Die Kuba-Orange: "Fidels Rache"
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09. Juni 2011, 15:44 Uhr
Winter ist auch Orangen-Zeit. Doch in der DDR waren die Südfrüchte selten wie Goldstaub. Und bekam man doch welche, dann meist in der kubanischen Ausführung: außen grün, innen strohig und voller Kerne. Was gut gemeint war, kam beim DDR-Volk nicht wirklich gut an. Denn essen konnte man die grünen, tennisballgroßen Früchte von der Karibik-Insel nicht. Die Kuba-Orange war eine prima Saft-, aber eben keine Speiseorange.
Das Karibik-Feeling wollte sich einfach nicht einstellen beim Verzehr der tennisballgroßen Früchte aus der kubanischen Republik. Noch heute reagieren Ostdeutsche reflexartig auf das Stichwort "Kuba-Orange": "Diese grünen, unreifen Dinger", so die Mitglieder der Band "Karat". "Die kriegtest du ja gar nicht aus der Schale raus. Das war eine Zumutung für alle Beteiligten", meint Kabarettist Tom Pauls. "Wenig Saft, aber viele Kerne", erinnert sich Entertainer Gunther Emmerlich.
Ungeliebt und doch begehrt
Die Apfelsinen aus dem kubanischen Freundesland eigneten sich weder zum Schälen, noch konnte man sie scheibchenweise essen. Deshalb bekamen sie auch bald den boshaften Beinamen "Fidels Rache", wie sich Kabarettist Bernd-Lutz Lange erinnert. Und trotzdem war man froh, wenn man vor Weihnachten im HO-Geschäft eine Tüte Kuba-Orangen bekam. Wenn die grünen Kugeln schon nicht süß und saftig schmeckten, so hoffte man doch zumindest auf einen hohen Vitamingehalt.
Ein Deal mit Fidel: Maschinen für Vitamine
Um Devisen für Südfrüchte zu sparen, hatte die DDR Anfang der 1970er-Jahre ein Handelsabkommen mit dem karibischen Bruderstaat geschlossen. Darin war vereinbart worden, dass die Deutsche Demokratische Republik 15 Zementfabriken nach Kuba liefert und Havanna sich dafür mit Südfrüchten revanchiert. 1978 standen so jedem DDR-Bürger sechs Kilo Kuba-Orangen zur Verfügung.
Das Verteilungsproblem
Allerdings nur theoretisch. Denn zu kaufen gab es die grünen Südfrüchte längst nicht überall. Sie wurden den Werktätigen vor allem in Berlin, den Bezirksstädten und wichtigen Industriestädten wie Schwedt angeboten. Anderswo blieben selbst Kuba-Orangen "Bückware". Das hatte durchaus handfeste wirtschaftliche Folgen, sagt der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt. Die Leute vom Lande seien nach Berlin gefahren, um Orangen zu ergattern. Und weil sich die Berliner die Südfrüchte nicht wegschnappen lassen wollten, seien die von der Arbeit fortgelaufen, um den anderen zuvorzukommen. Da habe man schon mal die Maschinen in der Fabrik abgestellt.
Gereift im falschen Klima
Doch das Geschäft mit den Genossen in der Karibik hatte einen Schönheitsfehler: Auf Kuba wachsen aufgrund der klimatischen Bedingungen keine Speiseorangen, wie man sie aus Spanien oder Nordafrika kennt. Deshalb habe sich die DDR-Bevölkerung nie richtig mit den kubanischen Orangen abgefunden, erinnert sich Dietrich Lemke, ehemaliger stellvertretender Außenhandelsminister der DDR. "Als Saftorangen waren sie prima. Aber als Speiseorangen hielten sie dem Vergleich mit den spanischen und marokkanischen Apfelsinen nicht stand." Mehr noch. Ihr Verzehr konnte auch durchaus unangenehme Folgen haben. Patienten, die mit Verstopfung in der Poliklinik vorstellig wurden, fragten die Ärzte routinemäßig, ob sie zu viele Kuba-Orangen gegessen hatten.
Karibik im Wohnzimmer
Auch die Limetten aus Kuba kamen nicht gut an, musste der Wissenschaftler Wilfried Dathe aus Halle 1987 feststellen: "Es ist bedauerlich, dass die Verbrauchergewohnheiten des DDR-Bürgers noch auf die gelbe Zitrone geprägt sind, zumal die Limette in der Dünnschaligkeit und der Saftqualität der herkömmlichen Zitrone eindeutig überlegen ist." Wenn die Kuba-Orangen schon nicht geschmacklich für Urlaubsfeeling sorgten, so ließen sich dank der vielen Kerne zumindest zahlreiche Orangenbäumchen züchten, die wenigsten einen Hauch Karibikflair in die DDR-Wohnzimmer zauberten.
(Zuerst veröffentlicht am 03.06.2010)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Fernseh-Magazin "Barbarossa", am: 11.05.2010 | 21:15 Uhr