Friseurhandwerk zwischen Krise und Erfindungsreichtum DDR-Friseure konnten improvisieren
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12. Juli 2024, 15:15 Uhr
Das Friseurhandwerk hat sich durch den Corona-Lockdown in einer Krise ungekannten Ausmaßes befunden und nur langsam bewältigt. Erst nach zweieinhalb Monaten Zwangspause durften die Salons wieder öffnen. Dafür entsteht jetzt mit den vielen Barbar-Shops in jeder Stadt eine neue Konkurrenz. Aber auch in der DDR hatten es die Haarkünstler nicht immer leicht, wenn auch aus anderen Gründen. Mal fehlte es an Haarfarbe, mal an Haarspray. Doch einen Starfriseur gab es auch und DDR-Friseure konnten improvisieren!
Wenn diejenigen von uns mit DDR-Geschichte an eine Frisur aus diesen Zeiten denken, haben sicher viele die Löwenmähne von Tamara Danz oder den berühmt-berüchtigten lila Schopf von Margot Honecker im Gedächtnis - denn Einfallsreichtum und Improvisieren in diesem Handwerk hat in Ostdeutschland Tradition.
Salon Astoria International in Leipzig
Mitte der 60er-Jahre soll in Leipzig der größte und modernste Friseursalon der DDR entstehen – mit fast 1.000 Quadratmetern Fläche. Über die Eröffnung des Salons PGH Astoria International am 4. Dezember 1967 berichtet sogar die Aktuelle Kamera. In diesem Laden lassen sich auch DDR-Stars wie Gaby Seifert, Dagmar Frederic und Margot Ebert gern frisieren.
Kult-Friseure der DDR
In Berlin entwickelte sich Frank Schäfer, der Sohn des Schauspielers Gerd E. Schäfer, zum Kultfriseur. In Leipzig war Rolf Fischer der Star des Astoria International - viele kamen seinetwegen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt: Schon bald setzt Kalk die Rohre zu, es fließt kein warmes Wasser. Mit Tauchsiedern wurde also in großen Eimern Wasser erhitzt. Wenn das Haarspray knapp war, wurde eben mit Zuckerwasser fixiert. Improvisationstalent hält den Laden am Laufen und tut der Beliebtheit keinen Abbruch.
DDR-Mangelwirtschaft: Zuckerwasser statt Haarspray
Solche Tricks kennt auch Cornelia Scheuer-Barthel, ehemalige Landesinnungsmeisterin des sächsischen Friseurhandwerks und Obermeisterin der Friseurinnung in Zwickau. Sie erzält im Interview mit MDR ZEITREISE, dass Bier statt Festiger oder Spülungen aus Olivenöl und Eigelb in der DDR zum Alltag vieler Kundinnen gehört habe. Allerdings sei das in Zeiten des Mangels vor allem Zuhause gemacht worden, weniger in den Salons.
Not macht erfinderisch: Föhnen mit Flaschenputzer
Aber auch in den Friseurgeschäften musste der Mangel kreativ ausgeglichen werden. Das gelang den Mitarbeitern erstaunlich gut. So erzählt Scheuer-Barthel, dass es immer ein Problem gewesen sei, Ware und Zubehör zu bekommen. Das Farbsortiment sei vor allem sehr klein gewesen. Man musste daher nehmen, was es gab. Es waren zum Beispiel oft keine Wasserstoffperoxydtabletten erhältlich, also wurde flüssiges Wasserstoffperoxyd in der Apotheke gekauft. Ein Klassiker war die fehlende Strähnchenhaube. Weil es die nicht gab, sei eine Badekappe genommen worden und die Strähnen wurden mit der Häckelnadel herausgezogen. Besonderer Erfindungsgeist war bei Fönfrisuren gefragt: Runde Flaschenputzer seien zur Föhnbürste umfunktioniert worden, indem von einem Drechsler ein Griff angebracht worden sei.
Schüttelfrisur und Angela-Davis-Look
Spezielle Ost-Trends bei den Haarschnitten gab es nach ihrer Erfahrung nicht. Sie erinnert sich vielmehr an Kundinnen, die mit Bildern von Stars gekommen sind und einen solchen Haarschnitt wünschten. Ehrlicherweise seien das aber eher Künstler aus dem Westen gewesen, wie zum Beispiel Mireille Mathieu oder die in der DDR sehr populäre Bürgerrechtlerin Angela Davis. Aber natürlich erinnert auch sie sich an die typisch ostdeutschen lila Spülungen im weißen Haar.
Ulrike Lindner, Friseurmeisterin aus Aue-Bad Schlema, erinnert sich wiederum daran, dass regelmäßig Modeveranstaltungen des Zentralverbands Friseurhandwerk stattfanden. Dort seien sogenannte Modeempfehlungen ausgesprochen worden, nach denen dann eben frisiert worden sei. Prominente der DDR hätten diese Frisuren natürlich zuerst getragen - wie z.B. Dagmar Frederic ihre Zwei-Farben-Frisur - und damit dann einen gewissen Trend gesetzt. An die lila Spülung im weißen Haar erinnert sie sich selbstverständlich ebenfalls. Lachend sagt sie: "Es gab eben nichts anderes."
Selbständig in der DDR: Wenig Gleichberechtigung
Cornelia Scheuer-Barthel hat ihr Handwerk 1973 erlernt und damit einen damaligen Traumberuf ergriffen. Der Weg zum eigenen Salon sei in der DDR jedoch sehr steinig gewesen. Nach ihrer Erfahrung gab es fast nur Ehepaare, die ein privates Geschäft führen durften, wobei die Männer die Besitzer waren. Scheuer-Barthel ist nur ein Fall bekannt, bei dem eine Tochter allein das elterliche Geschäft weiterführen durfte. Es habe also vor der Wende in ihrem Umfeld kaum selbstständigen Unternehmerinnen gegeben. In der DDR seien die privaten Friseure von Staatsseite nicht gerne gesehen worden.
Die sogenannten PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) seien besser angesehen gewesen. Auch hätten die ihre Mitarbeiter besser bezahlen dürfen, denn auch der Lohn war ebenso wie die Preise staatlich geregelt. Ehefrauen von selbständigen Friseuren durften bis 1961 von ihren Männern nicht bezahlt werden. Sie waren "mithelfende Ehefrauen". Das wirkt bis heute nach: Die betroffenen Frauen erhalten sehr geringe Renten.
PGH Eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) war sozialistische Genossenschaft der DDR. Mitglieder waren Handwerker oder Gewerbetreibende mit Eintrag in der Handwerks- oder Gewerberolle. Auch Beschäftigte oder mithelfende Ehepartner konnten Mitglieder einer PGH sein. Der Zusammenschluss hatte das Ziel, Gemeineigentum an den Produktionsmitteln zu bilden.
Schwarzarbeit: Schon in der DDR ein Problem
Den Zusammenhang mit der Corona-Krise sieht Scheuer-Barthel im Interview 2021 in der Schwarzarbeit: Nach ihrer Einschätzung sei die immer das größte Problem im Friseurhandwerk gewesen. Besonders während des Lockdowns habe die floriert. In ihren Augen habe sich die Pandemie wie ein Brennglas ausgewirkt. Alles, was es schon vorher an Problemen gab - auch zu DDR-Zeiten - werde in jeder Krise noch deutlicher sichtbar.
Der Artikel erschien erstmals im März 2021 und wurde 2024 aktualisiert.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 01. März 2021 | 21:45 Uhr