Ein gefüllter Pilzkorb.
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Pilzsaison "Wir gehen in die Pilze" - Die Tradition des Pilzesammelns in der DDR

10. November 2023, 11:20 Uhr

Die Blätter sind bunt und kleine, runde "Hüte" sprießen aus dem Boden: Es ist wieder Pilzsaison. Auch in der DDR war es eine beliebte Freizeitaktivität mit dem Körbchen in den Wald zu ziehen, um Pilze zu sammeln. MDR Geschichte sprach mit zwei Pilzkennern über ihre Erfahrungen und ob sich die Pilzwelt geändert hat?

Schon als Kind gings regelmäßig "in die Pilze"

Stefan Fischer war ein Waldkind, wie er selbst sagt. Er ist in der Nähe des Leipziger Auwaldes groß geworden. Sein Großvater, ein begeisterter Pilzsammler, nimmt ihn als Vierjährigen erstmals mit auf "Pilzjagd". Fischer erinnert sich, dass es unangenehm war, mit kurzer Hose durch das Gestrüpp zu laufen.

Ich habe mich viel allein im Wald herumgetrieben - irgendwann kommt man da auch auf Pilze und im Bücherregal fand ich dann das Taschenbuch für Pilzfreunde von Bruno Hennig.

Stefan Fischer

Seine Neugier ist geweckt, er beginnt Pilze zu suchen und zu bestimmen. Die Pilzkunde wird zu seiner Leidenschaft und seit 2018 ist der heute 65-jährige Stefan Fischer Pilzsachverständiger.   

Stefan Fischer
Stefan Fischer ist Pilzsachverständiger und der Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. Bildrechte: DGfM/ Georg Schabel

Auch sein Kollege Peter Roland kommt schon im zarten Alter von sechs Jahren zur Pilzleidenschaft. Seine Oma sammelt Heilkräuter und kennt sich natürlich auch mit Waldpilzen bestens aus. Sie nimmt ihren Enkel Peter 1963 zum ersten Mal mit "in die Pilze". Da ging es los, erinnert sich Rohland zurück, dass er ein Gespür für die Natur entwickelt hat - und eben auch für Pilze.

Peter Rohland hält 2012 über verschiedenen Pilzsorten einen essbaren Anischampignon und einen giftigen Champignon in den Händen.
Der Pilzexperte Peter Rohland im Jahr 2012. Bildrechte: picture alliance / ZB | Waltraud Grubitzsch

Pilzkunde mit staatlicher Unterstützung

In der DDR erfreut sich das Pilze sammeln größter Beliebtheit und wird sogar staatlich unterstützt. Etwa durch zahlreiche Pilzberatungsstellen, die dem Gesundheitsministerium unterstehen.

Das Pilze sammeln in der DDR als Freizeitbeschäftigung war eine große Sache – da gab es auch das staatliche Netz der Pilzberater.

Stefan Fischer, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Mykologie

Es gibt extra Kochbücher für Pilzsammler, ein Brettspiel zum Thema, sowie ein Quartett, Briefmarken und auch eine Serie von Streichholzschachteln ist mit Speise- und Giftpilzen verziert.

Zwei Frauen spielen das Spiel "Wir sammeln Pilze".
Zwei Frauen spielen das DDR-Spiel "Wir sammeln Pilze". Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Martin Schutt

Die Kinder können in außerschulischen Arbeitsgemeinschaften üben, wie man Pilze erkennt und zu bereitet.

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Pilze sammeln als ostdeutsche Familientradition

Die meisten werden, wie Stefan Fischer und Peter Rohland, durch die Familie heran geführt. Großeltern und Eltern betrachteten es als selbstverständlich, Pilze zu sammeln und auch zu essen. Gerade in der Nachkriegsgeneration waren sie eine wichtige zusätzliche Nahrungsquelle. Die Generationen geben ihre Erfahrung und die damit verbunden Rituale weiter. Das zeitige Aufstehen zum Beispiel: An den Herbstwochenenden klingelt früh der Wecker, damit man auch ja die besten Sammelplätze ergattert. Und das ist heute immer noch so.

Das frühe Losgehen, das liegt nicht daran, dass die Pilze morgens besonders gut sind, das hat eher etwas damit zu tun, dass man der Erste sein will und die anderen ja auch die ersten sein wollen… Man möchte ja nicht nur abgeschnittene Stiele finden

Stefan Fischer

Stefan Fischer erinnert sich vor allem an die Urlaube mit seinen Eltern. Da ging es regelmäßig auf Pilzjagd. Wenn die Unterkunft geeignete Kochmöglichkeiten hatte, wurde die Beute dann auch gleich zubereitet und verspeist. Sie sammelten vor allem die Sorten, die sie kannten und die leicht als essbar zu erkennen waren: Marone, Ziegenlippe, Steinpilz.

In der DDR wurden auch "ungenießbare" Pilze verspeist

Die beiden Experten erzählen auch, dass sich die Pilzwelt im Laufe der Jahre verändert hat, beispielsweise durch zugewanderte Arten. Auch gelten Pilze heute als giftig, die in der DDR noch gegessen wurden, beispielswiese der Kahle Krempling oder der Grünling.

Cover eines Buches
Pilzberatungsbuch 1980 Bildrechte: Urania Verlag

Stefan Fischer erklärt, dass es in der DDR eigentlich nur die Maronen zu kaufen gab, selten auch Steinpilze oder Pfifferlinge, die dann aber teuer verkauft wurden. "Es sprach sich dann immer schnell rum, wenn am Sonntag ab 14 Uhr am Gemüseladen Pilze verkauft wurden. Dann stellte man sich in die lange Schlange und konnte in der Regel für 12,5 Mark einen Korb Maronen kaufen."

Rohland berichtet: "Pilze wurden früher eingekocht, eingelegt oder auch getrocknet – diese Techniken haben sich bis heute gehalten." Er erzählt, dass die Pilze oft rar waren und es einige Pilzsammler gab, die ihre Funde an den Straßenrändern zum Verkauf anboten. Daran erinnert sich auch Fischer: "Das gab es insbesondere in Polen, wenn man die Autobahn nach Breslau gefahren ist, da sah man in den 1970er-Jahren Menschen am Straßenrand, die ihre frischgesammelten Pilze verkauften."

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Der Atomunfall von Tschernobyl verseucht die Wälder 

Natürlich wurden auch in der Bundesrepublik Pilze gesammelt. Allerdings nahm das vorerst ein abruptes Ende. Nach der Reaktorexplosion in Tschernobyl 1986 wurden dort in einigen Regionen Warnungen vor dem Verzehr von Pilzen ausgesprochen. Dagegen wurden in DDR die Auswirkungen der Katastrophe von der öffentlichen Berichterstattung verharmlost. Generell war der Osten weniger betroffen als der Westen, im Osten waren vor allem Gebiete im Norden Sachsen-Anhalts und im Süden Mecklenburg-Vorpommerns belastet, wie Fischer berichtet.

Die Pilzleidenschaft hält ein Leben lang

Peter Rohland ist inzwischen Rentner und geht jeden Tag in die Natur rund um Leipzig. Sogar im Winter bringt er Pilze mit nach Hause.

Bei mir geht es dabei auch um die Suche nach der Natur und das Alleinsein. Die Luft und die Sonne genießen. Man fühlt sich gesund und bleibt es auch!

Peter Rohland, Pilzsachverständiger

Mittlerweile ist er Mitglied in vielen Pilzvereinen und unterhält Kontakte in die ganze Welt.

Auf die Frage, wie es um die Konkurrenz zwischen den Pilzesammlern steht, antwortet Peter Fischer, dass das von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich sei, meist verteilt sich das ganz gut, da jeder seine "Geheimstellen" hat. Rohland erzählt, dass man sich an den Stellen oft kennt, mit einigen tauscht man sogar Fotos der Funde aus, mit anderen redet man gar nicht.

Pilzexperte Stefan Fischer hat den sparrigen Schüppling gefunden
Pilzexperte Stefan Fischer findet den sparrigen Schüppling im Wald. Bildrechte: Caroline Fischer

Peter Rohland versucht auch anderen seine Begeisterung näher zu bringen, er kocht mit Kindern und bietet seit mehreren Jahren Pilzwanderungen in Leipzig und Umgebung an, an denen bis zu 100 Personen teilnehmen.

Pilze werden mich bis ins Grab begleiten – ich werde mich immer über Pilze freuen.

Peter Rohland

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4: Mitteldeutschland: Pilzsaison | 20. September 2022 | 16:00 Uhr