Interview Per Ferienscheck zur Venus
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03. April 2016, 09:07 Uhr
Tasillo Römisch eröffnete im sächsischen Mittweida Anfang der 1990er-Jahre ein Raumfahrtmuseum. Der studierte Ökonom präsentiert dort eine private Raumfahrt-Sammlung, die laut Guinness-Buch der Rekorde auch die weltgrößte ist. Seit über fünf Jahrzehnten verfolgt Römisch die Raumfahrtgeschichte in Ost und West. Ein Interview über Weltall-Erfolge, Raumfahrtbegeisterung und Propaganda.
Womit begann die Weltraumbegeisterung im Osten?
Mit dem Weltraumstart des sowjetischen Satelliten "Sputnik 1" am 4. Oktober 1957. Ich weiß noch, dass bei uns im Radio ständig dieses "Piep-piep" gespielt wurde, und dass meine Eltern ganz andächtig lauschten. Ich war damals vier Jahre und Sputnik 1 gehört zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen.
Aber richtig Fahrt nahm die Begeisterung erst auf, als Juri Gagarin 1961 gestartet ist. Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Der erste Satz der Lehrerin am Morgen war: "Ein Sowjetmensch ist im Weltall!" Ich konnte das damals nicht so richtig erfassen. Aber in der Folge waren die Radios und Zeitungen voll mit Verpflichtungen von Kollektiven zu Ehren dieses Weltraumereignisses. Viele Brigaden nahmen sich vor, ihren Plan um zehn Prozent mehr zu erfüllen. Es war magisch, eine richtige Euphorie entbrannte. Durch das Ereignis hat man sich damals im System bestätigt gefühlt. Es gab damals viele in der DDR, die mit den Sowjets nicht so richtig zurechtkamen. Aber als dann immer mehr Kosmonauten ins All flogen, gewann die Überzeugung die Oberhand, dass man froh sein konnte, so einen mächtigen und großen Partner zu haben.
Und wann begann Ihre Begeisterung für die Raumfahrt?
Als die Bilder von den Kosmonauten veröffentlicht wurden. Gagarin zeigte man immer beim Sport. Da wollte ich auch Sport machen, das hat mich motiviert. Ich wollte auch so muskulös aussehen, wie dieser Mensch.
German Titow flog dann als zweiter sowjetischer Kosmonaut ins All. Er besuchte damals die DDR. Die Leute haben zu Tausenden an der Straße gestanden und gewinkt. Er saß jedoch in einem abgedunkelten Auto. Auch ich war enttäuscht, ihn nicht zu Gesicht bekommen zu haben. Aber als ich sehr viel später bei den russischen Kosmonauten ein- und ausgehen durfte, war ich auch bei den Titows zu Gast.
Die Raumfahrt beflügelte die kühnsten Träume. Was stellte man sich damals vor?
Wir haben damals gedacht, man könne in absehbarer Zeit per Ferienscheck zum Mond und zur Venus fliegen. Das hat selbst einmal Gagarin gesagt. Nur wusste man damals noch nicht, dass man auf der Venus nicht landen kann. Nach der Mondlandung hat es mich persönlich gepackt. Ich wollte 1969 unbedingt Kosmonaut werden, aber keiner sagte mir, wo ich mich melden kann. Ich habe mich schließlich schriftlich an die Bildungseinrichtung Urania in Leipzig gewandt, doch leider nie eine Antwort bekommen.
Man sprach damals auch vom "kosmischen Zeitalter" ...
Die russischen Kosmonauten haben sich immer darüber mokiert, dass sich die Amerikaner "Astronauten" nennen. Ein Astronaut war für uns jemand, der zu den Sternen fliegt. Die Astronomie kommt ja von daher. Die Russen haben sich "Kosmonauten" genannt, weil sie mit dem Kosmos den erdnahen Raum meinten. Das war gewissermaßen der naheliegende Weltraum.
Und das kosmische Zeitalter selbst, darunter verstand man, dass es jetzt endlich gelungen war, den Kosmos zu erobern, obwohl das im Vergleich zu heute nur kleine Hopser waren. Das bedeutete, dass der Mensch in den Kosmos hinaustritt und sich von der Schwerkraft befreit.
Wie machten sich die Herrschenden diese Begeisterung zunutze oder wie befeuerten sie diese noch?
Man hat sich die Begeisterung natürlich zunutze gemacht, sie war ja auch tatsächlich da. Ich erinnere mich, wie sich Werktätige ganz motiviert und positiv zu den Ereignissen in Zeitungen und im Rundfunk geäußert haben, wenn wieder ein Russe im Weltall war. 1960 wurde in der DDR die Deutsche Astronautische Gesellschaft (DAG) gegründet. Die hatte sich zum Ziel gemacht, Fachwissen auf populäre Weise zu vermitteln. Die Inhalte waren sehr technisch orientiert und weniger ideologisch befrachtet. Aber einige Verfasser dieser Artikel sind trotzdem aus heutiger Sicht über die Stränge geschlagen. Ich erinnere mich an einen stark diskutierten Artikel, in dem es hieß "der Raketentreibstoff ist der Sozialismus". Das haben die Ingenieure kritisiert, aber damals musste man das wohl einfach so ausdrücken. Die ganze Begeisterung war also immer auch ideologisch belastet.
War der "Kampf der Systeme" quasi in den Weltraum verlegt?
Es war tatsächlich ein Wettkampf der Systeme und man sprach in den 1960er-Jahren von einer sogenannten Tonnen-Ideologie. Ständig wurde alles verglichen: Der "Sputnik" aus dem sozialistischen System war besser oder schwerer als die amerikanische Variante und hat soundsoviel Tonnen mehr ins All getragen. Mit diesen Zahlen und Fakten hat man tatsächlich Politik gemacht. Dieser Kampf der Systeme ist ja Gott sei Dank nicht militärisch ausgefochten worden. Ich meine, in der damaligen Zeit war die Raumfahrt eine Art Ventil, über die sich die Spannungen ein wenig entladen konnten. Die Technik ist zwar von den Militärs genutzt worden, aber sie war immer noch friedlich.
Doch es gab auch einen ideologischen Kampf der Systeme. Er ist erst 1975 für kurze Zeit beendet worden, als das sowjetische Raumschiff "Sojus" mit dem US-Raumschiff "Apollo" im Weltall aneinander gekoppelt wurden. Das eindrucksvollste Zeichen war dabei der Handschlag von Russen und Amerikanern im Kosmos. Damals hatte man viel Hoffnung, dass der Kalte Krieg zu Ende ist. Es war auch die Zeit der Sicherheitskonferenz in Helsinki, wo alle ein Dokument unterschrieben haben und tatsächlich begann zunächst eine Abrüstung.
Wie wurde über die Mondlandung der USA im Osten berichtet?
Alle amerikanischen bemannten Ereignisse waren in unserer Presse auch zu lesen. Aber natürlich in einem sehr starken Missverhältnis zu dem, was über die Raumfahrt der Russen geschrieben worden ist. Ich habe alte Zeitungen aufgehoben. Es wurde sogar auf der Titelseite der einschlägigen Zeitungen berichtet, aber relativ klein und dann gab es meist noch einen Kommentar dazu. In diesem Kommentar wurde gewissermaßen die Ideologie wieder gerade gerückt. Da kam dann immer ein großes Aber: " … zur gleichen Zeit ist der Vietnamkrieg!" Aber: "… schaut Euch die Verarmung der Massen an, die Arbeitslosigkeit“. Es wurde also gleichzeitig Systemkritik betrieben. In den Fachzeitschriften hat man aus meiner Sicht aber ausreichend Infos zu dem Ereignis bekommen.
Heute ist von Weltraumeuphorie kaum noch etwas zu spüren. Warum?
Die Begeisterung ist nach den Mondlandungen ganz rapide zurückgegangen. Die Russen haben sich dann auf Raumstationen konzentriert, weil sie es nicht geschafft hatten, auf dem Mond zu landen. Die Begeisterung flammt immer dann auf, wenn etwas passiert, wenn wieder mal ein Deutscher im Weltall ist, der kommunikativ ist. Aber das hält nie lange an. So eine Dauerbegeisterung wie damals hat es nie wieder gegeben.
Ich persönlich bedauere das natürlich. Der Raketeningenieur Wernher von Braun glaubte, dass man im Jahr 2000 bereits auf dem Mars landen würde. Dieser Prognose hängen wir heute weit hinterher. Der Nutzen der Raumfahrt als politisches Prestigeobjekt hat sich mit der Mondlandung erschöpft. Man hatte bewiesen, was man konnte. Die Politiker waren danach nicht mehr bereit, in gleicher Größenordnung finanzielle Mittel in die Raumfahrt zu stecken.
Was wünschen Sie sich in Sachen Raumfahrt?
Dass es mehr spektakuläre Dinge gibt, die zum Nutzen aller sind. Der Chef der europäischen Raumfahrtagentur, Jan Wörner, spricht von einem Monddorf. Ich glaube, dass würde der Sache wieder Auftrieb geben, vor allem, wenn man das Projekt international und gemeinsam angeht und nicht gleich wieder die Systeme und die Politik aufeinander losjagt.