelona-Chair in einem Leipziger Museum zurück. Heimlich probierte er dort dessen Sitz-Qualität: "Ich war enttäuscht. Er versprach nicht jene Elastizität, die diese elegante Anmutung eigentlich vermittelte. Das hat mich gereizt, einen Sessel zu machen, der sich bewegt, der sich anpasst." Der Sessel wird schließlich in Potsdam produziert – allerdings nur für den Westen. Leder und Bandstahl sind für die DDR unbezahlbar.
Seiner Zeit voraus
Angesichts seiner Schaffensbreite könnte sich Horn eigentlich zurücklehnen. Doch er sucht nach wie vor streitlustig den Austausch mit Kollegen und Studenten und beobachtet mit Argusaugen die Entwicklung im Bereich Design.
Die schönen, die einfachen Dinge, die sich zurücknehmen, sind auch da. Sie sind nicht im Standardangebot, sie sind in jenen Geschäften, wo sie kaum zu bezahlen sind, obgleich ihre Herstellung wegen des verminderten Aufwandes geringere Kosten verursachen. Aber da wird ein Eliteanspruch bedient, Ausschluss betrieben - den wollte ich nicht.
Rudolf Horn gilt heute als "Tausendsassa" der ostdeutschen Formkultur. Viele seiner Gestaltungen und Ideen waren ihrer Zeit weit voraus.
Dieser Artikel wurde am 15.09.2015 erstmals veröffentlicht.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Schwalbe und Plasteschüssel - Alltagsdesign in der DDR | 20.12.2016 | 22:05 Uhr