Das Altpapier am 10. Mai 2019 Kalkulierte Empörung
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Edeka und die BayernLB haben mit ihren Werbespots den perfekten Shitstorm-Zirkus inszeniert und alle Medien machen mit. Luisa Neubauer, die "deutsche Greta Thunberg", rügt die Politikjournalisten und ist selbst Teil des Problems. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.
Spätestens seit Friedrich Liechtensteins Supergeil-Werbespot für Edeka 2014 (> 20 Millionen Youtube-Aufrufe) ist es üblich, dass nicht nur auf Facebook und Twitter, sondern auch in den Nachrichten tagelang über Werbespots renommierter Agenturen, allen voran Jung von Matt, diskutiert wird. In dieser Woche bekamen (und bekommen weiterhin) gleich zwei Kampagnen der Werbeagentur große mediale Aufmerksamkeit (und sogar die der Politik, aber dazu später mehr):
Der Muttertag-Spot für Edeka (> 1,6 Millionen Aufrufe), ein Schwarz-Weiß-Spot, der, passend zu den Zeiten, als Fernsehen noch schwarz-weiß war, ein ebensolches Männer- und Frauenbild transportiert: Väter kriegen nichts auf die Reihe, die Mütter müssen es richten. Am Schluss gipfelt das Ganze in der Aussage: "Danke Mama, dass du nicht Papa bist."
Und ein Online-Video (> 18.000 Aufrufe) für die Bayerische Landesbank, in dem die Zeit-Autorin Ronja von Rönne Kindern ihre Traumberufe ("Astronaut, Superheld oder irgendwas mit Tieren") madig macht und für einen Job bei der BayernLB wirbt ("der Traumjob, von dem du als Kind nie geträumt hast").
Die Spots haben zuverlässig ihre jeweiligen Shitstorms ausgelöst. Bleiben wir zunächst bei Edeka. "Sexistisch", "väterfeindlich", "rückschrittlich", urteilt das Netz über den Muttertag-Spot. Stefan Winterbauer schreibt bei Meedia:
"Dabei darf hier durchaus unterstellt werden, dass solche Reaktionen, wenn auch vielleicht nicht in der nun erfolgten Heftigkeit, bei Kunde und Agentur vorab kalkuliert werden. Die bewusst überspitzte, negative Darstellung der Väter und die ungewöhnliche Schwarzweiß-Optik sollten die Leute triggern. Dabei sind die gezeigten Szenen so übertrieben, dass eigentlich stets klar sein sollte, dass es sich hier um eine ironische Überspitzung handelt."
Die Empörung auf den übertrieben rückschrittlichen Spot ist natürlich gewollt und auch PR, und man weiß ja, dass es angeblich gar keine schlechte PR gibt. Ob das auch für Boykott-Aufrufe gilt, die auch schon laut geworden sind in dieser Woche?
Bei Spiegel Online wurde bereits am Mittwoch die Genderforscherin Stevie Schmiedel interviewt, die ein ganz neues Problem auf den Tisch bringt: Weil sich die Maskulinisten gegen den Film positioniert hätten, sei es schwer für eine Feministin, sich auf dieselbe Seite zu stellen. Weiter sagt sie:
"Der Vorwurf kam auf, wir machten uns jetzt gemein mit den Männerrechtlern. Mir ist es sowas von wurscht, wenn die Männerrechtler zufällig mal dieselbe Meinung haben wie wir. Der Film ist sexistisch. Er ist ein Schlag ins Gesicht für alle Väter, die sich bemühen. Aber er ist auch ein Schlag ins Gesicht aller emanzipierten Frauen."
Die W&V hat Vorschläge, wie der Spot hätte glücken können. Spoiler: wenn man alles anders gemacht hätte.
In Bayern, nachzulesen unter anderem in der Abendzeitung, meldete sich sogar schon die Politik dazu. Die bayerische Familienministerin und Frauenbeauftragte der Staatsregierung Kerstin Schreyer (CSU) nannte den Clip "Anti-Väter-Spot".
"Eltern zu sein, ist kein Wettbewerb um die Zuneigung der Kinder. Väter sind nicht die schlechteren Elternteile",
zitiert die AZ.
Lidl kontert übrigens derweil: "Danke Lidl, dass du nicht Edeka bist."
Während die mediale Ausschlachtung bei Edeka schon in vollem Gange ist, beginnt sie bei der BayernLB erst. Der wird vorgeworfen, dass für deren Spot Kinder ausgenutzt und vorgeführt werden, die die Satire nicht verstehen. Auch der Clip setzt auf Empörung, wenn er auch stilistisch ganz anders ist.
Jetzt.de hat dazu mit Andreas Baetzgen, Professor für Werbung und Marktkommunikation an der Hochschule der Medien in Stuttgart, gesprochen. Sein Urteil:
"Das ist vor allem der Versuch, Aufmerksamkeit für ein Unternehmen zu schaffen, das auf den ersten Blick nicht unbedingt sexy ist. Die Landesbank als bayerische Institution gilt jetzt bei jungen Menschen nicht unbedingt als das große Ziel auf dem Arbeitsmarkt. Die BayernLB will sich mit dem Spot jünger geben als sie vermutlich ist, weil sie junge Menschen ansprechen will und muss."
Und weiter:
"Empörung gehört mittlerweile zum Geschäft und erzeugt Aufmerksamkeit (...)."
Bei der BayernLB unterscheiden sich die Reaktionen allerdings von denen zum Edeka-Muttertag-Spot:
"Was uns etwas überrascht und schockiert hat, sind einige Hass- und Hetzkommentare. Denn nichts auf der Welt rechtfertigt Gewaltandrohungen. Schon gar nicht ein Werbespot – auch wenn er polarisiert. Verschiedene Meinungen und Diskussion sind für uns immer in Ordnung – trotzdem achten wir als Kanal-Owner besonders auf Netiquette",
zitiert Meedia die BayernLB. Auf Youtube sind die Kommentare unter dem Video gesperrt.
Ronja von Rönne selbst ist das Ziel vieler Hasskommentare. Der Grund ist vermutlich schlicht, dass sie eine Frau ist.
Ronja von Rönne, die auf Twitter Kommentare und Direktnachrichten veröffentlicht, hat dazu geschrieben:
"Wer provoziert, muss mit Gegenwind rechnen. Aber nicht mit Gewaltandrohung. Niemals."
Die "deutsche Greta Thunberg"
Luisa Neubauer, Aktivistin bei der Bewegung "Fridays for Future" und Mitglied bei den Grünen, wird schon seit Wochen als "deutsche Greta Thunberg" (zum Beispiel hier, hier oder, noch mit Fragezeichen, hier) gefeiert. In einem Gastbeitrag in der aktuellen Zeit (€) geht sie mit den Medien, u.a. BR, SZ und der Welt, hart ins Gericht. Über die Streiks, schreibt Neubauer, wurde "praktisch in jeder Schattierung ausführlich berichtet – das Klima selbst und seine Zerstörung sind dagegen kaum ein Thema."
Sie selbst ist allerdings auf gewisse Weise auch Teil des Problems – beziehungsweise wird sie dazu gemacht. Es ist natürlich gut, dass durch die Schülerstreiks mehr über den Klimawandel berichtet wird, die Streiks und junge Frauen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer selbst sind für viele Medien allerdings spannender als ihre Botschaften. Oft sind deshalb die Aktivistinnen im Mittelpunkt der Berichterstattung und nicht die Themen, für die sie kämpfen.
Wie das aussieht, kann man heute in der Welt (€) nachlesen. Klaus Geiger hat Neubauer nach Sibiu begleitet, wo diese unter anderem Emmanuel Macron getroffen hat.
Wer alles dagewesen sei? 'Macron und viele andere', sagt Neubauer. 'So viele Männer in schwarzen Anzügen, die habe ich jetzt auch nicht alle erkannt', sagt sie.
So süß. Und vor allem nicht so abstrakt wie das Thema Klimawandel (noch) ist. Umso passender, dass Neubauer in der Zeit (geteilt mit einer Prada-Anzeige) eine ganze Seite für ihre Argumente zur Verfügung hat. Viele Politikjournalisten, kritisiert sie, hätten zwar eine Meinung zum Klima, dafür aber wenig Ahnung. Sie schreibt:
"Die politische Elite konnte es bisher auch deshalb vermeiden, inhaltlich klar Stellung zu beziehen, weil die Journalisten es zugelassen haben. Denn viele Journalisten schrecken vor dem Thema Klimakrise geradezu zurück. Zu wenige legen ein klimatechnisches Selbstbewusstsein an den Tag, das es ihnen ermöglichte, die halb wahren Einordnungen der Politik zu erkennen. Das führt zu Vorfällen, bei denen man zugleich lachen und heulen möchte."
Als Beispiel hat sie unter anderem ein Zitat von Manfred Weber, Spitzenkandidat der Unionsparteien für die Europawahl, der der SPD und den Grünen "überzogene Forderungen" beim Klimaschutz unterstellte und dass diese damit Arbeitsplätze riskieren würden, während Tesla gewinne. (Statement auf dem Twitter-Account der CSU)
"Kein Journalist (...) hat Webers Aussagen zum Klimaschutz kritisch hinterfragt, niemand hat nachgehakt, und Weber sticht im Übrigen mit seinen Aussagen wenig aus der Kandidatenmenge heraus. Das Gesagte bleibt einfach so im Raum stehen. Auch im Jahr 2019 ist es möglich, dass ein Mensch sich für das höchste Amt der EU bewirbt, ohne große klimapolitische Expertise oder gar Einfallsreichtum zu besitzen."
Altpapierkorb (Russische Propaganda, Filterblase kills Debattenkultur, NPD vs. HR und eine Journalistenkonferenz für AfD-Sympathisanten):
+++ Der russische Staatssender RT behauptete am Mittwoch, die Deutsche Welle habe ein gefälschtes Video verbreitet, in dem Flughafenmitarbeiter über ein Flugzeugunglück lachen. Inzwischen gibt es eine Korrektur – "ein Erfolg für die Deutsche Welle", schreibt Theresa Weiß heute in der FAZ. "Doch der Fall ist nur ein weiteres Beispiel russischer Propaganda gegen westliche Medien, die sukzessive diskreditiert werden sollen."
+++ "Wo man sich einig ist, bleiben einem Ärger und Frustration erspart", kommentiert Karin Janker heute auf der Meinungsseite der SZ. Die Republica in Berlin, die am Mittwoch zu Ende ging, habe gezeigt, dass es "um die Debattenkultur im Netz schlecht bestellt ist". Die Lager würden sich in ihre Filterblasen zurückziehen.
+++ Jaqueline Lang stellt auf der SZ-Medienseite "Black Rock Talk" (erste Folge auf Youtube) vor, eine Online-Talkshow für Menschen mit Migrationshintergrund. "Ich will, dass wir über Schmerzhaftes sprechen, aber mit popkulturellem Aufhänger", sagt die 27-jährige Gründerin Esra Karakaya.
+++ Auf Zeit Online schreibt die Geschichtsprofessorin Sophia Rosenfeld in einem Gastbeitrag, wie Fake News die Welt und die Europawahl bedrohen – und dass das nicht bedeutet, dass wir in einem postfaktischen Zeitalter leben.
+++ Das ZDF hat beschlossen, den Wahlwerbespot der Partei Die Partei mit kleinen Veränderungen zu zeigen (siehe Altpapier), gestern war die NPD beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof mit einer Beschwerde erfolgreich. Der Hessische Rundfunk muss demnach einen Radio-Werbespot der rechtsextremen Partei zur Europawahl ausstrahlen. Wahlwerbung dürfe nur zurückgewiesen werden, "wenn sie evident gegen die allgemeinen Strafgesetze verstoße und dieser Verstoß nicht leicht wiege", zitiert die Frankfurter Rundschau die Urteilsbegründung.
+++ Am Samstag lädt die AfD-Fraktion – parteinahe, rechte – Medienvertreter zu einer Fortbildung in den Bundestag. Die Partei hat den Ex-Breitbart-Mann und Trump-Unterstützer Milo Yiannopoulos angekündigt, als "schwulen, schillernden Provokateur", wie Sabine am Orde in der taz schreibt.
+++ Für die Falschmeldung, dass Scrabble in Zukunft "Buchstaben-Yolo" heißen soll, wurde Mattel nun vom Deutschen Rat für Public Relations gerügt. Mit der Agentur Dojo habe man "für die Verbreitung einer bewussten Falschmeldung" gesorgt, zitiert W&V.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag. Schönes Wochenende!