Das Altpapier am 29. April 2019 FPÖ, NPD, AfD
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Es geht heute um drei unvergleichliche Parteien: Die FPÖ benutzt den ORF mal wieder für die Selbstinszenierung als Medienopfer und zielt auf Moderator Armin Wolf. Das ZDF muss den NPD-Wahlspot nicht senden. Und es gibt neue Zahlen, warum die AfD die Facebook-Partei ist. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Das Interview des ORF-Moderators Armin Wolf mit dem FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, das bereits am Dienstag stattgefunden hat (Altpapier), hat am Wochenende auch in nicht-österreichischen Medien noch einmal Widerhall gefunden. Wolf hat Vilimsky darin unter anderem mit einer Karikatur konfrontiert, die von einer FPÖ-Jugendorganisation verbreitet wurde, und ihn gefragt, ob er sagen könne, was die Darstellung von einer im Stürmer unterscheide.
Was Armin Wolf getan hat, ist aber nicht die Geschichte – zumindest nicht mehr. Mittlerweile haben sich FPÖ-Leute in Reihe ähnlich geäußert wie Vilimsky, der schon in der ORF-Sendung direkt sagte, die Gegenüberstellung sei „etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann“. Sie wollen ihn also loswerden; manche legen Wolf ein „Sabbatical“ nahe, andere empfehlen ihm, für "die Sozialistische Partei" zu „kandidieren“, dritte behaupten, er könne mit seinem "Verhörton (…) im Volksgerichtshof auftreten“; aber Vilimsky nennt das Kind durchaus auch einfach beim Namen.
Die Geschichte ist also: Vertreter einer Regierungspartei, die nicht zum ersten Mal (siehe z.B. dieses oder dieses Altpapier) massiv Einfluss auf die Berichterstattung des ORF zu nehmen versucht, wollen offensiv einen öffentlich-rechtlichen Fernsehmoderator abschießen. „Der österreichische öffentlich-rechtliche Rundfunk ORF ist offensichtlich von der FPÖ zu einem der Hauptthemen im Wahlkampf ausersehen worden – als Feindbild und als Motivation für Anhänger der rechten Partei, an der Europawahl teilzunehmen“, schrieb etwa die FAZ am Freitag.
Was aber meinte die NZZ am Wochenende? Der „Nazi-Vergleich“ sei „(k)eine Sternstunde für Armin Wolf“. Und wie titelte Tagesspiegel.de am Freitagnachmittag? „Wolf zieht Nazi-Vergleich“.
Die FPÖ will unliebsamen Journalisten entfernen – aber hey, irgendwie auch selber schuld, bei so einem Ausschnitt…? Hm. Die Sorge, dabei erwischt zu werden, dass man die angeblichen Sorgen der angeblich Besorgten nicht ernstnimmt, scheint wirklich groß zu sein. „Der Fall“, findet Rainer Stadler in der NZZ, „ist ein weiteres Beispiel dafür, wie in der politischen und medialen Auseinandersetzung allzu leichtfertig Nazi-Vergleiche gezogen werden.“
Vielleicht muss man doch nochmal kurz den Kontext benennen.
In der „ZIB 2“-Ausgabe vom 23. April, in deren Rahmen Wolf das Interview mit Vilimsky führte, ging es im Filmbeitrag direkt zuvor (ab Minute 4:06) unter anderem um das sogenannte Rattengedicht, das in einer FPÖ-Parteizeitung erschienen war. Ein FPÖ-Lokalpolitiker aus Braunau hatte darin „Menschen mit Ratten verglichen“ und war „über Migranten hergezogen“ (tagesschau.de). „(A)bscheulich, menschenverachtend, zutiefst rassistisch“ war die Gedichtinterpretation, die selbst dem österreichischen Regierungschef Sebastian Kurz dazu irgendwann einfiel. Kurz „hatte zuletzt wiederholt rechtsextremistische Entgleisungen bei der FPÖ kritisiert“ (FAZ). Das war der Kontext des Interviews, in dem Armin Wolf unter anderem auch auf die Verbindungen zwischen FPÖ und Identitären zu sprechen kam. Wolfs Einstiegsfrage an Vilimsky (ab Minute 7:50) lautete: „Warum gibt es in Ihrer Partei immer wieder solche angeblichen Einzelfälle wie jetzt wieder in Braunau?“
Wer selbst in solchen Zusammenhängen kritisiert, dass Nazi-Vergleiche „leichtfertig“ gezogen würden, kennt den Unterschied zwischen Vergleich und Gleichsetzung nicht. Und wenn man sich schon leichtfertig auf Wolf kapriziert, müsste man dann wenigstens genau hinhören. Er verglich nicht die FPÖ mit den Nazis. Er verglich die Darstellung von Migranten durch FPÖ-Leute mit der Stürmer-Karikatur eines Juden. Nicht nur die FAZ (Seite 3 vom Freitag) sah die Ähnlichkeit ebenfalls. Der Standard schreibt „von finsteren Zuwanderern mit langer Nase, Bart und Buckel“. Und nein, ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass der Zeichner des FPÖ-Cartoons nur auf seinem Zeichenstift ausgerutscht ist…
Ein Beitrag zur Haltungsdebatte
Armin Wolf bekommt nun, neben viel Kritik von FPÖ-Leuten, freilich auch viel Rückendeckung, die auch allerorten zitiert wird. Die SZ schließt ihren Text dann mit einer nicht unmaßgeblichen Einordnung: „Die FPÖ wird vermutlich trotzdem nicht nachlassen mit den Angriffen, weil sich die Inszenierung als Opfer vermeintlich linker Medien immer schon ausgezahlt hat für die Partei.“ Das ist einer der entscheidenden Punkte bei der ganzen Diskussion, die in Österreich logischerweise viel größer ist als in Deutschland.
Und da sieht man’s mal wieder: Wenn eine journalistische Einordnung fehlt, ist es manchmal schwer möglich, den Punkt zu treffen. Es gibt hin und oder einfach keine wahrhaftige Berichterstattung ohne eigene Worte dazu. In den Texten zum Thema, in denen nur abwechselnd FPÖ-, ÖVP-, ORF- und Journalistenverbandsleute zitiert werden, mag zwar alles schön ausbalanciert sein, aber am Ende fehlt Entscheidendes.
Es bietet sich an, Jagoda Marinics taz-Kolumne vom Wochenende hier zu zitieren, in der es um die Newsrooms geht, die sich Parteien mittlerweile selber einrichten. Aber um das, was in Journalistenrunden als „Haltung“ diskutiert und auch hinterfragt wird, geht es auch. Marinic schreibt:
„Guter Journalismus verhindert sich derzeit durch Haltungslosigkeit selbst. Faktenbasierter Journalismus bedeutet keineswegs, ein Journalist habe zu den Geschehnissen keine Haltung. (…) Auf der Basis demokratischer Grundwerte muss jeder Journalist einordnen. Kritisch hinterfragen. Das heißt nicht, das Mikro hinzuhalten und vor allem die Öffentlichkeit der Verantwortlichen zu vergrößern. Es heißt, die Komplexität der Realität zu vermitteln, damit eine demokratische Öffentlichkeit sich ihre Meinung bilden kann.“
Was die NPD unterscheidet
Wollen wir uns nun bitte kurz noch einmal an das SZ-Zitat über die FPÖ erinnern? „Die FPÖ wird vermutlich trotzdem nicht nachlassen mit den Angriffen, weil sich die Inszenierung als Opfer vermeintlich linker Medien immer schon ausgezahlt hat für die Partei.“
Man darf die NPD selbstverständlich nicht mit der FPÖ vergleichen, aber täte man es, käme man womöglich auf den Gedanken, dass sie es in der Hinsicht nicht ganz so drauf hat. Das ZDF muss ihren Wahlwerbespot nämlich nicht ausstrahlen. Das hat allerdings nicht das ZDF entschieden, denn das wäre gegebenenfalls zur Sendung verpflichtet. Sondern das Verfassungsgericht. Damit fallen „die Medien“ als Übeltäter in einer NPD-Opferinszenierung aus.
Nach dem Mainzer Verwaltungsgericht (Rhein-Zeitung vom Freitag) hat auch das höchste Gericht am Samstag entschieden, dass das ZDF „die Aussendung eines ausländerverachtenden Wahlspots der rechtsextremen NPD zur Europawahl verweigern“ dürfe, wie unter anderem der Tagesspiegel berichtet. Behauptet wird im Spot unter anderem, Deutsche würden „seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung fast täglich zu Opfern ausländischer Messermänner“.
Der Tagesspiegel hat auch beim für die ARD-Wahlwerbung zuständigen RBB nachgefragt, wie die ARD es denn mit dem Spot halte. Dort heißt es demnach: „Wir gehen davon aus, dass unsere Ablehnung, gegen die bisher keine Rechtsmittel geltend gemacht wurden, bestehen bleibt und wir nicht ausstrahlen.“
Gut zu wissen, dass das Fernsehen nicht jeden volksverhetzenden Dreck senden muss, nur weil er sich als Wahlkampf tarnt. Ein Unterschied zwischen NPD und, ähm, anderen Parteien besteht also womöglich darin, dass die anderen ihn einfach auf Facebook stellen oder in eine Parteizeitung schreiben, im Fernsehen aber wie besorgte traditionsbewusste Bürger aufzutreten wissen.
Die Facebook-Partei AfD
Zum Abschluss noch die neuesten Zahlen dazu: Wie die AfD auf Facebook agiert, dazu hat der Spiegel Daten des US-amerikanischen Professors Trevor Davis:
„In einer umfangreichen Analyse hat der Forscher untersucht, wie aktiv deutsche Parteien auf Facebook sind. Die AfD sticht dabei in einem Maße heraus, wie es Davis sich nicht hätte vorstellen können. Während die Partei in Umfragen derzeit zwischen 11 und 15 Prozent liegt, bestellt sie das Feld auf Facebook fast allein: Dort entfallen seit Oktober rund 85 Prozent aller weiterverbreiteten Beiträge deutscher Parteien auf die AfD. Die verbleibenden 15 Prozent dieser ‚Shares‘ teilen sich SPD, Grüne, Linke, FDP und Union, davon gehen nur jeweils 2 bis 3 Prozent an die Volksparteien SPD und CDU/CSU.“
Altpapierkorb (Internetintendanz, 22. Rundfunänderungsstaatsvertrag, Twitter-Threads, Jörg Kachelmann)
+++ Dass die Öffentlich-Rechtlichen eine Internetintendanz „jenseits der Anstalten“ gebrauchen könnten, hat das ZDF-Fernsehratsmitglied, der umtriebige Innsbrucker Professor Leonhard Dobusch, unter anderem schon auf der letzten re:publica kundgetan (Altpapier). Konkreteres über Idee, Aufgaben oder Struktur steht ausführlich als Debattenbeitrag in der Medienkorrespondenz. Ausformuliert als „Arbeitspapier“ mit Christoph Bieber und Jörg Müller-Lietzkow.
+++ Meanwhile die Wirklichkeit: 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Was damit im Mai anders wird, steht ausführlich im Tagesspiegel.
+++ Dirk von Gehlen lobt die Form des Twitter-Threads (Deutschlandfunk Kultur, „Breitband“).
+++ Der Metereologe Jörg Kachelmann, der auch für den MDR arbeitet, in dem bekanntlich das Altpapier erscheint, kritisiert die medialen Übertreibungen in Sachen Wetter: „ Niemand weiß heute, wie der Sommer wird. Dass ein Dürresommer wahrscheinlicher ist als andere Szenarien, ist aus heutiger Sicht gelogen“, schreibt er im Spiegel und kritisiert die Verbreitung eines „Weltuntergangsszenario(s), für das es nicht den Hauch einer Basis gab. Angeführt wie immer durch ‚Bild‘ mit der Lüge, dass ‚Meteorologen sicher‘ seien, ein neuer ‚Sahara- Sommer mit Mega-Dürre‘ stehe bevor. Dass Medien naturwissenschaftliche Sachverhalte frei erfinden, weil es ‚gut klickt‘, ist eine beunruhigende Entwicklung. Regen würde helfen.“ Meedia hat er ein Interview zum Thema gegeben.
+++ In der FAS geht es um Podcasts: „Podcasts mögen ausufern, abschweifen, kreiseln, aber sie zwingen einem ihr Format immer auf, es führt daran kein Weg vorbei. Sie zwingen einen dazu, dass man sich anstrengt, und das in diesem Internet.“
+++ Ein Portal, Broadly, bietet erstmals Stockfotos „von Menschen an, die sich weder als Mann noch als Frau bezeichnen“ (SZ).
+++ Ebd. würde Willi Winkler der Zeitschrift Twen zum 60. Geburtstag gratulieren, wenn es sie noch gäbe.
Neues Altpapier gibt es am Dienstag.