Stasi-Kinder: Mein Vater war beim MfS
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08. Dezember 2021, 17:20 Uhr
Zwei Frauen und drei Männer erzählen, wie es war, mit einem Vater aufzuwachsen, der im Dienste Erich Mielkes stand: Was sie von seiner Arbeit wussten oder ahnten, wie sich das auf das Familienleben auswirkte und welche Spuren die Erlebnisse von damals in ihrer Biografie hinterlassen haben.
Mehrere zehntausend hauptamtliche Mitarbeiter versehen in der Berliner Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Berlin-Lichtenberg und in den Bezirksverwaltungen ihren Dienst. 1989 gibt es über 91.000 Beschäftigte, die als "Schild und Schwert der Partei" gegen die Feinde des Sozialismus kämpfen.
Strikte Geheimhaltung
Geprägt von den Erfahrungen aus Nazizeit und Krieg, gehören die Eltern der "Stasi-Kinder" zur Aufbaugeneration der DDR. Ihr Leben steht im Dienst des sozialistischen Staates. In diesem Geist erziehen sie auch ihre Kinder. "Mein Vater ist beim MdI" - so sollen die Kinder antworten, wenn sie nach der Arbeit ihrer Eltern gefragt werden. "MdI", das steht für "Ministerium des Innern". In Wirklichkeit aber ist es das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, in dem ihre Väter arbeiten. Hauptamtlich, mit lebenslang gültigem Eid und der Verpflichtung zu strikter Geheimhaltung. So strikt, dass die Mitarbeiter auch zu Hause nicht über ihre Arbeit sprechen dürfen - und ihre Kinder belügen oder zu einer Lüge anhalten.
Aus Liebe zu den Eltern folgen viele Kinder den Regeln des Apparates. Sie spüren den Druck, der auf ihren Vätern lastet: Die Kontrolle durch das eigene System. Der kleinste Fehltritt könnte die ganze Familie die Existenz kosten.
Familiäre Auseinandersetzungen
Auch bei Familie Lengsfeld sind die Regeln klar. Der Vater arbeitet als Offizier der Auslandsspionage. Doch lange Zeit glauben die beiden Töchter, er sei bei der Volksarmee. Der sozialistische Mensch würde eines Tages der Sieger der Geschichte sein, bekommen sie vermittelt. Das Weltbild der Kinder ist intakt.
Meine Mutter hat ihre Töchter in diesem Sinne erzogen, dass sie von vornherein gelernt haben, keine Fragen zu stellen, sondern mit dem zufrieden zu sein, was man von den Eltern gesagt bekam.
Als Vera Lengsfeld mit 17 Jahren durch Zufall entdeckt, dass ihr Vater für die Stasi arbeitet, ist das für sie ein gewaltiger Schock. Immer brüchiger wird ihre bis dahin heile Welt. Bald lernt sie andere Lebenswirklichkeiten kennen und merkt, dass die Welt, in der sie sich bisher bewegt, nicht repräsentativ ist. Sie beginnt, Fragen zu stellen, und gerät ins Visier des Apparates. Und je mehr sie an dem System zweifelt, desto heftiger werden auch die Auseinandersetzungen zwischen Vater und Tochter. Eine verbotene Jugendliebe führt schließlich zum Bruch mit dem Staat.
Für mich war das das Ende meiner Liebe zur DDR.
Bald ist Vera Lengsfeld Bürgerrechtlerin und dem Staat ein Dorn im Auge. Anhand von privatem 8-mm-Filmmaterial erzählt Vera Lengsfeld von ihrer Kindheit und Jugend, von Konflikten und ihrer Aussöhnung mit dem Vater.
Sippenhaft
Lange ist auch die Welt der Geschwister Sabine, Lutz und Thomas Tröbner in Ordnung. Ihren Vater bekommen sie nur selten zu sehen. Der ist Oberstleutnant der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) und lebt für seine Arbeit. Die Hauptlast in Sachen Haushalt und Erziehung trägt die Mutter. Sie hält ihrem Mann den Rücken frei, ganz im Sinne des Rollenbildes des MfS. Auch sie weiß über die Arbeit ihres Mannes nicht alles.
Das war mir klar: Das ist eben eine staatliche Funktion, über die man sich nicht austauschen kann.
Für die drei Geschwister ist die Arbeit ihres Vaters ein Tabuthema und das Leben mit dem Geheimnis normaler Kinderalltag. Während Lutz und Sabine ihren Weg in der DDR gehen, fängt Thomas an zu zweifeln und stellt schließlich einen Ausreiseantrag. Der Vater wird deshalb zu disziplinarischen Gesprächen zitiert, denn das MfS duldet kein Abweichlertum in den eigenen Reihen. Mitarbeiter und ihre Angehörigen stehen unter verschärfter Beobachtung durch die eigenen Genossen. Als Thomas bei einem Fluchtversuch verhaftet wird, erklärt der Vater schriftlich die Trennung von seinem Ältesten. Erst der Fall der Mauer bringt sie wieder zusammen.
Disziplin und Leistung
Auch Frank Neubert wächst in einer Offiziersfamilie auf. Sein Vater ist bei der Spionageabwehr und fordert von seinem Sohn Disziplin und gute Leistungen. Nicht immer wird er dem gerecht. Zahlreiche Regeln und Verbote bestimmen das Familienleben. Schon ein harmloser Fußballwimpel von einem gegnerischen Verein löst einen Konflikt aus. Westliche Kleidung und Musik werden für Frank zu Symbolen des Widerstands gegen das starre ideologische Korsett seiner Eltern. Im Punk findet er seine Freiheit.
Mit 16 Jahren hab ich dann eine Bassgitarre nach Hause gebracht. Ich hab gedacht, die Weltrevolution bricht zu Hause aus. Das hat mein Vater überhaupt nicht verstanden.
Als Frank den Wehrdienst verweigern will, kommt es zum Bruch mit dem Vater. Beide gehen sich bis heute aus dem Weg.
Buchtipp:
Ruth Hoffmann:
"Stasi-Kinder. Aufwachsen im Überwachungsstaat"
317 Seiten,
Berlin: Propyläen Verlag 2012,
ISBN: 978-3-549-07410-7
Preis: 19,99 Euro