Das Altpapier am 03. Mai 2019 Konfetti, für den Moment
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Für Facebook wären es Peanuts, für den Guardian ist es ein Grund zum Jubeln: 800.000 £ Gewinn. Regierungstreue Medien in der Türkei befürchten eine “ideologische Besatzung“ durch Auslandssender. Kevin Kühnert spielt mit Erregungsspiralen und politischen Reflexen. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Das kollektive Aufatmen der Medienmenschen war fast weltweit hörbar. Irgendwie scheint also doch zu möglich zu sein, (im Netz) mit Journalismus Gewinn einzufahren. Der Guardian (bzw. Guardian News & Media, wozu neben der namensgebenden Zeitung ja auch der Observer gehört) hat am Mittwoch verkündet, zum ersten Mal seit rund 20 Jahren ein operatives Plus von 800.000 Pfund (an die 900.000 Euro) erwirtschaftet zu haben – und das ohne Paywall.
Das sind zwar Peanuts für Unternehmen wie Facebook, aber für das britische Medienhaus und die ganze Branche ein Anlass für Pauken und Trompeten. Vor allem nachdem das Haus vor drei Jahren noch Miesen in Höhe von 57 Millionen Pfund gemacht hatte.
Zwischen Hiobsbotschaften rund um Konsolidierungen, Kürzungen, sinkende Einnahmen, Arbeitsverdichtung, prekäre Beschäftigungssituationen und grundsätzlichen Zweifeln, inwiefern Journalismus künftig noch finanzierbar sein wird, ist das zwar erfreulich, aber andererseits auch kein Grund für uneingeschränkte Jubelorgien. Als gutes Zeichen kann man den Erfolg sicher werten, nicht aber als Blaupause, dafür ist der Guardian wohl ein zu spezieller Fall. “The Guardian is a weird newspaper”, schreibt Joshua Benton, der Direktor des Harvard’schen NiemanLabs. Denn:
“Most newspapers don’t have nearly two-thirds of their readers coming from outside the country they’re based in. Most newspapers don’t start in one city and then move to another one. Most newspapers aren’t owned by a trust that mandates they promote ‘liberal journalism both in Britain and elsewhere.’”
Ebenfalls eine große Rolle spielt die Sprache. Mit dem Englischen hat der Guardian eine deutlich größere potenzielle Reichweite als etwa deutschsprachige Blätter. Bei Deutschlandfunks “@mediasres“ wirft Brigitte Baetz auch einen Blick auf die Entwicklung des Hauses unter der rund 20 jährigen Führung von Chefredakteur Alan Rusbridger:
“Unter Rusbridgers Ägide entwickelte sich der 'Guardian‘ von einer vor allem in Großbritannien wahrgenommenen Tageszeitung zu einer internationalen Medienmarke. Drei Viertel der Leserschaft des 'Guardian‘ leben und arbeiten heute außerhalb des Vereinigten Königreiches. Dazu trugen die Strategie bei, alle Inhalte sofort online zu publizieren“.
Der Erfolg zum großen Teil an dieser Digital-First-Strategie, schreibt Theresa Hein bei der Süddeutschen:
“Seit dem fast apokalyptischen Trump- und Brexit-Nachrichtenjahr 2016 sind die Onlinezugriffe des Guardian um 70 Prozent gestiegen, die Mehrheit des Umsatzes (55 Prozent) kommt heute von den digitalen Angeboten. Die Printausgabe, die seit Anfang 2018 in neuer Optik und im günstiger zu produzierenden Tabloid-Format erscheint, macht nur noch acht Prozent des Gesamtumsatzes aus“,
Trotz des kontinuierlichen Verlusts weigerte sich Rusbridger zudem, eine Bezahlschranke einzuführen. Seit drei Jahren sitzt bzw. kämpft nun Katherine Viner auf dem Chefredakteurinnenposten. Bei all der Freude nun aber die Opfer zu vergessen, die der Guardian dabei auch brachte, wäre zu einseitig.
Denn ganz ohne Sparmaßnahmen kam natürlich auch der Guardian nicht aus. In deutschen Meldungen kommt das meist nicht so heraus, aber Amol Rajan behält das für die BBC im Blick. 450 Stellen seien weggefallen, 120 davon im redaktionellen Bereich. Produktionskosten seien im Print-Bereich durch den Wechsel vom Berliner zum Tabloid Format gespart worden. Große und schnelle Expansionen in Australien und den USA seien zurückgefahren worden und nun profitabel. Insgesamt seien rund 20 Prozent der Kosten eingespart worden.
Benton und Rajan nennen jeweils einige Punkte, die den Erfolg des Guardian ausmachen. Zusammengefasst sieht das etwa so aus:
- Eine starke Leser-Blatt-Bindung an Stelle von riesiger, anonymer Reichweite: Dazu gehört eine starke Identität, statt “milder Stimmlosigkeit“, wie Benton sie US-Zeitungen attestiert. Für’s reine Rausblasen von Nachrichten will niemand zahlen, für einen speziellen, transparent kommunizierten Blick auf die Welt schon eher. Die Beziehung zwischen Zeitungen und ihrem Publikum müsse mehr werden, wie die enge Bindung von Hörern zu ihren liebsten Radiosendern.
- Denn das führt zu einer stärkeren Zahlungsbereitschaft von Nutzerinnen und Lesern, nach der der Guardian mit auch aktiv und auf freiwilliger Basis fragt. Ähnlich macht es in Deutschland z.B. die taz. Dabei geht es nicht darum, Zugang zu Inhalten zu erwerben, sondern gewissermaßen Teil der Sache zu sein. Beim Guardian heißt es: Spendenmodell statt Paywall. Dabei müssen Medienhäuser allerdings über ihren Schatten springen und offensiv nach Geld fragen.
- Dabei ist eine genaue Analyse von Nutzerdaten nötig: Wann, warum und womit werden Nutzer:innen getriggert, für ein Angebot zu zahlen? Beim Guardian wird laut Rajan z.B. oft angenommen, dass die mitte-links Gesinnung ein Grund des Erfolgs sei. Daten zeigten allerdings auch, dass bestimmte Recherchen, z.B. zum Cambridge Analytica Skandal, größeren Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft hätten.
- An angemessener Stelle sparen (siehe oben) und die steigenden Erlöse wieder in Journalismus investieren.
- Das setzt auch den Mut zu einer langfristigen Planung und zu einem vorübergehenden Minus voraus, statt der Konzentration nur auf den kommenden Jahresabschluss.
Auch wenn der Guardian vor allem auf Nutzer-Einnahmen setzt: Eine große Unbekannte ist und bleibt der Werbeerlös. Benton zufolge kommen zwar nur noch acht Prozent der Einnahmen von Print-Anzeigen. Aber wie sich der digitale Markt mit den Advertising-Schluckern Facebook, Google und Amazon, mit dem Brexit weiterentwickelt, ob die nachrückenden Nutzer-Generationen Y und Z auch freiwillig für Medieninhalte zahlen werden, all das ist noch nicht richtig absehbar.
Ein bisschen Konfetti geschmissen werden darf für den Moment trotzdem, nicht nur in Großbritannien, sondern auch auf den hiesigen Medienseiten. Denn was die Finanzierung von Journalismus angeht gilt tatsächlich mal “good news are good news“.
Internationaler Tag der Pressefreiheit
Weniger gute Nachrichten gibt’s zum heutigen Internationalen Tag der Pressefreiheit aus der Türkei. Dorthin wirft Susanne Güsten für den Tagesspiegel einen Blick. Die “Macht der türkischen Regierung über die Medien [ist] so groß wie nie zuvor“, schreibt sie.
Spätestens, seit die staatliche Nachrichtenagentur Andalou bei der Bürgermeisterwahl Ende März ihre Berichterstattung stoppte, als der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu seinen Rückstand auf den AKP-Bürgermeisterkandidaten Binali Yildirim fast eingeholt hatte, sei der letzte Rest Glaubwürdigkeit aus Oppositionssicht verschwunden.
“Erdogan kontrolliere nun 95 Prozent der Medien, rechnet das International Press Institute (IPI) vor, die älteste internationale Organisation zur Stärkung der Pressefreiheit. Alle Fäden laufen im Präsidialamt in Ankara zusammen: Von hier werden das Staatsfernsehen TRT und die Nachrichtenagentur Anadolu gesteuert. Die Medien-Regulierungsbehörde RTÜK, die alle Programme der privaten Radio- und Fernsehsender im Land überwacht, untersteht ebenfalls dem Staatschef.“
Und auch für kritische Journalist:innen sieht die Situation bekanntlich wenig nach Konfetti aus. Nach Angaben der Online-Plattform “Turkey Purge“, die Erdogans “Säuberungen“ dokumentiert, seien seit dem Putschversuch Mitte 2016 mehr als 300 Journalist:innen festgenommen worden. Davon säßen nach Angaben des New Yorker Komitees zum Schutz von Journalisten aktuell 68 in Haft. Laut der türkischen Organisation P24 seien es “mehr als 100“. Human Rights Watch zähle sogar mehr als 175 inhaftierte Medienschaffende. Hoffnung auf Veränderung gebe es wenig, schreibt Güsten:
“Nur das Verfassungsgericht in Ankara hat sich einigen groben Übergriffen gegen Journalisten in den Weg gestellt. Im Januar 2018 ordneten die Richter die Freilassung der Autoren Mehmet Altan und Sahin Alpay an, die trotz des Widerstandes untergeordneter Gerichte schließlich auf freien Fuß gesetzt wurden. In diesen Tagen beraten die Verfassungsrichter über weitere Fälle inhaftierter Journalisten, die auf Freilassung hoffen.“
Viele Türken seien deshalb auf der Suche nach anderen Informationsquellen und würden im Ausland fündig:
“Besonders die türkischen Online-Angebote von Deutscher Welle und BBC sind seit längerem bei türkischen Lesern beliebt und fungieren als Gegengewicht zu der beinahe gleichgeschalteten Medienlandschaft in der Türkei. (…) Auch andere ausländische Medien haben den türkischen Markt für sich entdeckt. Der Independent richtete kürzlich eine türkische Nachrichten-Website ein. Sputnik aus Russland wirbt mit türkischen Berichten um Leser, aus Katar bietet Al Jazeera türkische Berichte an.“
Neu auf dem Markt ist dabei ein gemeinsames Youtube-Angebot der Auslandssender Deutsche Welle, BBC, Voice of America und France24 mit dem Namen +90. Dabei wäre es wichtig, dass auch von innen wieder kritischer Journalismus möglich wird. Denn Nationalisten benutzen die zunehmende Berichterstattung aus dem Ausland, um Spaltung zu betreiben:
“Allein die Deutsche Welle habe ein Budget von mehreren Millionen Euro, 'um Erdogan zu stürzen‘, schrieb der Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung Yeni Safak, Ibrahim Karagül, auf Twitter. Der Kolumnist Salih Tuna warf den vier westlichen Medienhäusern in der Erdogan-treuen Sabah vor, sie wollten die Türkei ideologisch für eine 'Besetzung‘ bereit machen.“ (Tagesspiegel)
Die Türkei ist aber bei weitem nicht der einzige Brennpunkt in Sachen Pressefreiheit. Lesens- und hörenswerte Stücke gibt’s u.a. auch zur Situation in Russland (RBB) und Österreich (Deutschlandfunk, mehr zu Armin Wolf und der FPÖ haben wir auch in den Altpapieren von Montag, Dienstag und Donnerstag). Das RND hat Porträts verschiedener Journalist:innen zusammengestellt, die 2018 und wegen ihrer Arbeit getötet wurden und das Medium Magazin hat Stimmen zur Situation in Deutschland zusammengetragen.
Hysterie vs. Echter Diskurs
Auch in Deutschland scheint der ein oder andere Angst vor einer Besatzung zu haben, nämlich durch den Sozialismus des Kevin Kühnert. Die Überlegungen (Zeit, €) des Juso-Chefs zu einer “Kollektivierung“ der deutschen Wirtschaft und vor allem bei BMW sind schon längst zu nächsten großen Sau geworden, die durch die Politikberichterstattung getrieben wird.
Man könnte fast meinen, eine Bundeskanzlerin habe von einer Rückkehr zur Planwirtschaft gesprochen, so omnipräsent ist die Diskussion. Dabei sitzt Kühnert nicht mal im Bundestag. Doch die Überlegungen des 29-Jährigen führten trotzdem zu entsetzten Reaktionen aus Union und teilweise auch SPD, aus der Wirtschaft sowieso. Beim Deutschlandfunk analysiert Mathias von Lieben:
“Die Dynamik der Debatte zeigt, wie eingeübt die Erregungsspirale samt alter Reflexe beim politischen Gegner mittlerweile ist – und wie wenig substanzielle Ideen einige Politiker haben, um eine echte Debatte über die großen politischen Fragen unserer Zeit in Gang zu bringen.“
Dabei ist es ja gerade Kühnerts selbsterklärtes Ziel, wieder mehr klare Kanten in die Ausrichtung seiner Partei zu bringen. Dafür nutzt er die Mechanismen der politischen Öffentlichkeit recht geschickt:
“Er kennt die klassischen politischen Reflexe, spielt mit ihnen. Und auch mit uns Medien, die wir viel zu oft und zu schnell solch oberflächlichen Debatten reproduzieren. Es wäre zu wünschen, dass sich die erste Hysterie schnell legt und der Einstieg in eine echte Diskussion möglich wird.“
In diese Richtung geht es bei SpOn. Statt diverse entsetzte oder zustimmende Stimmen zusammen zu quirlen und weitere einzuholen haben Florian Diekmann und Benjamin Bidder sich dort die Forderungen und Begriffe vorgenommen, die Kühnert in besagtem Interview umherwirft: Kollektivierung, Verstaatlichung, Genossenschaften. Daraus ist ein lesenswerter, auf dem Teppich gebliebener Faktencheck entstanden.
Kühnerts Vorschläge sehen sie als weniger radikal, sondern eher unpräzise. Über Vorschläge kämen seine Ansätze nicht hinaus und teilweise gebe es Widersprüche:
“Kühnert gibt an, ihm sei 'nicht wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW staatlicher Automobilbetrieb steht oder genossenschaftlicher Automobilbetrieb‘. Am Ende des Interviews bleibt der Eindruck, das könnte ihm womöglich auch deshalb so gleichgültig sein, weil er sich mit den Unterschieden im Detail ohnehin nicht beschäftigt hat.“
Altpapierkorb (Finanzen von ARD und ZDF, #goa19, Armin Wolf, Desinformation, Zeit-Ressort X)
+++ ARD und ZDF wollen mehr Geld, gleichzeitig aber auch Stellen abbauen. Die Rundfunkanstalten haben ihren Finanzbedarf für 2021 bis 2024 bei der KEF angemeldet, berichten u.a. dwdl.de und der Tagesspiegel.
+++ Die Nominierungen Grimme Online Award sind ebenfalls ein großes Thema auf den Medienseiten, u.a. drüben in der Grimberg-Medienkolumne und bei heise.de (dpa). Laut Jury gab es nicht gerade ein Innovations-Feuerwerk, aber viel solide Qualität bei den #goa19-Vorschlägen.
+++ Zur Causa FPÖ vs. Armin Wolf gibt’s noch ein paar neue Stimmen, u.a. vom österreichischen Bundespräsident Van der Bellen und SPD-Justizministerin Barley (beides beim Standard).
+++ Ein Großteil der Deutschen (82 Prozent) hat laut Tagesspiegel Angst vor Desinformation und deren Auswirkungen auf Wahlergebnisse.
+++ Der Streit, ob Sat.1 “so mir nichts dir nichts die zuständige Medienanstalt wechseln kann“ – von Rheinland-Pfalz (LMK) nach Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) – geht laut Hans Hoff (Süddeutsche) mit einer Revision beim Bundesverwaltungsgericht weiter. Es geht um Drittsendezeiten für Anbieter wie “Spiegel TV“.
+++ Zeit Online will Inhalte zum Bingen anbieten. Im neuen Ressort X sollen Serien zu “den großen Themen unserer Zeit“ veröffentlicht werden. Statt einzelner Folgen gibt’s Features, Reportagen, Foto- und Videoessays und Datenvisualisierungen, die alle auf einmal, statt in Häppchen online gehen. Dabei soll es aber nicht um schnelles Herunterschlingen von Inhalten gehen, sondern wohl eher um bewusstes Verdauen. Denn im neuen Ressort gibt es keine schnellen Meldungen. Stattdessen liegt der Fokus laut Verlag auf Hintergrundberichterstattung. “Im Alltag eines Onlinenachrichtenangebots, der von Minuten und Stunden bestimmt wird, fehlen gelegentlich die Wochen und Monate, um all jene Fragen, die uns eigentlich auch noch beschäftigen, umfassend aufzubereiten. Deshalb gründen wir X. Das neue Ressort wird sich um jene großen Themen unserer Gesellschaft kümmern, die wir oft so leidenschaftlich diskutieren und gerne noch viel öfter umfassend beleuchten würden“, schreibt Zeit-Online-Chefred Jochen Wegner im hauseigenen Blog.
+++ Was Medienhäuser so bei Facebook treiben und wie das funktioniert? Mehr als Dreiviertel der Posts enthalten Links und URLs. Die Interaktionsernte fällt dabei allerdings niedriger aus, als bei anderen Inhalten. Mehr Infos aus der internationalen Untersuchung von Quintly gibt’s bei Horizont.
+++ Von der deutsch-französischen Serie “Eden“ hätte die deutsche TV-Kritikerzunft sich wohl mehr erwartet, bzw. in gewisser Weise auch weniger. Zu viel schablonenhafte Szenen, zu viel Geklimper, kritisiert Altpapier Autor René Martens bei der taz. Zu viele Ebenen, die zu umständlich erzählt werden, schreibt Torsten Zarges bei dwdl.de und bemängelt eine “Konstruktion, die auf Biegen und Brechen demonstrieren will, dass alles mit allem zusammenhängt.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag. Schönes Wochenende!