Das Altpapier am 17. Mai 2019 Frauenquote ohne Quote
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Die BBC hat im Großteil ihrer Redaktionen einen Frauenanteil von 50 Prozent und feiert sich dafür – eine wichtige Info fehlt dabei allerdings. Die Fernsehkritiken zum zweiten TV-Duell vor der Europawahl sind auch Medienkritik. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.
Bei der BBC verkündete man am Mittwochabend stolz, dass im Großteil der 500 Teams in den Redaktionen ein Frauenanteil von 50 Prozent erreicht sei – ohne Quote, ganz freiwillig. Ein “kleines Wunder“, schreibt Theresa Hein auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung. Ein Jahr nachdem die Initiative für Gendergerechtigkeit gestartet ist, würden in knapp drei Viertel der teilnehmenden Redaktionen die Sendungen zur Hälfte von Frauen gemacht. Beim Start hätten 27 Prozent der Teams ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in ihren Beiträgen vorweisen können.
“Dabei geht es der BBC nicht nur um Gerechtigkeitsfragen, sondern auch ums Geschäft: darum, ein weibliches Publikum anzusprechen, für Zuschauerinnen attraktiver zu werden und so die Quoten zu verbessern“,
kommentiert Hein. Interessanter als die Frage, wie die BBC das jetzt geschafft hat, wäre natürlich, warum man für diese Erkenntnis überhaupt knapp hundert Jahre (die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wurde 1922 gegründet) brauchen konnte. Die Antwort auf Ersteres gibt die BBC selbst. Mit einer “50:50 challenge“ statt einer verpflichtenden Quote, heißt es auf bbc.com.
“Die Idee hinter der Initiative: Jeden Tag sollte das Programm der BBC-Sender hinsichtlich der Zahl der Reporter sowie Reporterinnen und der Protagonisten und Protagonistinnen der Beiträge analysiert werden - und eine gleichberechtigte Verteilung erreicht werden. Die Idee dazu hatte Rus Atkins, Moderator der Nachrichtensendung Outside Source, als er 2016 eine Nachrichtensendung im Radio hörte, in der keine einzige Frau zu Wort kam“,
so Theresa Hein in der SZ. Wie (oder ob) sich das Geschlechterverhältnis bei Protagonisten verändert hat, dazu gibt es keine Info von der BBC, aber immerhin einen Plan, der das auch mit einschließen müsste.
“The BBC's 50:50 Project contributes towards the BBC's commitment to reach 50% women on-screen, on-air and in lead roles across all departments by 2020“,
heißt es auf BBC.com. Im deutschen Fernsehen zum Beispiel waren vor zwei Jahren noch doppelt so oft Männer wie Frauen zu sehen.
Auch wenn die – zum Großteil – gelungene Parität bei der BBC ein Erfolg ist, bedeutet das nicht, dass sie sich darauf ausruhen darf. Eigentlich fehlen noch wichtige Infos. Parität heißt nicht nur, dass gleich viele Frauen und Männer in den Redaktionen (oder sonst irgendwo) arbeiten, sondern auch, dass sie für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden. Wir erinnern uns: Im Januar 2018 kündigte die China-Korrespondentin der BBC Carrie Gracie ihren Job, als sie erfuhr, dass ihr damaliger Arbeitgeber Frauen und Männer ungleich bezahlt (kurz im Altpapier hier). In einem offenen Brief im Guardian schrieb sie damals:
“In the past four years, the BBC has had four international editors – two men and two women. The Equality Act 2010 states that men and women doing equal work must receive equal pay. But last July I learned that in the previous financial year, the two men earned at least 50% more than the two women.“
Im Juli 2017 musste die BBC die Einkünfte ihrer ModeratorInnen offenlegen. Die Spitzenverdiener in der Liste waren – Überraschung! – weiße Männer. (Details bei Welt Online)
Über Gehälter gibt es bei der BBC keine neuen Auskünfte.
Duell ohne Duellanten
Das Thema Europa kickt auch kurz vor der Wahl nicht so richtig – gut, außer in Form eines Pullover-Motivs vielleicht. Am Freitagmorgen sind dennoch pflichtbewusst die Kritiken zum zweiten TV-Duell (zum ersten siehe Altpapier) zwischen Frans Timmermans, SPE-Spitzenkandidat, Vizepräsident der EU-Kommission und ehemaliger Außenminister der Niederlande, und dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, diesmal im ZDF, erschienen.
“Phrasendreschen“, urteilt Hans Hütt bei Faz.net über das – nur angebliche – Duell:
“Das ZDF verspricht Kampfsport (ein Duell, einen Schlagabtausch), tatsächlich gibt es ein gepflegtes Parlando und einen Wettbewerb im Schnellreden.“
Am Sympathieverhältnis hat sich seit dem ersten Duell nicht so viel geändert, liegt ja auch erst eine Woche zurück. Hütt weiter:
“Weber strahlt devote Beflissenheit aus, wirkt wie einer, der nichts falsch machen darf, Timmermans wie ein kampferfahrener Routinier des politischen Managements. Der eine läuft auf dem Filz abgegriffener Floskeln durch vermintes Gelände ('Prüfstand‘, 'Chefsache‘, 'Die EU muss erwachsen werden‘). Der andere zeigt, dass er, wenn es nötig ist, auch boxen kann. Der eine predigt Prinzipien, der andere benennt Probleme und Institutionen, die etwas umsetzen.“
Ähnlich, wenn auch gemäßigter der Eindruck bei Matthias Kolb auf SZ.de:
“Aufschlussreich sind diese 180 Minuten, was das Auftreten der Bewerber angeht. Timmermans ist als Wahlkämpfer erfahrener, strahlt mehr Leidenschaft aus und beherrscht so gut Deutsch, dass er problemlos mithalten kann. Er wirkt auch mutiger, was sich etwa bei den 'Ja/Nein‘-Fragen zeigt.“
Wenn schon die zwei aussichtsreichsten Spitzenkandidaten für die Wahl nicht viel Konfrontationsstoff bieten, weil sie sich bei grundsätzlichen Themen oft einig sind, müssen eben Buzzwords herhalten, um noch ein paar Klicks für Europa zu generieren: “Beim Kopftuchverbot wurde es sogar richtig emotional“ titelt Welt Online und N-TV: “Timmermans will Kurzstreckenflüge verbieten“. Zumindest bei ersterem waren sich Timmermans und Weber nicht einig.
Nun kann man an den Kandidaten ja nichts ändern, an den Fragen, die man ihnen stellt, aber schon. Die Fernsehkritiken üben auch Medienkritik. Über das Duell, das “streckenweise durchaus anregend“ gewesen sei, kommentiert Hannelore Crolly bei Welt Online:
“Aber es wäre dennoch schön gewesen, wenn noch ein paar mehr pfiffige Themen abseits des Mainstreams aufs Tapet gekommen wären. Die Moderatoren haben selbst vorgeführt, wie gut das der TV-Debatte und auch dem gesamten Europawahlkampf tun würde. ZDF-Chefredakteur Peter Frey und seine Kollegin Ingrid Thurnher, Chefredakteurin von ORF 3, hatten nämlich ein paar interessante Schmankerl im Gepäck. Trotzdem hangelten sie über weite Strecken ihrer 90 Minuten brav und erwartbar durch all die Themen, die auch ihre Kollegen schon mehrfach beackert hatten, vom Klima bis zum Mindestlohn, von der Migration über die Digitalisierung bis zum Populismus. Kein Wunder, dass der Europawahlkampf nicht so recht in die Gänge kommen will.“
Das ist in der Tat nicht nur kurz vor der Wahl oder bei Fernsehduellen ein Problem, sondern generell in der Europa-Berichterstattung. Arno Frank schreibt bei Spiegel Online dazu:
“Am Ende eines langen Abends bleibt die Frage, weshalb diesem Thema nur alle Jubel- oder eben Wahljahre so viel Platz eingeräumt wird. Wenn, was uns alle betrifft, in Brüssel oder Straßburg entschieden wird, sollte doch regelmäßige Berichterstattung - besser noch: Diskussion, Debatte, Streit! - einen festen und wiederkehrenden Platz im Programm finden. Und sei's auch nur, damit das Projekt nach der Wahl nicht wieder im Trüben verschwindet, wo seine Gegner allzu bequem nach Stimmen fischen können.“
Altpapierkorb (Wiglaf Droste, viel Europa, viel Game of Thrones, R. Kelly und Jugendschutz im Netz)
+++ In der Nacht auf Donnerstag ist der Satiriker und Schriftsteller Wiglaf Droste gestorben. “Er war einer, der den rhetorischen Revolver zückte und seine Gegner rechts wie links - nie unten! - auch dann noch traf, wenn er aus der Hüfte schoss. Wer seiner Meinung war, liebte ihn für diese Treffer. Wer anderer Meinung war, fürchtete ihn für sein Wüten“, schreibt Arno Frank in seinem Nachruf bei Spiegel Online und Friedrich Küppersbusch in der taz: “(...) ganz sicher beherrscht er die Zärtlichkeit des Holzhammers, ist ein Hooligan der Inbrunst, und manchmal leider untröstlich und selbstzerstörerisch im falschen Trost. Sehen Sie Wiglaf Droste in seiner Lebensrolle als: ‚Der Unumarmbare‘.“
+++ Nochmal Europa 1: Wir hatten schon viel Twitter in dieser Altpapier-Woche (siehe hier), auch in Verbindung mit der Europawahl (siehe hier). In der aktuellen Zeit kann man nachlesen, wie russische Twitter-Trolle die Europawahl beeinflussen könnten.
+++ Europa 2: Im Medienpolitik-Interview schlägt Arte-Präsident und SWR-Intendant Peter Boudgoust das Online-Angebot von Arte als Basis eines umfassenden gesamteuropäischen Angebots vor.
+++ Europa 3: Die Europäer dürfen nicht nur bei der Wahl zum Europäischen Parlament kommende Woche abstimmen, sondern, noch viel wichtiger, meint Arno Orzessek im Medienmagazin Mediasres im Deutschlandfunk, auch beim Eurovision Song Contest (siehe Altpapier) diesen Samstag. Denn: “nie fühlt sich dieses Europa kuscheliger an als am Abend des Eurovision Song Contest.“ Die ESC-Berichterstattung dominiert im Moment die Frage, ob Madonna nun wirklich in Tel Aviv auftritt.
+++ Die vergangenen Wochen waren nicht gerade arm an Game-of-Thrones-Content (und sogar Anti-Anti-Game-of-Thrones-Content). Aber nicht mehr lange, Folge fünf von insgesamt sechs neuen ist schon gelaufen. Fans fordern bereits in einer Online-Petition, dass die finale Staffel neu gedreht wird (Zitat: “Diese Serie verdient eine letzte Staffel, die Sinn ergibt.“), meldet Welt Online. “(...) Unzufriedenheit am Ende einer Serie gehört heutzutage irgendwie dazu. Man könnte sogar sagen, je größer die Serie, umso größer die Enttäuschung. Und es gibt keine größere Serie als Game of Thrones“, schreibt Francesco Giammarco in der aktuellen Zeit (€). Und auch, warum es Quatsch ist, dass Fans besser wissen wollen, wie Serien sich zu entwickeln haben. Bei Serienunzufriedenheit hilft übrigens Comfort Binge. Was das ist, hat Dorothea Wagner bereits vergangene Woche im SZ Magazin aufgeschrieben.
+++ Die Doku-Serie “Surviving R. Kelly“ über die schweren Missbrauchsvorwürfe gegen den Musiker wird ab Samstag läuft ab Samstag auf A&E. Jürgen Schmieder kritisiert die Serie auf der SZ-Medienseite.
+++ Auf der FAZ-Medienseite (Blendle) schreibt Michael Hanfeld (mit der gewagten Überschrift “Droht der Online-Shutdown?“ über die widerrufene Zulassung des Jugendschutzprogramms “JusProg“ und ihre Auswirkungen auf den Jugendschutz im Netz.
Neues Altpapier gibt es am Montag. Schönes Wochenende!