Mit zweierlei Maß: DIN-Norm und TGL-Papierformate 100 Jahre Papierformat DIN A4
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18. August 2022, 18:53 Uhr
DIN A4 ist das deutsche Papierformat schlechthin und sorgt für Einheit im Büroalltag. Seit 100 Jahren hat ein Blatt Papier die Standardmaße 21 mal 29,7 Zentimeter. Trotz dieser krummen Maße bestanden auch in der DDR die DIN-Normen fort - allerdings unter anderem Namen. Denn die DDR kam 1955 mit einem eigenen Standard daher, entsprechend den Technischen Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen, oder kurz: TGL. Heute werden die DIN-Formate in allen europäischen Ländern verwendet.
DIN-Normen beherrschen unseren Alltag - nicht nur im Büro. Schon seit 100 Jahren, nämlich seit 1922, gibt es das bis heute in Deutschland standardmäßig eingesetzte DIN-A4-Format für Papiere, das damals eine Unmenge an unterschiedlichen Papiergrößen ablöste.
Die Initiative dazu geht auf den Mathematiker Walter Porstmann zurück, der aus dem Erzgebirge stammte. Porstmann wurde 1920 Mitarbeiter des Normenausschusses der Deutschen Industrie, der der Vorläufer des Deutschen Instituts für Normung war. Dieses veröffentlichte am 18. August 1922 die DIN 476 "Papierformate".
Erfolgreiches Format
Das Bezirksamt der bayerischen Stadt Wunsiedel übernahm als erstes das Format für seinen Behördenalltag. 14 Jahre dauerte es, bis sich die DIN-Vorgabe als verbindliches Papierformat im Deutschen Reich durchsetzte. Heute werden die DIN-Formate in allen europäischen Ländern verwendet. Das Format A4 hat sich mit dieser Bezeichnung sogar weltweit durchgesetzt. Lediglich die USA, Kanada, einige Länder in Zentralamerika halten bei Papierformaten weiterhin am Zollmaß fest.
DIN A4: Standard aus krummen Zahlen
Der Grund, warum gerade das A4-Format zum Standard wird, wirft für viele allerdings Rätsel auf. Ein Blatt Papier in diesem Format misst 21 mal 29,7 Zentimeter. Der Grund für die krummen Seitenlängen liegt in den Proportionen: Halbiert man ein DIN-A4-Blatt, entsteht ein exaktes DINA-A5-Blatt und nach erneuter Halbierung ein DIN-A6-Blatt.
Das erklärt jedoch noch immer nicht die "krummen Zahlen": Ausgangspunkt für die DIN-A4-Maße ist nämlich ein anderer und wird in die andere Richtung deutlich: Ein DIN-A4- wird verdoppelt zu einem DIN-A3-Blatt, über DIN A2 und A1 erreicht man schließlich das DIN-A-0-Format und das hat eine Fläche von exakt einem Quadratmeter. Die Nummern weisen also darauf hin, wie oft das Format ab A0 "gefaltet" worden ist, bei A4 dann eben viermal.
Ordnung ins Größenchaos bringen
Ohne die sogenannten DIN wäre unser Alltag wohl von Chaos geprägt, der Kauf einer Steckdose gliche etwa einer Lotterieteilnahme und grenzübergreifender Handel wäre kaum möglich. Seit dem 22. Dezember 1917 kümmert sich in Deutschland eine eigene Organisation, das Deutsche Institut für Normung e.V., um einheitliche Standards für unterschiedlichste Produkte.
Bis heute veröffentlicht der Beuth Verlag des Vereins deutscher Ingenieure die gültigen DIN-Normen. Der Verlagskatalog umfasst mehr als 160.000 Normungsdokumente
Normungs-Katalysator: Erster Weltkrieg
Die Anfänge der Normen sind im Ersten Weltkrieg zu finden. Die Hindenburg-Regierung und die Industrie versprachen sich von ihnen eine einfache und effiziente Herstellung von Rüstungsgütern. Der "Normenausschuß der deutschen Industrie" entwickelte die sogenannten Deutschen Industrie-Normen, die bald mit DIN abgekürzt wurden.
Die Organisation, seit 1920 ein eingetragener Verein, heißt seit 1975 Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN) und wurde im selben Jahr von der Bundesregierung als einzige Norminstanz in der Bundesrepublik anerkannt.
DDR: TGL statt DIN
Zu diesem Zeitpunkt ging die DDR schon seit 20 Jahren ihren eigenen Weg bei der Normung. 1954 wurde nach sowjetischem Vorbild das Amt für Standardisierung gegründet, das ab 1955 die Technischen Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen (TGL) setzte und herausgab.
Anders als beim DIN und seinen Vorgängern war die Normung in der DDR eine staatliche Angelegenheit. Die TGL-Normen waren verbindlich. Sie besaßen Gesetzeskraft und wurden als Gesetzblatt-Sonderdrucke, in Form von Taschenbüchern und in Zeitschriften veröffentlicht. Die DIN dagegen haben empfehlenden Charakter, basieren sie doch auf freiwilliger Zusammenarbeit aufgrund ökonomischer Vorzüge.
Normsache: die Lebensdauer von Kühlschränken und Co.
Die TGL umfassten außerdem einen größeren Bereich der Standardisierung. Es wurden zum Beispiel die Maße für Handtücher, die Inhaltsstoffe, das Gewicht etc. von Lebensmitteln sowie deren Lieferfristen vorgeschrieben. Außerdem gab es Vorgaben, wie lange elektrische Geräte funktionieren sollten.
Die Lebensdauer für Haushaltkühlgeräte und Kompressoren war mit zehn Jahren vorgeschrieben und wurde dann weiter verschärft auf zwölf Jahre ... Die Ausfallquote durfte maximal ein Prozent betragen.
DIN-Norm als "Nullnummer" der TGL
Die Welt des Maschinenbaus, des Bauwesens und anderer Bereiche wurde aber nicht komplett neu erfunden. Die DDR übernahm zwangsläufig viele etablierte DIN-Normen, zum Beispiel den Papier-Standard aus dem Jahr 1922. Bei den TGL-Nummern konnte man das an der vorangesetzten Null erkennen: Aus DIN A476 zum Beispiel wurde also TGL 0-476. Und über diesen Kniff verständigten Entwickler und Ingenieure in den beiden deutschen Staaten sich weiterhin. Die Übernahme von DIN-Normen und ihre Kenntlichmachung dürften auch den Export von DDR-Erzeugnissen in die Bundesrepublik erleichtert haben.
"Wiedervereinigung" der Normen
1990 fand dann auch in Sachen Normung und Standardisierung die Kehrtwende statt. Rund 35 Jahre nach ihrer Einführung wurden die TGL von den DIN abgelöst. Die sogenannte "Normenunion" zwischen den beiden deutschen Staaten trat am 4. Juli 1990 in Kraft, drei Tage nach der Währungsunion. Das DIN übernahm nach eigenen Angaben 114 Mitarbeiter aus dem Bereich Standardisierung des DDR-Amtes für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung. Außerdem beherbergt es neben der Bauhaus-Universität Weimar die umfangsreichste TGL-Sammlung mit rund 30.000 Normen.
TGL – Garant und Innovationsbremse zugleich
Rückblickend sorgten die TGL in der DDR-Volkswirtschaft für einen gewisse Qualitätssicherung, wie sich an der langen Funktionstüchtigkeit von Haushaltsgeräten sehen lässt. Kritisch eingeschätzt wird die Entwicklungs- und Innovationsfähigkeit des Normungssystems TGL.
Der Staat als Eigentümer, als Hersteller, als Verbraucher, als technische Überwachung und Berufsgenossenschaft in einem, das war ein unbeweglicher Koloss. Dieses Normensystem war zugleich wider das Wesen der Technik.
So ganz der Vergangenheit gehören die TGL aber noch nicht an. Für Abriss, Umbau oder Sanierung von Gebäuden aus der DDR-Zeit zum Beispiel kann eine gewisse Kenntnis der damaligen Bauvorschriften von Vorteil sein. Manche TGL wurden in die entsprechende DIN aufgenommen, etwa in die Vorgaben für Stauanlagen. Und manche TGL, zum Beispiel für Kleinteile wie Federn, unterschieden sich so sehr vom DIN-Gegenstück, dass sie noch immer in Gebrauch sind.
DIN, DIN EN und IN EN ISO
Die Abkürzung DIN stand zunächst für Deutsche Industrie-Norm. Der später ins Spiel gebrachte Slogan "Das Ist Norm" setzte sich nicht durch. Heute steht DIN als Abkürzung für das Deutsche Institut für Normung, das "Deutsche Normen" oder "DIN-Normen" entwickelt.
DIN EN sind europaweit geltende Normen.
DIN EN ISO sind weltweit vereinbarte Normen.
Buchtipps
* Günther Luxbacher: DIN von 1917 bis 2017. Hrsg. vom DIN, Beuth-Verlag 2017.
* Eberhard Mücke: TGL - Technische Regeln im Osten Deutschlands. Vom Alliierten Kontrollrat bis zur Normenunion 1945-1990. Hrsg. vom DIN, Beuth-Verlag 2010.