Das Altpapier am 20. Mai 2019 Jetzt ist schon wieder was passiert
Hauptinhalt
Ein mit versteckter Kamera aufgenommenes Video, das Heinz-Christian Strache, FPÖ, zeigt, führt zu dessen Rücktritt als Vizekanzler. Das Verständnis von Pressefreiheit, das er darin offenbart, ist erschütternd – auch wenn man das schon mindestens ahnen konnte. Eine Frage wird dennoch aufgeworfen: Durften SZ und Spiegel das Ganze wirklich veröffentlichen? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Jetzt ist schon wieder was passiert. Sie wissen, dass es sich um etwas Großes handelt, wenn an einem Samstag, an dem für 21 Uhr im Hauptprogramm der ARD die Übertragung des Eurovision Song Contests angesetzt ist, um 21 Uhr eine Extraausgabe der „Tagesthemen“ ausgestrahlt wird. Sie wissen andererseits, dass die Welt wohl noch stehen wird, wenn sie dann doch nur auf „Tagesschau24“ läuft.
Aber was ist mit Österreich? Steht das noch?
Am Freitagabend berichteten Spiegel und Süddeutsche Zeitung über ein Video, das Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ auf Ibiza zeigt, wo er im Juli 2017 – drei Monate vor der Parlamentswahl – wohl mit versteckter Kamera hereingelegt worden ist. Bundeskanzler und Bundespräsident haben im Nachgang mittlerweile nacheinander Neuwahlen angekündigt. „Ist Österreichs Vizekanzler käuflich?“, war die Frage im Spiegel (€), die in Österreich über die Titelseite gespielt wurde (in Deutschland auch, aber nur klein).
Für viele Journalisten ist das Wochenende danach logischerweise ausgefallen: Rücktritt, Neuwahlen, politisches Beben, Medienethik, alles drin. Da kann natürlich mal was zu kurz kommen, zum Beispiel Geduld. Die Krone, „Österreichs Sturmgeschütz der Demagogie“ (Spiegel), wusste etwa schon am Samstagvormittag: „Sollte es zu Neuwahlen kommen, wäre auf jeden Fall Kanzler Kurz der große Gewinner, seine Werte könnten sogar Richtung 40 Prozent gehen.“ Auf jeden Fall! Auf jeden Fall?
Worum geht es?
Es geht etwa um die Medienstrategie der illiberalen FPÖ, was der eine Grund ist, warum uns die ganze Sache in einer Medienkolumne beschäftigt: die Nutzbarmachung von Medien zu politischen Zwecken; konkret um die besagte Kronen-Zeitung („Dem Politprofi Strache, Parteichef seit 2005, dürfte klar sein, dass es mit der Rückendeckung durch Österreichs Sturmgeschütz der Demagogie leichter werden würde, ins Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz einzuziehen“), und, vager, auch 2017 bereits um einen Umbau des ORF nach Ideen, die in Ungarn erprobt wurden („Wir könnten uns vorstellen, den ORF völlig auf neue Beine zu stellen.“)
Der andere Grund ist die parallel laufende Diskussion über die Informationsbeschaffungs- und Enthüllungsmethodik, die sich hier und da über die eigentlichen Ereignisse stülpt. Wie kommen Journalisten dazu, ein Video, das in Teilen schon länger kursiert und das einer Partei schadet, so kurz vor einer Wahl zu veröffentlichen? Hätten sie darüber berichten und es auch wirklich in Teilen zeigen dürfen, wo es doch mit versteckter Kamera aufgenommen wurde?
Über Straches Medienstrategie
Zu Punkt eins. Im dreiseitigen „Buch Zwei“-SZ-Dossier vom Samstag („In der Falle“, in der Langform kostenpflichtig) heißt es:
„Nach zwei Stunden fällt zum ersten Mal das Stichwort Kronen-Zeitung, und es wird ernst. Man ist beim 'Hauptthema‘ angekommen (…). In Straches strategischem Denken ist die Kontrolle der Kronen-Zeitung nicht nur der Weg in die Regierung, sondern auch der erste Schritt zu einem noch viel größeren Ziel: der Orbánisierung der Presselandschaft Österreichs. (…) ‚Wir wollen eine Presselandschaft ähnlich wie der Orbán aufbauen‘, sagt er. (…) Da kann man durchregieren ohne überflüssige Kritik, und Wahlen lassen sich auch viel leichter gewinnen.“
Im Spiegel fällt ein Name:
„Den richtigen Mann, um bei der Neuausrichtung des Boulevardblatts zu helfen, kenne er auch schon, sagt Strache: Heinrich Pecina. Der Investor, ein 'großer Player‘, habe 'für Orbán alle ungarischen Medien der letzten 15 Jahre aufgekauft und für ihn aufbereitet‘. Tatsächlich war es der aristokratisch auftretende Unternehmer Pecina, der für den ungarischen Premierminister Viktor Orbán die Flurbereinigung der ungarischen Presselandschaft organisiert hat. Blätter wie 'Népszabadság‘ und andere regierungskritische Zeitungen wurden erworben, über Nacht eingestellt oder an orbánfreundliche Interessenten weiterverhökert.“
Dass Strache hier eher prahlt als plant, ist das eine. Erhellend ist das Verständnis von Pressefreiheit und Medien allemal – beziehungsweise: dass er sein Verständnis davon so klar bestätigt. Erhellend ist aber auch, dass es sich keineswegs nur um eine „bsoffene Gschicht“ gehandelt habe, wie Strache behauptet. SZ und Spiegel legten am Sonntag nach. Die SZ:
„Nach Recherchen von SZ und Spiegel sind die Absprachen etwa um den Kauf der Kronen-Zeitung und das Zuschanzen von Staatsaufträgen keineswegs nur an diesem einen Abend besprochen worden. Im Gegenteil, der zurückgetretene FPÖ-Funktionär Gudenus – Straches engster politischer Verbündeter – hatte offenbar monatelang Kontakt zu der vermeintlichen russischen Investorin und deren Umfeld. Das Thema wurde in dieser Zeit entwickelt und Strache war offenbar auch gebrieft – wie sonst hätte er beim Treffen in Ibiza einleitend fragen können, was in dieser Sache 'schon vorangeschritten’ sei?“
Die medienethische Dimension
Über die Geschichte, die zum Rücktritt Straches und wohl zum Ende der Regierung führte, stülpte sich jedoch die besagte medienethische Diskussion, die groß genug ist, um auch die Talkshow von „Anne Will“ zu erreichen. Haben sich SZ und Spiegel instrumentalisieren lassen? Ist die Veröffentlichung so in Ordnung?
Die SZ und der Spiegel, die sind, natürlich, der Ansicht, dass sie sein musste:
„Mit diesem Rücktritt bricht der erste große Stein aus der Mauer des populistischen Extremismus in Europa. Die Publikation des Videos war daher demokratische Pflicht.“ Heribertprantlt sueddeutsche.de. Und Chefredakteur Kurt Kister schreibt: „Auf dem Videomaterial gibt es viele entlarvende, manche eklige und etliche fast Mitleid erregende Sequenzen. Die meisten davon sind privater Natur, sie sollen das auch bleiben. Einige allerdings sind politisch so relevant, dass sie nicht vertraulich bleiben dürfen: Straches Tauschangebot Wahlkampfhilfe gegen Staatsaufträge etwa oder seine Allmachtpläne zur Veränderung der Medienlandschaft in Österreich.“
Bei Spiegel Online reagierte man mit einer Begründung, warum das Video jetzt veröffentlicht wurde, und einem Text von Nils Minkmar über Strache:
„Nachdem ihn die ganze Welt beim Versuch beobachten konnte, die Medienlandschaft seiner Heimat durch russische Investitionen nach ungarischem Vorbild umzubauen, beklagt er - in seiner Pressekonferenz am Samstag - die "über das Ausland gespielte" Kampagne. In völliger Verdrehung der Situation skandalisiert er den Umstand der geheimen Aufnahme, ohne das Offensichtliche einzuräumen: Dass es nichts zu senden gegeben hätte, wenn er nicht solche konkreten Pläne zur Umgestaltung Österreichs formuliert hätte. Die einzige Quelle der von ihm richtigerweise so benannten Schmutzkübel ist er selbst. Darum konnte ihn keine Kraft der Welt mehr retten: Er versank mit einem Boot, das er selbst gezimmert hat.“
Es gibt aber auch andere Stimmen. Ein Datenschützer spricht von „kriminellem Unrecht“. Und Hans-Georg Maaßen meldet sich via Bild ebenfalls zu Wort. Wenn ich ihn richtig verstehe, gab es wohl eine Art… Hetzjagd? Er findet, hier zitiert nach einem Tweet, die „spannendsten Akte“ der Recherchen seien die, „in denen es um die Hintermänner der Videofalle geht“: „Wir sind es auch den Österreichern schuldig, aktiv an der Aufklärung der Hintergründe mitzuwirken, da deutsche Medien die Regierungskrise in Österreich mit herbeigeführt haben.“
Hm. Da Maaßen nicht mehr Verfassungsschutz-Präsident ist, sondern nur irgendein Typ mit Meinung, könnte man das natürlich einfach übergehen. Aber ein Diskussionsthema ist da trotzdem.
Ob Spiegel und SZ das Video in Teilen veröffentlichen durften, wie sie es getan haben, würde ich, Stand heute, für recht gut beantwortbar halten: ja. Dass sie von jemandem mit Informationen beliefert wurden, der ein politisches Interesse an der Veröffentlichung haben könnte, ist zwar denkbar. Aber die Frage, die sie zu beantworten hatten, war: Ist das Material echt, und ist es relevant? Nachdem man beide Fragen bejaht hat, konnte man es nicht bis nach der Europawahl zurückhalten, ohne sich vorwerfen lassen zu müssen, man wolle der Öffentlichkeit relevante Informationen vorenthalten.
Daran ändern auch Lästereien wie die der Welt am Sonntag nichts: „Das Video wurde zwei Jahre lang zurückgehalten, ehe es 'Spiegel‘ und 'Süddeutsche Zeitung‘ unmittelbar vor der Europawahl bekommen haben. Für die Veröffentlichung haben die Medien ihre Konkurrenz aufgegeben – gemeinsam für das höhere Ziel.“ Ach Gottchen. Dass die WamS das Material hätte verschimmeln lassen, wenn sie es zuerst bekommen hätte, nähme ich Chefredakteur Johannes Boie einfach nicht ab.
Auch dieses Argument finde ich nicht sonderlich überzeugend: „Jedenfalls erlaubt die Art, wie er aus dem Amt katapultiert wurde, es nun ausgerechnet Strache, zu behaupten, er sei zurückgetreten, weil ihm eine Falle gestellt wurde. Und nicht, weil er ein populistischer Demokratieverächter ist, der plant, die Medienvielfalt abzuschaffen.“
Das aber zielt weniger auf SZ und Spiegel als auf die Informanten, die die „Falle“ (SZ) stellten.
Wer war es?
Wer war es? Das ist die Frage, die bis auf weiteres noch zu vielen Spekulationen führen dürfte. Was hat zum Beispiel Jan Böhmermann mit alldem zu tun? Es kann sein, dass es nach dem Wochenende „brennt“ – hatte er schon am Donnerstag in einem YouTube-Video vermeintlich so dahingesagt und damit im Nachhinein die Spekulation des Wochenendes in Gang gesetzt. Haben „die umstrittenen Aktionskünstler vom ‚Zentrum für politische Schönheit’“ (Welt am Sonntag) die Finger im Spiel? Oder wer, wer, wer?
„Sicherlich ist das eine interessante Frage – je länger sie unbeantwortet bleibt, desto dringender wird sie erscheinen und Stoff für allerlei Theorien bieten. In der Tat ist das ein Teil der Geschichte: wer hinter dem Video steckt, mit welcher Absicht es gedreht wurde, und warum es so lange zurückgehalten und gerade jetzt lanciert wurde.“
Schreibt Stephan Löwenstein in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und Claudius Seidl, ein paar Seiten später (FAZ+): „Das wäre schon auch eine lohnenswerte Recherche: herauszubekommen, ob es Böhmermann war. Oder wer sonst.“ Stand heute wäre: eher „wer sonst“ als Böhmermann.
Aber in der Tat: Solange das nicht geklärt ist, wird uns die ganze Geschichte auch an dieser Stelle noch länger beschäftigen.
Altpapierkorb (Krone, ESC, Bamf-Skandal, Wahlwerbespots)
+++ Wer oder was ist die Kronen-Zeitung? Der Politikwissenschaftler Fritz Plasser gab Zeit Online aus aktuellem Anlass ein Interview.
+++ Der Tagesspiegel gräbt Politikwissenschaftler Patzelt für ein Interview zum FPÖ-Skandal aus…
+++ … Und sagt uns, was Wahlwerbespots über Parteien verraten.
+++ War der Bamf-Skandal nun ein Medienskandal? Anne Fromm geht dem in der taz ganzseitig nach: „'Unsere ersten Berichte waren klassische Verdachtsberichterstattung: Wir haben den Verdacht der Staatsanwaltschaft wiedergegeben‘, sagt Christine Adelhardt, die für SZ/NDR/Radio Bremen die Bamf-Recherche koordiniert. 'Dieser Verdacht, Korruption und Bestechung in einer deutschen Behörde, kam so monströs daher, da wüsste ich nicht, wie wir nicht hätten berichten sollen.‘“
+++ Auch keine Fakes können „Manipulation“ sein. Über „Recycling News“ informiert der Bayerische Rundfunk.
+++ Und, ach ja, der Eurovision Song Contest: Zu viel los, um ihn hier ordentlich mit vielen Links zu verarzten. Der NDR jedenfalls hinterfragt sich im Nachgang zum deutschen Ergebnis „mal wieder“ (DWDL)…
Offenlegung: Ich schreibe frei für Spiegel Online.
Neues Altpapier kommt am Dienstag.