Das Altpapier am 02. Mai 2019 Kalter Krieg in Österreich?
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An Tag zehn in der Causa Armin Wolf meldet sich Kanzler Kurz zu Wort. Auch in Frankreich ist die Pressefreiheit in Gefahr. Und beim Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Christchurch wollen die Medien dem Täter und dessen rechter Ideologie möglichst keine Bühne geben. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.
Inhalt des Artikels:
- Pressefreiheit in Frankreich
- Keine Bühne für rechte Ideologien
- Altpapierkorb (Öffentlich-rechtliche Utopie, Judith Kaufmann, Neues von Assange, Hartz-IV-Fernsehen, Schauspieler und Filmcharaktere mit Behinderung, Frauen auf dem Sports-Illustrated-Cover und im Vatikan, Politi-Fact und “grüner Liebesrausch“)
Die Sache Armin Wolf vs. Harald Vilimsky (siehe Altpapier hier, hier und hier) spitzt sich zu. Nachdem Vilimsky, EU-Spitzenkandidat der FPÖ, in einem Interview sagte hatte, dass er Wolf “vor die Tür setzen würde“, attestiert die Zeit-Wirtschaft heute:
“Spätestens jetzt hat der kalte Krieg zwischen Regierung und ORF ein Gesicht und einen Namen.“
In Österreich steht eine Rundfunkreform der Regierung an. Wolf könne, schreibt Joachim Riedl in seinem ausführlichen Portrait, “leicht auf eine Abschussliste gelangen“.
In Österreich steht eine Rundfunkreform der Regierung an. Wolf könne, schreibt Joachim Riedl in seinem ausführlichen Portrait, “leicht auf eine Abschussliste gelangen“.
In den vergangenen Tagen waren die österreichischen Regierungsmitglieder auf Deeskalationskurs und sprachen sich für eine freie Presse aus.
Am Dienstag hat sich der österreichische Kanzler Sebastian Kurz, der bislang zum Thema geschwiegen hatte, in der ORF-Nachrichtensendung ZIB2 bei Armin Wolf selbst geäußert. “Klare Worte dazu“ vermisst Leila Al-Serori auf der SZ-Medienseite von heute (ausführlichere Online-Version bei SZ.de) allerdings. Erst gegen Ende kamen sie auf das Thema Koalitionspartner FPÖ. Deren Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache forderte diese Woche – nicht zum ersten Mal –, dass die Rundfunkgebühren für den ORF gestrichen werden (Kurz stimmte dem nicht zu). In der SZ heißt es:
“'Ich bin ein Fan von unabhängigen Medien‘, betonte der Kanzler gegen Ende des Gesprächs mit ORF-Moderator Wolf. Auch wenn diese nicht immer freundlich berichteten.“
Die Koalition sieht Kurz nach den Vorfällen übrigens nicht in Gefahr.
Ähnliche Töne bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
“'Hat Spaß gemacht‘, sagte der Bundeskanzler in der Pressekonferenz, er 'gehe gern in die 'ZIB2'‘, wenn Armin Wolf moderiere, 'weil ich konfrontative Situationen mag‘“,
zitiert die FAZ Kurz über seinen Auftritt bei Wolf. Sowohl von Kurz als auch Strache gab es bei der Konferenz Bekenntnisse zur Pressefreiheit. Kurz nannte sie “ein hohes Gut“, Strache bezeichnete die journalistische Freiheit und Unabhängigkeit als “ein absolut hohes Gut und absolut schützenswert“. Kurz betonte, er sehe aber auch eine Verantwortung “insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien, objektiv zu berichten und kritisch allen Parteien gegenüber zu agieren“, Strache, er sehe auch beim ORF “eine hohe Verantwortung, wenn es um das Objektivitätsgebot geht“.
Bei dem bei Strache so beliebten Nazijargon scheint Objektivität dann wieder nebensächlich. Seinen Kampfbegriff “Bevölkerungsaustausch“ hat er erst am Mittwoch wieder auf Nachrichten.at verteidigt. Zitat: “Ich lasse mir den Mund nicht verbieten.“ Sogar Koalitionspartner Kurz sagte dazu, wie die SZ zitiert, das Wort sei “faktisch falsch“. (Zitat: “Schließlich würden ja keine Europäer nach Afrika gehen, es gebe also keinen Austausch, sondern nur eine Massenmigration in eine Richtung.“) Aber Hauptsache, es knallt.
Während die Politik Objektivität fordert und selbst mit Füßen tritt, ordnet Armin Wolf selbst in einem Interview mit der Welt (€) objektiv ein:
“In Österreich werden Journalisten weder körperlich bedroht noch eingesperrt oder verfolgt. Man muss also schon die Kirche im Dorf lassen.“
Pressefreiheit in Frankreich
Anders sieht es in Frankreich aus. Auch dort wird die Pressefreiheit bedroht. In Frankreich kritisieren die Journalistengewerkschaften, dass die Polizei bei Demonstrationen der Gelbwesten willkürlich Journalisten festnimmt, systematisch gedeckt von der Regierung, berichtete Margit Hillmann am Mittwoch im Deutschlandfunk.
“(...) willkürliche Festnahmen und Polizeigewalt gegen Journalisten, die vor Ort über die Gelbwestendemos berichten, seien in Frankreich inzwischen an der Tagesordnung“,
zitiert der DLF Dominique Pradalié vom Vorstand der Journalistengewerkschaft SNJ, die weiter sagt:
“Journalisten wurden an Absperrungen blockiert, also am Arbeiten gehindert, ihr Arbeitsmaterial beschlagnahmt, zerstört, Pressekarten weggenommen. Sie wurden von Polizisten beschimpft, gezielt ins Visier genommen, mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas-Granaten verletzt. Wir haben Fotos, Videos und Zeugenaussagen, die das beweisen.“
Der Videojournalist Gaspard Glanz etwa wurde zwei Tage lang auf einer Polizeiwache festgehalten und wegen Polizistenbeleidigung angeklagt, bis zum Prozesstermin verbot ihm ein Richter, zu den Samstagsdemonstrationen der Gelbwesten und den Demonstrationen vom 1. Mai zu gehen. Nach Protesten aus französischen Medien zog ein zweiter Richter die Auflage zurück.
“Wir haben noch nie eine solche Repression gegen Journalisten in unserem Land gesehen. Und ich bin schon sehr lange Journalistin und Gewerkschafterin. Das hat es so noch nie gegeben“, sagt Dominique Pradalié im Deutschlandfunk.
Keine Bühne für rechte Ideologien
Wann der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Christchurch beginnt, steht noch nicht fest. Vorab haben die fünf größten Nachrichtenmedien in Neuseeland eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, mit der sie verhindern wollen, dass dabei rechten Ideologien eine Bühne gegeben wird.
“Soweit es mit dem Prinzip öffentlicher Rechtsprechung vereinbar ist, beschränken wir das Zitieren von Aussagen, die aktiv Ideologien von weißer Überlegenheit oder Terrorismus bewerben“,
zitiert die taz aus der Erklärung. Auch aus dem Manifest des Angeklagten soll nicht zitiert werden.
“Der Hang vieler Nachrichtenmedien zur personenbezogenen Berichterstattung überhöht die Täter und produziert Nachahmer – das ist hinreichend bekannt. Der deutsche Presserat hat daher schon nach dem Amoklauf 2009 in der Albertville-Realschule in Winnenden Empfehlungen abgegeben und vor einer “täterzentrierten Amokberichterstattung“ gewarnt. Im Prozess gegen den Utøya-Mörder im Jahr 2012 schaffte es dessen politische Selbstinszenierung allerdings quasi ungefiltert auf die internationalen Titelseiten und Bildschirme. (...) Personenkult muss vermieden, die Täter möglichst nüchtern und sachlich eingeordnet werden. Und Medien dürfen sich nicht für die Promo neonazistischer Inhalte einspannen lassen“,
ordnet Peter Weissenburger in der taz ein und erklärt, warum es schwer wird, diesen Vorsatz umzusetzen:
“Rassistische Statements und Symbole aussieben kann man nur, solange diese nicht für den Verlauf des Prozesses relevant sind. (...) Letztlich fragt sich auch, ob hier nicht wiederum der Auftrag zu ‚zeigen was ist‘ vernachlässigt wird. Denn um die Realität, dass da jemand inspiriert von neurechter Denke 50 Menschen ermordet hat, kommt man als Berichterstatter nicht herum.“
Altpapierkorb (Öffentlich-rechtliche Utopie, Judith Kaufmann, Neues von Assange, Hartz-IV-Fernsehen, Schauspieler und Filmcharaktere mit Behinderung, Frauen auf dem Sports-Illustrated-Cover und im Vatikan, Politi-Fact und “grüner Liebesrausch“)
+++ Ein gemeinsames Netzwerk aller öffentlich-rechtlicher TV-Sender – klingt utopisch? In der Zeit plädieren die Intendanten Thomas Bellut und Ulrich Wilhelm dafür.
+++ “Wer bei Wikipedia den Suchbegriff 'Kamerafrau‘ eingibt, wird weitergeleitet zu dem Eintrag 'Kameramann‘“, schreibt Ulf Pape heute im SZ-Feuilleton in seinem Portrait über Judith Kaufmann, die als Kamerafrau in diesem Jahr zwei Mal für den Deutschen Filmpreis nominiert ist.
+++ Am Feiertag-Aufmacher vieler Online-Zeitungen: Julian Assange ist wegen Verstoßes gegen seine Kautionsauflagen in Großbritannien zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt worden. “Bereits an diesem Donnerstag soll es erstmals eine Anhörung zum Auslieferungsgesuch der USA geben, das inzwischen vorliegt“, meldet die SZ.
+++ Bei Bento gibt es eine Ehrenrettung für “Hartz-IV-TV“. Autorin Thembi Wolf schreibt, sie wisse selbst, wie es ist, wenn das Geld nicht reicht. “Dass auch meine Welt existiert, bestätigte mir nicht das Nachmittagsprogramm auf Vox, sondern das auf RTL2.“
Entsprechende Reality-Formate werden von Medien zurecht kritisiert, oft aber auch peinlich belächelt (aktuell zum Beispiel “Armes Deutschland“ bei Focus Online).
+++ Bei Leidmedien weist Jonas Karpa auf eine (schon etwas zurückliegende) Ausgabe der US-amerikanischen Talkshow “Larry King Now“ hin, in der der Moderator unter anderem mit den Schauspielern RJ Mitte und CJ Jones über Darsteller mit Behinderungen sprach. Mitte ist an Zerebralparese erkrankt, Jones ist gehörlos. “In den USA hat jede*r fünfte eine Behinderung, aber nur 3% aller Charaktere im Film haben eine Behinderung. Gleichzeitig werden 95% aller Rollen mit Behinderung von Schauspieler*innen ohne Behinderung gespielt“, heißt es in dem Artikel, der auch Gründe aufzeigt, warum sowohl die Besetzung von Menschen mit Behinderung als auch Filmcharaktere mit Behinderung in Deutschland selten sind.
+++ “Es gibt sie immer noch, Magazine, die sich durch das Frauenbild, dass sie abbilden, schon längst selbst abgeschafft haben müssten“, schrieb Theresa Hein bereits am Dienstag auf SZ.de. Dass die “Swimsuit“-Ausgabe der Sports Illustrated, die sich sonst über das Räkeln mit nackter Haut definiert, nun auf dem Cover zum ersten Mal eine muslimische Frau mit Hidschab, nämlich das Model Halima Aden, zeigt, nimmt die Autorin zum Anlass, auf weitere historische Cover-Frauen hinzuweisen.
+++ Oliver Bilger portraitiert im Tagesspiegel vom Dienstag Angie Drobnic Holan, Chefredakteurin der Fact-Checking-Plattform Politi-Fact, der Trump ziemlich viel Arbeit bereitet.
“Nach 601 Tagen im Amt sei bereits die Grenze von 5000 erreicht worden – acht pro Tag. Nur 226 Tage später – am 26. April - seien es bereits 10.000 Falschaussagen gewesen. Pro Tag kamen in diesen sieben Monaten im Durchschnitt 26 falsche oder irreführende Behauptungen aus dem Mund oder der Feder Trumps.“
+++ Ende März ist die Redaktion der Frauenbeilage “Donne Chiesa Mondo“ (“Frauen Kirche Welt“) der Vatikanzeitung “L‘Osservatore Romano“ geschlossen zurückgetreten, aus Protest gegen die Einflussnahme durch den neuen Chefredakteur Andrea Monda nach der Berichterstattung über den Missbrauch von Nonnen durch Geistliche. In der FAZ von heute stellt Monda seine neue Redaktion vor.
+++ Stefan Niggemeier attestierte dem Stern bei Übermedien bereits am Dienstag einen “grünen Liebesrausch“. Der Hype um Robert Habeck erinnert ihn an den um Martin Schulz vor zwei Jahren.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.