Erfahrungsbericht Andreas Freund: Jugendwerkhof Hummelshain
Hauptinhalt
04. Januar 2016, 18:14 Uhr
Seine "Heimkarriere" beginnt mit 13 Jahren im Durchgangsheim Halle-Goldberg. Die weiteren Stationen sind Hummelshain und Torgau.
Andreas Freund steht vor seiner Gruppe. Er ist dreckig und müde. Seine Arme und Knie sind aufgeschürft. Die Jungen haben sich vor ihm in zwei Reihen aufgebaut. Er weiß, was jetzt kommt. Immer, wenn er wieder mal aus dem Jugendwerkhof abgehauen ist, muss Andreas Freund dieses Ritual durchleiden. Sich zu wehren, das ist ihm klar, nutzt nichts. "Los! Durch das Spalier!", sagt einer der Jugendlichen. Sofort setzt es Hiebe und Tritte. Jeder Jugendliche, an dem er vorbeigeht, prügelt nach Kräften auf den schmächtigen Jungen ein. Es ist Nacht, und die Erzieher des Jugendwerkhofs sind längst nach Hause gegangen.
Im Alter von 13 Jahren wird Andreas Freund erstmals zwangsweise in ein Heim eingewiesen: ins Durchgangsheim Halle-Goldberg - mit Gittern vor den Fenstern und Akkordarbeit für die Jugendlichen. Schon in der ersten Nacht wird der Neuling von den Größeren verprügelt. Die ständigen Schläge und Demütigungen hält er nicht lange aus. Schon nach kurzer Zeit läuft er weg. Er kommt in ein Spezialkinderheim und mit 14 schließlich in den Jugendwerkhof Hummelshain.
Hummelshain – eine besonders fortschrittliche Einrichtung
"Hummelshain", das gilt unter einigen Pädagogen der DDR als besonders fortschrittliche Einrichtung. Auf Arrestzellen, wie sie in anderen Jugendwerkhöfen üblich waren, wird hier verzichtet. Umzäunungen gibt es ebenso wenig wie Nachterzieher, die die Jugendlichen während der Bettruhe hätten beaufsichtigen können.
Andreas Freund findet Hummelshain von Beginn an entsetzlich. Noch heute erinnert er sich genau an seine Ankunft in dem riesigen Schloss, den Geruch nach Kellerfäule und Bohnerwachs und den Empfang in seiner Gruppe. Tagsüber herrscht in Hummelshain das Regiment der Erzieher. Nachts gilt eine den Pädagogen wenig bekannte Hackordnung: das Recht der Stärkeren, Neulinge stehen in der Hierarchie ganz unten.
Kollektiverziehung für Ausreißer
Andreas Freund ist klar, dass er hier weg muss. Wieder reißt er aus, schlägt sich bis nach Jena durch. Er wird gefasst und zurückgebracht. Auf "Entweichungen" stehen in den Jugendwerkhöfen schwere Strafen: Rückkehrer müssen Strafkleidung tragen oder im Wiederholungsfall mit Rasierklinge und Zahnbürste Toiletten putzen. Viele Heime setzen sogar Prämien aus, um Fluchten zu verhindern. Gruppen, die lange Zeit keine "Ausreißer" in ihren Reihen hatten, werden mit Ausflügen oder Ferienfahrten belohnt. Die Jugendlichen sollen ihre Konflikte untereinander lösen. "Kollektiverziehung" nennt sich das in der Sprache der "Pädagogen".
Torgau - Prügel, Hunger, Dunkelarrest
Für Ausreißer wie Andreas Freund bedeutet das vor allem Prügel. Mit seiner Flucht zieht er den Groll der gesamten Gruppe auf sich. Jeder Tritt, jeder Hieb ist ein neues Argument, hier abzuhauen. Und nach jeder neuen Flucht wird er noch härter geschlagen. Was Andreas zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Nach mehreren "Entweichungen" droht im Jugendwerkhof die schlimmste Strafe, die Einweisung in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Es folgt die bedrückendste Zeit seines Lebens: Prügel, Hunger, Dunkelarrest und eine Erkenntnis: Es sind nicht die Heime, in denen er es nicht aushält, es ist das ganze Land.
Aus Torgau zurück in Hummelshain plant er, nun endgültig abzuhauen. Mit einem Freund will er sich über die Grenze in den Westen durchschlagen. Doch sie kommen nicht weit. In Jena wartet bereits die Polizei. Auf "versuchte Republikflucht" stehen hohe Gefängnisstrafen. Nach seiner Haft stellt Andreas Freund einen Ausreiseantrag. Im April 1989 darf er die DDR verlassen. Noch heute hat er von den Verletzungen Narben an seinem Körper.
Jugendwerkhof Hummelshain "Ehre der Arbeit"
Von 1948 bis 1991 waren im Neuen Jagdschloss Hummelhain, das den Sachsen Altenburgischen Herrschern als Sommerresidenz diente, ein Kinder- und ein Jugendheim sowie der Jugendwerkhof "Ehre der Arbeit" untergebracht.
Heute können die repräsentativen Innenräume für Hochzeiten, Feste, Tagungen u.ä. gemietet werden