Das Altpapier am 9. Mai 2019 168 Meinungsmacher
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Warum ist der Wahlspot von der Partei Die Partei, der am Mittwochabend im ZDF lief, besser als der, den sie eigentlich zeigen wollte? Inwiefern hat Springers Welt VW beschenkt? Außerdem: eine Studie zur Social-Media-Macht weniger rechter Nutzer; Recherchen zu einstigen Apartheid-Unterstützern im deutschen Journalismus. Ein Altpapier von René Martens.
Nein, Steve Bannon kommt nun doch nicht zu dem “Gelage der AfD mit dem kuriosen Titel '1. Konferenz der freien Medien‘“ (Altpapier), das am kommenden Samstag im Bundestag stattfindet. Stargast ist statt dessen Milo Yiannopoulos, “Ex-Breitbart-Mitarbeiter und Unterstützer des Wahlkampfes von Präsident Donald Trump (…) Bannon schickt nur eine Videobotschaft“.
Das schreibt Zeit Online.Yiannopoulos ist einer, der “Feminismus als 'Krebs‘ bezeichnet“ und “den Islam für noch 'schlimmer als Krebs‘“ hält, wie die SZ gerade aus aktuellem Anlass geschrieben hat.
Man könnte Yiannopoulos also einen “ultrarechten Blogger“ nennen, wie Zeit Online es 2017 getan hat. In einem Tweet zum aktuellen Beitrag bezeichnet ihn Zeit-Online-Redakteur Tilman Steffen allerdings als “konservativen Provokateur“. Wie wird man Yiannopoulos in zwei Jahren bezeichnen? Wahrscheinlich als liberalen Querdenker oder so.
Inwieweit in das Meeting der Dunkelmänner der Publizistik Steuergelder fließen, ist natürlich keine kleine Frage. Steffen dazu:
“Der Bundestag weist darauf hin, dass Abgeordnete und Fraktionen für 'mandatsbezogene Veranstaltungen‘ Sitzungsräume buchen dürfen (…) Nach Angaben eines Sprechers zahlt die Fraktion das Catering für Referenten, Teilnehmende und Gäste. Die Tagung nutzt einen Saal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestages – also steuerfinanzierte Strukturen, die im Alltag nur für Sitzungen und Anhörungen zur Verfügung stehen. Am Rande der Fraktionssitzung am Dienstag kam die Befürchtung auf, das könnte demnächst den Bundesrechnungshof interessieren.“
Gesandte von im Sinne der Organisatoren “unfreien“ Medien sind im Übrigen “nicht eingeladen und auch nicht zur Beobachtung zugelassen“, wie Steffen noch bemerkt.
“Ohnmacht vieler Parteien im digitalen Europawahlkampf“
Mit dem Milieu jener Medienmacher, die am Samstag im Bundestag workshoppen und networken werden, beschäftigt sich auch eine “in Zusammenarbeit mit Reportern von NDR und WDR“ entstandene Untersuchung der Social-Media-Analysefirma Alto. Dafür “wurden in einem dreimonatigen Untersuchungszeitraum 9,65 Millionen Beiträge von 756.000 Nutzern analysiert“, wie tagesschau.de berichtet. Das Ergebnis der Studie:
“Unter den am häufigsten geteilten Webseiten im Zusammenhang mit politischen Diskussionen (tauchen) im Internet zahlreiche Portale auf (…), die tendenziös berichten und zum Teil offen Falschnachrichten verbreiten. Diese Webseiten werden teilweise deutlich häufiger verbreitet als klassische Nachrichtenseiten großer Medienhäuser. So landen unter den 15 am häufigsten geteilten Seiten im dreimonatigen Beobachtungszeitraum auch Seiten wie Journalistenwatch, Tichys Einblick, Anonymous News oder Epoch Times (…)“
Beim sozial-medialen Teilen dieser Inhalte helfen, wie ein weiterer Beitrag bei tagesschau.de feststellt,
“mutmaßlich auch Nutzerkonten, deren Veröffentlichungsmuster auf eine automatische Steuerung hindeutet. Die Analyse macht insgesamt 168 Nutzer aus, die nach Ansicht der Autoren ‚abnormale Aktivitäten‘ aufweisen, also statistisch auffällig häufig posten. Der Spitzenreiter hat im Beobachtungszeitraum mehr als 18.000 Beiträge veröffentlicht. Obwohl diese 168 Nutzer weniger als 0,1 Prozent aller Accounts ausmachen, sind sie für rund jeden zehnten Beitrag verantwortlich. Dreiviertel dieser ‚abnormalen‘ Nutzerkonten werden der rechten Gruppe zugeordnet. Die Auswertung gibt keine Hinweise darauf, dass die AfD diese Konten selbst steuert oder Kontrolle darüber hat.“
Die Autoren des Beitrags sprechen in diesem Zusammenhang von “der Ohnmacht vieler Parteien im digitalen Europawahlkampf“. Nicht unähnliche Ergebnisse hat 2017 eine Studie über “the Kremlin’s Amplifiers in Germany“ hervorgebracht.
Die taz ordnet die aktuelle “Fallstudie zu Deutschland“ von Alto folgendermaßen ein:
“(Sie) ist eingebettet in eine größer angelegte Untersuchung zur digitalen Debatte vor der Wahl des Europaparlaments (…) Insgesamt wurden rund 4,7 Milliarden Datenpunkte untersucht.“
Mehr zur Gesamtstudie findet sich hier.
Danke, ZDF!
Um das Stichwort Wahlen aufzugreifen: Das ZDF hat den gestern hier bereits kurz erwähnten Pro-Seenotrettungs-Wahlspot der Partei Die Partei nun doch gezeigt - mit leichten Veränderungen (Hintergrund siehe unter anderem SZ und Die Welt)
Ich würde ja sagen, dass die zunächst bockige Haltung des ZDF die Parteileute dazu gebracht hat, den Spot (der das Ertrinken eines Kindes zeigt und die barbarische Seenotrettungspolitik der EU geißelt) zu Positiven zu verändern. Zum Vergleich: Hier findet man die gesendete Version, hier die ursprünglich geplante. Der Einstiegstext lautete zunächst:
“Die nachfolgende Wahlwerbung ist keine Wahlwerbung. Für den Inhalt dieses Films ist ausschließlich die EU verantwortlich.“
In der gesendeten Fassung fehlt der erste Satz. Das heißt: Das einzige satirische Element in dem Spot der in der Regel als Satire-Partei klassifizierten Partei Die Partei ist eliminiert, und genau das tut der Wirkung gut. Der Anfang des Spots ist nun auf seine Kernbotschaft reduziert.
Aust, how low can you go?
Wer die Komik in der Wahlwerbung vermisst, der findet sie möglicherweise in der Dienstags-Ausgabe der Welt, die wohl aber gar nicht komisch sein will. Als Co-Chefredakteur dieser Ausgabe war der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess im Einsatz - und die Firma hat “diese Ausgabe ermöglicht (…), indem sie knapp jede fünfte Seite als Anzeige gekauft hat“, wie Stefan Niggemeier bei Übermedien schreibt. Er greift unter anderem ein Zitat des Welt-Herausgebers Stefan Aust auf:
“Nichts verkörpert die Bundesrepublik so sehr wie das schnelle und gerade deshalb technisch besonders ausgefeilte deutsche Auto.“
Aust, how low can you go?, könnte man fragen - jedenfalls dann, wenn man ein bisschen betrübt darüber ist. Warum können so viele Journalisten, die irgendwann einmal eine Bedeutung hatten, nicht in Würde altern kann.
Dass Aust, freundlich formuliert, politisch verkalkt ist, wissen wir spätestens seit einem anderen Übermedien-Artikel Niggemeiers (“Freischwimmer in der braunen Brühe“, September 2018). Dass Aust jetzt wie ein PR-Texter klingt, der gerade seine erste Stelle bekommen hat und nun befürchtet, dass er sie gleich wieder verliert - das ist dann doch etwas überraschend.
Niggemeier bemerkt zur besonderen Sondernummer des Weiteren:
“Ein Artikel darüber, wie genau die Ökobilanz von E-Autos unter verschiedenen Bedingungen ausfällt, ist groß bebildert mit Berechnungen des VW-Konzerns. Verschiedene Einwände von anderen werden immer wieder vorgebracht – und dann von VW widerlegt. Bezeichnenderweise werden dafür keine einzelnen VW-Vertreter zitiert; die Quellenangabe ist fast immer nur pauschal “bei VW“ (…) Man hat nach dem Lesen dieser 40 Seiten nicht nur das Gefühl, dass das wirklich verantwortungsvolle, kluge, natürlich auch fehlbare Leute sind da bei VW – und die natürlichen Experten für Mobilität. Man vergisst, dass es überhaupt andere Auto-Konzerne gibt.“
Sein Fazit:
“Axel Springer hat VW mit der “Welt“-Sonderausgabe ein Geschenk gemacht, das ungleich größer ist, als wenn man dem Unternehmen kostenlos alle Seiten für Anzeigen zur Verfügung gestellt hätte. Gerade die scheinjournalistische Inszenierung der VW-Botschaften im redaktionellen Umfeld einer Tageszeitung verschaffen ihnen eine besondere Wirkung.“
Ein Ressort heißt in dieser Ausgabe übrigens “Fahrvisionen“. Helmut Schmidt hat bekanntlich gesagt: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Aber wer “Fahrvisionen“ hat, dem kann wohl auch kein Arzt mehr helfen.
Korrupter Journalismus anno 1984
Einblicke in historische Fälle von Korruption im Journalismus verdanken wir dem Historiker Andreas Kahrs und dem Magazin “Report Mainz“.
“Bezahlte Reisen nach Südafrika. Wie das Apartheid-Regime Politiker und Journalisten beeinflusste“,
ist die Textfassung des am Dienstag gesendeten Beitrags überschrieben. Eine Pageflow-Version fürs Netz gibt es übrigens auch.
Eine zentrale Rolle spielt die vom Apartheid-Regime beauftragte (und heute nicht mehr existierende) Firma Hennenhofer, von der sich auch der frühere SWF-Chefredakteur Hans Gresmann zu Reisen einladen ließ. Der “Report“ des SWR musste in diesem Fall also auch in der Vergangenheit des eigenen Senders (der SWF ist ein Vorläufer des SWR) recherchieren. Im Beitrag heißt es dazu:
“In einem vertraulichen Bericht rühmt sich Hennenhofer, der SWF-Chefredakteur habe sich in den täglichen Telefonkonferenzen erfolgreich gegen kritische Kommentare zu Südafrika eingesetzt.“
Dass die südafrikanische Regierung beispielsweise direkten Einfluss auf Beiträge im rechten “ZDF Magazin“ von Gerhard Löwenthal genommen hat, ist möglicherweise eher weniger überraschend:
“Eine Geheimakte zeigt, wie eng der ZDF-Journalist zwei Reportagen im Jahr 1984 mit dem Regime abgesprochen hat.“
Fazit der Autorin*nnen:
“Willfährige Journalisten und Politiker transportierten die Propaganda vom Kap nach Deutschland und stützen so das Regime, auch, indem sie über Jahre Sanktionen verhinderten.“
Dass es einen nach Gerhard Löwenthal benannten Journalistenpreis gibt, gehört an dieser Stelle dann auch noch unbedingt erwähnt.
Altpapierkorb (TV-Jahreshöhepunkt “24h Europe“, Journalismus-der-Dinge-Manifest, Netflix’ Datensammelbegierde)
+++ Warum es sich bei den an Drehorten in 26 Ländern entstandene Dokumentation “24h Europe - The Next Generation“, die am Samstag und Sonntag zeitweilig in fünf Programmen parallel zu sehen war, um herausragendes Fernsehen handelt, begründe ich ausführlich in der neuen Medienkorrespondenz. Die einzig wesentliche Kritik, die “24h Europe“ hervorruft, hat nichts mit dem Projekt selbst zu tun: Warum wird im gesamten öffentlich-rechtlichen Programm die Heterogenität Europa (hier am Beispiel der Lebenswelten von 60 Protagonisten im Alter zwischen 18 und 30 Jahren gezeigt) im Normalprogramm sonst nur unzureichend abgebildet? Warum braucht es als Anlass dafür die Europawahl? Natürlich ist es unrealistisch, regelmäßig an einem Tag 24 Stunden lang parallel in 26 Ländern zu drehen, aber vielleicht hülfe es ja schon, die auf Europa-Themen spezialisierten Regeformate prominenter zu platzieren, als um 12.45 Uhr am Sonntag (“Europamagazin“, ARD) bzw. 16 Uhr am Werktag (“Heute in Europa“, ZDF), oder sie in den eigenen Angeboten stärker zu bewerben. Andererseits: Das ZDF weist in seiner Broschüre “Europawahl 2019 - Volle Information in der ZDF-Programmfamilie“ darauf hin, dass “Heute in Europa“ im Schnitt 2,5 Millionen Zuschauer erreicht und auf einen Marktanteil von 22 Prozent kommt. Quotentechnisch ist die Sendung also gut platziert.
+++ Dass eines der TV-Ereignisse des Jahres das Champions-League-Finale zwischen Liverpool und Tottenham sein wird, ist nach dem Verlauf der Halbfinalspiele in dieser Woche nicht unwahrscheinlich (auch wenn an der Qualität des Ereignisses das Fernsehen selbst keinen direkten Anteil haben wird). Stand jetzt (wie es im Fußballbranchennudel-Jargon stets gern heißt) wird das Spiel aber nicht im Free TV zu sehen sein. Siehe dazu eine Meldung des Sportinformationsdienstes (sid), unter anderem zu finden bei faz.net.
+++ Witze bei Twitter können weiterhin Account-Sperrungen nach sich ziehen (siehe Altpapier von Dienstag). Aktuell unter anderem betroffen: der Krimiautor Tom Hillenbrand, der dazu in eigener Sache bloggt.
+++ “Redakteure des Tagesspiegel und Journalisten von Medien aus ganz Deutschland“ haben bei der re:publica ein “Manifest“ vorgestellt (ja, why not?, Manifeste kann man immer brauchen), und die genannte Zeitung hat es publiziert. Um den “Journalismus der Dinge“ geht’s. In der Einleitung heißt es: “Es gibt eine rasant zunehmende Zahl und Allgegenwärtigkeit vernetzter Geräte. Ob Drohnen, Sprachassistenten, Fitnesstracker, Satelliten, Kameras, Luft-, PH- oder Abstandssensoren (…) Durch ihre Vernetzung mit Menschen und anderen Maschinen über das Internet verändert diese Entwicklung weitreichend, wie wir die Welt sehen und welche Informationen über uns gesammelt werden (…) Um diese Entwicklungen sowohl kritisch begleiten als auch kreativ nutzen zu können, braucht es einen neuen Journalismus.“ Viele kritische Anmerkungen dazu hat Lorenz Matzat parat. Sein Fazit: “Letztlich bleibt der Eindruck zurück, dass die Autor*innen des Manifests im 'Journalismus der Dinge‘ einen Tausendsassa sehen wollen. Doch weder über seine Identität noch seine eigene Geschichte ist man im Klaren. Vielleicht gelingt es der zweiten Version des Manifests, dies klarer zu fassen.“
+++ Mehr von der #rp19: Julia Bähr greift in ihrem Text für die FAZ-Medienseite einen Vortrag der Netzaktivistin Katharina Nocun über die Datensammelbegierde von Netflix auf: “Nocun fächerte die Daten auf, die Netflix von ihr gesammelt hatte und die es leicht ermöglichen würden, ein Profil ihrer Persönlichkeit, aktuellen psychischen Verfassung und Lebensgewohnheiten zu erstellen. Warum es für Netflix so wichtig ist zu speichern, wann Nocun die Wiedergabe von Filmen oder Serien für welche Dauer unterbrochen hatte, von welchen IP-Adressen sie sich angemeldet und wie oft sie vorgespult hatte, weiß wohl nur das Unternehmen selbst. Aber es fördert das Vertrauen in den Anbieter nicht gerade.“ Anna Schughart vom Redaktionsnetzwerk Deutschland dazu in der HAZ: “Mithilfe der Datensammlung, erzählt Nocun, sei es sogar möglich gewesen, zu erkennen, dass sie sich in der zweiten Staffel von ’13 reasons why’ vor allem für die Geschichte eines einzelnen Charakters interessiert habe. ‚An dem Punkt habe ich angefangen, mich wirklich unwohl zu fühlen.‘ Denn wie oft jemand beispielsweise gewalttätige Szenen überspringe – oder mehrfach anschaue – das verrate etwas über diese Person. ‚Auf Grundlage dieser Daten kann man auch sehen, wer sich welche Art von Sex-Szenen anschaut. Ich nehme an, dass die meisten Menschen es bevorzugen würden, dass solche Art von Daten über sie nicht gespeichert werden.’“
+++ Über Die Morddrohungen gegen den Beobachter-News-Chefredakteur Alfred Denzinger und seine Familie (Altpapier, Altpapier) berichtet nun auch die Wochenzeitung Kontext. “Obwohl sich zahlreiche Vorfälle auflisten lassen, hatten die Ermittlungsbehörden bislang noch kein einziges Mal Erfolg dabei, die Täter ausfindig zu machen. Denzinger hat allerdings den Eindruck, dass die staatlichen Behörden ernsthafter um Aufklärung bemüht sind – seit die Angriffe auf ihn und die Redaktion der Beobachter News größere mediale Aufmerksamkeit erhalten.“
+++ Kontext hat außerdem die Gemeinschaftsredaktion der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten besucht - und dabei sowohl die Meinung aufgeschnappt, dass die Blätter nach wie vor einen “unterschiedlichen Charakter" haben, als auch die, dass das Bemühen, “zwei Zeitungen mit unterschiedlichem Profil zu produzieren, 'auch schon mal größer war‘“.
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.