Erfahrungsbericht Stefan Lauter: Jugendwerkhof Freital
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04. Januar 2016, 18:40 Uhr
Auf einer offiziellen Schulveranstaltung erklärt Stefan Lauter seinen Austritt aus der FDJ - ein Eklat. Er rebelliert weiter und wird schließlich mit 17 Jahren in den Jugendwerkhof Freital eingewiesen.
Es ist der 17. November 1984. Stefan Lauter sitzt im Büro des Direktors. Am Morgen ist er vom Durchgangsheim Alt-Stralau in den Jugendwerkhof Freital gebracht worden. Was ihn hier erwartet, weiß er nicht. Der große helle Raum steht voller Akten. Grußlos geht der Direktor an Stefan Lauter vorbei, beginnt in den Dokumenten seines neuen Zöglings zu blättern: "Hier steht, Du bist gar nicht in der FDJ?", sagt er aufgeregt. "Das ändern wir sofort. Bei uns ist jeder in der FDJ." Stefan Lauter ist schockiert. Er lächelt und sagt etwas, womit der Heimleiter nicht gerechnet hätte: "Nö!".
Es ist nicht das erste Mal, dass der Teenager "Nö" sagt. Mit 15 hatte er sich in ein Mädchen verliebt. Eine überzeugte Christin, die ihn mit in die Evangelische Gemeinde nimmt. Sie diskutieren über Politik, über russische Raketen und die Unfreiheit in der DDR. Bald steht für Stefan Lauter fest, dass er nicht mehr Mitglied in der FDJ sein möchte. Auf einer offiziellen Schulveranstaltung, im Beisein von Vertretern der SED und des Ministeriums für Staatssicherheit, erklärt er seinen Austritt aus der Organisation - ein Eklat. Lehrer bezeichnen ihn als "Staatsfeind". Sein Notendurchschnitt verschlechtert sich drastisch. Sogar seine Mutter distanziert sich von ihm. Doch der Junge rebelliert weiter. Er haut von zu Hause ab, klaut Mopeds, wird zu Jugendarrest verurteilt. Mit 17 erfolgt dann die Einweisung in den Jugendwerkhof.
Nö zu allem!
Der Direktor in Freital weiß, dass der Junge ohne Unterschrift nicht in die FDJ aufgenommen werden darf. Er ist machtlos. Doch von nun an steht sein neuer Zögling unter scharfer Beobachtung. Die Monate im Jugendwerkhof empfindet Stefan Lauter als Zumutung. Da das Heim für seine männlichen Jugendlichen nur eine Lehre als Hilfsschlosser anbietet, kann er seine Ausbildung zum Facharbeiter für Zerspanungstechnik nicht fortsetzen. Doch ohne richtige Ausbildung, das ist ihm bewusst, droht lebenslang eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter. Sich beschweren ist nutzlos. Das für ihn zuständige Jugendamt darf er nicht anrufen. Lauter fühlt sich machtlos und sagt von nun an zu allem "Nö". Statt arbeiten zu gehen, lässt er sich krankschreiben. FDJ-Abende, Politerziehung, GST-Nachmittage, alle wesentlichen Elemente der Heimerziehung, lehnt er kategorisch ab. Er provoziert, beginnt seine Erzieher zu duzen. Eines Nachts haut Lauter sogar aus dem Heim ab und fährt nach Berlin, um bei seinem Jugendamt vorzusprechen. Nach sechs Tagen wird er gefasst und zurück nach Freital gebracht.
"Umerziehungsbereit" machen in Torgau
Als er am nächsten Morgen aufwacht, steht eine Gruppe von Männern neben seinem Bett. Dann geht alles sehr schnell. Jemand dreht ihm den Arm auf den Rücken, bringt ihn in eine Arrestzelle. Ein paar Stunden später wird er in ein Auto verfrachtet. Die Reise geht in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Hier soll Stefan Lauter - wie es damals hieß - umerziehungsbereit" gemacht werden. Von außen sieht er die hohen Mauern, das unüberwindliche Eingangstor. Stundenlang muss er im Eingangsbereich stehen. Jede Regung, Sitzen, Hocken oder Anlehnen an der Wand ist verboten. Als er am Nachmittag einen Erzieher fragt, wie lange er hier noch stehen muss, wirft der ihm einen Schlüsselbund an den Kopf und schreit: "Hier fragen wir!". Am Abend bekommt er Häftlingskleidung und wird in eine Zelle gebracht. Stefan Lauter ist schockiert. Dann denkt er nach und sagt ganz leise: "Nö".
Jugendwerkhof Freital "Junge Welt"
Von 1949 bis 1989 war in den zwei Barackenreihen der Jugendwerkhof untergebracht.
Das Objekt wurde im Zuge des Baus der Autobahn A 17 abgerissen.