Interview mit MDR-Moderatorin Victoria Herrmann Ein Format, das in keine Schublade passte
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02. September 2014, 13:37 Uhr
Mit "Elf99" startete am 1. September 1989 ein neues Format für Jugendliche im DDR-Fernsehen - eine Mischung aus Musik-Videos, aktuellen Reportagen, Sportberichten und Fernsehserien. Wir haben Moderatorin Victoria Herrmann, die von Anfang an dabei war, gefragt, was das Besondere an "Elf 99" war.
Wie sind Sie zu "Elf 99" gekommen?
Victoria Herrmann: Ich habe damals schon beim DFF gearbeitet, bei der Vorgängersendung "KliK" – Klasse im Klub. Die Sendung hab ich noch neben meiner Berufsausbildung zur Wirtschaftskauffrau moderiert. Ich fand Fernsehen schon immer ganz spannend, weil mein Großvater als Produktionsleiter bei der DEFA und für den Fernsehfunk gearbeitet hat. In den Ferien durfte ich auch mal Fernsehluft schnuppern und Kabel halten.
Können Sie sich noch an die erste Sendung erinnern?
Am 1. September 1989 sind wir auf Sendung gegangen. "KliK" wurde ja aufgezeichnet, da hatte man viel mehr Zeit, konnte auch mal Moderationen wiederholen, wenn man sich versprochen hatte. Und "Elf 99" – das waren zwei Stunden live. Das war wahnsinnig aufregend.
Wie sah denn das Konzept der Sendung aus?
Ende der Achtzigerjahre ging es ja los mit Glasnost und Perestroika und den Montagsdemos in Leipzig, es war ja ein genereller Aufbruch in der DDR zu spüren. Alles guckte gen Westen, die Zeit der Massenfluchten begann. Und es war deutlich zu spüren, dass die Jugend keinen Bock mehr auf die Partei hatte. Die Altherrenriege im Zentralkomitee hatte sich damals allen Ernstes gedacht, wenn sie den Jugendlichen etwas Äquivalentes zu den Jugendsendungen im Westfernsehen bieten, können sie die Ausreisewelle stoppen. Es ist schon absurd, wie die damals getickt haben. Dass die wirklich dachten, mit einem neuen Jugendnachmittag im Fernsehen können wir verhindern, dass die jungen Leute in den Westen abwandern.
Der Zuspruch war aber enorm – die Einschaltquoten lagen ja bei bis 40 Prozent bei den 14- bis 19-Jährigen …
Na klar, wir hatten natürlich auch ein bisschen mehr Geld als andere Redaktionen, so dass wir auch mal eine West-Band einkaufen konnten, wie "Duran Duran" oder "Take that", als die noch nicht so berühmt waren. Da haben wir zum ersten Mal kreischende Mädels erlebt, die BHs auf die Bühne schmissen. Das kannte man ja von DDR-Bands gar nicht, bei den "Puhdys" oder bei "Karat" blieben ja alle sitzen.
Aber eigentlich wollte damals keiner von den Redakteuren freiwillig zu "Elf 99", denn alle dachten, das wird bestimmt ein ganz furchtbares Format, eine Art "Aktuelle Kamera" für junge Leute und darauf hatte natürlich keiner von uns Bock.
Aber es sollte doch ein freches Jugendprogramm werden …
Naja, am Anfang haben sie schon versucht, uns noch an die Kandare zu nehmen. Dieser freche Nachmittag sollte schon im Rahmen bleiben. Wir hatten ja nicht gleich von Anfang an die große Pressefreiheit und konnten über alles und jeden berichten, wie uns der Schnabel gewachsen war. Das hat sich erst nach und nach in den ersten zwei Monaten verändert. Wir hatten einfach das Glück, dass wir zu dieser Zeit auf Sendung waren und dass wir davon berichten konnten, was praktisch vor der Tür passierte. Das war eine absolute Symbiose, die dann dazu beigetragen hat, dass wir auch aus den alten Strukturen ausbrechen und ein anderes Programm machen konnten.
"Elf 99" war also gar nicht als politisches Magazin geplant?
Nein, Politik sollte eigentlich völlig flach fallen. Die wollten eigentlich einen Jugendnachmittag nach dem Motto Pickel und Pop. Die Politik kam dann automatisch dazu. Wenn du über einen Jugendklub in Zwickau berichtest, der gerade eine Aktion gegen die Zustände im Staat organisiert, dann hast du die Politik automatisch im Beitrag.
Die "Elf 99"-Moderatoren trugen immer ein schrilles Outfit - vorzugsweise in Neonfarben. Haben Sie sich das selbst besorgt?
Das hat unsere Kostümbildnerin Antje Schrader für uns quasi aus dem Nichts gezaubert. Aus Deko-Artikeln hat sie die tollen Sachen zusammengeschneidert - natürlich im Stil der Achtzigerjahre!
Was hat Ihnen der Bambi 1990, die westdeutsche TV-Auszeichnung, bedeutet?
Es war eine tolle Anerkennung für den Journalismus, den wir damals betrieben haben, und wie wir die jungen Leute durch diese aufregende und für manche auch sehr schwere Zeit begleitet haben. Wir hatten immer den Eindruck, dass die Westredaktionen ein bisschen mitleidig auf uns herabschauten, denn wir bekamen natürlich bei weitem nicht die Honorare wie im Westen. Und unsere Technik war im Vergleich zur Ausstattung der Westsender eher bescheiden.
Als der DFF Ende 1991 aufgelöst wurde, kam "Elf 99" erst zu RTL und wurde dann später von VOX übernommen. Wie hat sich die Sendung im Westfernsehen verändert?
Wir waren ja gewohnt, alles so dazustellen, wie es war – wir haben realistischen Journalismus gemacht. Es wurde dann alles sehr seicht und ging dann mehr und mehr in Richtung "BravoTV" mit Dr. Sommer-Team - also schon Themen, die junge Leute in der Pubertät interessieren, aber bei "Elf 99" hatten wir noch ganz andere Sachen gemacht. Es wurde alles etwas oberflächlicher, es ging eigentlich nur noch um Pickel und Pop.
Wie hat Sie "Elf 99" für Ihre weitere Laufbahn geprägt?
Bei "Elf 99" hatte ich so viele Möglichkeiten, wie man sie sich als Journalistin und Moderatorin überhaupt nur wünschen und vorstellen kann. Wir konnten Nachrichten sprechen, selber Beiträge drehen, Diskussionsrunden führen, standen auf einer großen Showbühne - diese Palette hat man später nie wieder gehabt. Heute bist du entweder Nachrichtensprecher, Entertainer oder du machst ein Wissensmagazin und eine Reisesendung so wie ich jetzt. Du kriegst eine Schublade, in der du dich tummeln kannst, aber du kannst nicht mehr den ganzen Schrank füllen. Und wir hatten damals noch Zeit, an der Qualität zu arbeiten, heute ist das alles sehr, sehr schnell. Diese Lehrjahre helfen mir heute ungemein.
"Elf 99" war für mich aber auch eine Schule fürs Leben. Innerhalb von einem Jahr hat sich ja die Gesellschaftsform von einer Diktatur in eine Demokratie verwandelt, 40 Jahre Geschichte wurden von heute auf morgen auf den Kopf gestellt. Wir wollten etwas verändern und den Umbruch mitgestalten. Das Leben war ja damals für uns wie ein großes Schiff auf dem Ozean, das endlich Fahrt aufnehmen konnte, aber niemand wusste, in welche Richtung es gehen sollte. Die Freiheit war auf einmal so übermächtig, damit musste man erstmal klarkommen.