Das Altpapier am 12. April 2019 Werkzeug des Aktivismus

Zeit für einen Rückblick auf das ambivalente Verhältnis von Julian Assange und dem Journalismus. Warum Journalist:innen sich engagiert den Arsch abschreiben können, dahinter aber vieles beim Uralten bleibt. Die Sendereitelkeit ist überholt. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Manchmal kann man sich schon vor Mitte des Jahres ausrechnen, welche Bilder auf jeden Fall in all den Jahresrückblicken im Dezember landen werden. Neben dem grausamen Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch und Greta Thunberg haben sich vorausschauende Planer nun sicherlich auch die Verhaftung des Wikileaks-Gründers Julian Assange in einen Ordner mit der Aufschrift “Bilder 2019“ oder so ähnlich gelegt.

An Kiosken blickt heute eine Armada von Assanges von nahezu sämtlichen Titelblättern und auch im Innern der Zeitungen nimmt die Diskussion über “eine der bekanntesten und kontroversesten Figuren des Internetzeitalters“ (Süddeutsche, Seite Drei) viel Raum ein. Nachdem Ecuador, in dessen Botschaft in London Assange ja nun seit sieben Jahren lebte, ihm das Asyl entzog, wurde der 47-Jährige gestern in London verhaftet. Die Diskussion um den Hacker bewegt sich schon lange zwischen zwei Polen:

“für manch einen Ritter, der mutig gegen Finsterlinge kämpft. Für andere ist er ein manipulativer Informationsdieb, der Unschuldige gefährdet“,

schreibt Gunnar Hermann bei der SZ. Diskussionsbedarf um Assanges Person gibt es auf diversen Ebenen: z.B. auch wegen den Vorwürfe der sexuellen Belästigung zweier Schwedinnen. Aber wir wären nicht das Altpapier, wenn wir uns hier nicht vor allem auf eines konzentrierten: Die von den USA geforderte Auslieferung bringt auch die Diskussion im Assanges Tätigkeit wieder ins Scheinwerferlicht. Assange und der Journalismus, war das je ein Match?

" Assange's critics may cheer, but this is a dark moment for press freedom",

twittert der Whistleblower Edward Snowden aus dem russischen Asyl. Und Christian Mihr, Geschäftsführer der Reporter ohne Grenzen sagte gestern laut Pressemitteilung:

“Wikileaks-Veröffentlichungen wie die Irak-Papiere waren zweifellos von öffentlichem Interesse und haben breite politische Debatten ausgelöst. Assange noch nach fast neun Jahren dafür zu verfolgen, wäre eine reine Bestrafung und ein gefährlicher Präzedenzfall für Journalistinnen und Journalisten, für Whistleblower und andere journalistische Quellen. (…) Großbritannien muss gegenüber den USA zu seinen Prinzipien stehen und sicherstellen, dass Assange für seinen Beitrag zu journalistischer Berichterstattung entsprechend britischem und EU-Recht geschützt wird.“

Der Wikileaks-Gründer wird klar unter die Pressefreiheit einsortiert. Assanges eigenen Umgang mit Quellen und seine Veröffentlichungspolitik muss man unter journalistischen, berufsethischen Grundsätzen aber dennoch in Frage stellen. Das geleakte Material komplett und ohne Bearbeitung ins Netz zu stellen wurde schon vor einigen Jahren kontrovers diskutiert.

Denn ohne Rücksicht auf Verluste, einen sensiblen Umgang mit Daten und eventuellen Schaden für Beteiligte verfolgte er seine Prinzipien. Die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus wurde dabei überschritten, sagt auch Daniel Bouhs bei Deutschlandfunk Kultur und erinnert an das ambivalente Verhältnis zwischen Assange und Journalist:innen:

 “Journalisten haben Assange einerseits gerne angezapft, um an das Material zu kommen – der Spiegel, aber auch der Guardian und die New York Times. (…) Bei der konkreten Zusammenarbeit aber gab es schon immer viel Streit. (…) Für Julian Assange war Journalismus immer ein Werkzeug des Aktivismus, das hat er auch selbst so erklärt. (…) Er wollte Missstände aufdecken, wie Journalisten, ja, hat sich aber gleichzeitig nicht an journalistische Prinzipien gehalten, z.B. bei so großen Veröffentlichungen Kollateralschäden zu vermeiden. Assange wollte etwa bei den Unterlagen über die Aktivitäten der US-Soldaten in Afghanistan nichts anonymisieren. Das ging den Redaktionen, die er quasi beliefert hat, dann doch auch zu weit. Journalisten haben nächtelang durchgearbeitet um das Material nachträglich zu anonymisieren und auch Mitarbeiter von Wikileaks, wie der Deutsche Daniel Domscheit-Berg, haben Assange für seine Politik, einfach alles raushauen zu wollen, kritisiert.“

Old-Boys-Club

Junge Frau verärgert alten Mann, der beschwert sich bei ihrem Chefredakteur und sie wird gefeuert. Hätte Twitter noch die 140-Zeichen-Regel, so hätte eine Zusammenfassung des Falls Salomé Balthus aussehen können. Aber natürlich ist damit die Auseinandersetzung zwischen der (ehemaligen) Welt-Kolumnistin und Sexarbeiterin Salomé Balthus und dem Schweizer TV-Moderator Roger Schawinski auch sehr vereinfacht. In der taz formuliert es Finn Holitzka z.B. so:

“Sie fand es unverschämt, im Fernsehen nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit gefragt zu werden. Nun darf die Autorin und Escort-Dame Salomé Balthus nicht mehr ihre Kolumne in der Welt schreiben. Die Digitalsparte des Blattes hat Balthus’ Kolumne 'Das Kanarienvögelchen‘ eingestellt, nachdem die Autorin in einem Text vom Sonntag Vorwürfe gegen den Talkmaster Roger Schawinski erhoben hat – und diesen dabei unsauber zitierte.“

Das Ganze nahm seinen Anfang in der SRF-Sendung “Schawinski“, dessen Namensgeber und Moderator auch mal Geschäftsführer bei Sat.1 war. Bei Übermedien schreibt die ehemalige Altpapier-Autorin Juliane Wiedemeier dazu:  

 “Es war ein Übergriff vor laufenden Kameras: Mal eben nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit befragt zu werden. Zumal Schawinski kurz zuvor erst mit Balthus über ihren Vater gesprochen hatte, der auch für seine Kinder-Musicals bekannt ist, und den Schawinski raunend beschrieb. Er sei ja “auch kein Kind von Traurigkeit“ gewesen, wenn man ihn so anschaue – was immer das bedeuten sollte. Schawinski ließ es offen, aber es hallte nach.“

Michèle Binswanger kritisiert im Schweizer Tagesanzeiger den Interview-Stil von Schawinski als “das wahre Problem“:

“Ein Sperrfeuer von Fragen mit der Absicht, das Gegenüber aus dem Konzept zu bringen, mag für politische Themen funktionieren. Nicht aber für sogenannt weiche Themen. Und schon gar nicht für das Thema Missbrauch. Das nämlich setzt ein Mindestmaß an Interesse für Themen und Menschen voraus – und nicht nur für den kalkulierten Skandal.“

Ob kalkuliert oder nicht: Eklats gibt es bei Schawinski nicht zum ersten Mal. Dazu drängt sich auch die Frage auf, welcher Erkenntnisgewinn durch die Frage beabsichtigt war, wem der irgendwas genützt hätte und wie Schawinski zur Würdefrage (Richtlinie 8.1 des Schweizer Journalistenkodex) steht.

Auch den Umgang der Welt mit der eigenen Autorin kann man kritisch sehen. Laut dem Schweizer Portal persoenlich.com beschwerte sich Schawinski nämlich nach der Veröffentlichung von Balthus‘ Kolumne beim Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt über eine “arge Verunglimpfung meiner Person und meiner Integrität als Journalist“. Er habe grundsätzlich nach Missbrauch gefragt und nicht im Zusammenhang mit Balthus Vater, wie sie es in ihrer (mittlerweile gelöschten) Welt-Kolumne zitiert hatte. Bei Übermedien heißt es:

“‘Ich wollte niemanden täuschen‘, sagt Balthus. 'Das war eine Talkshow! Sich da mit Absicht ein Zitat auszudenken, wäre grotesk.‘ Sie habe die Sendung nicht noch einmal sehen können und deshalb aus dem Gedächtnis zitiert. Sie sei sich so sicher gewesen, 'dass Schawinski das genau so gefragt hat‘. Doch bei der Welt wollten sie von ihrer Autorin nicht einmal diese Erklärung hören. Am Montag erwachte Balthus durch einen Anruf des Schweizer Boulevardblatts Blick. Ein Journalist erkundigte sich, ob sie etwas zu ihrem Rauswurf bei der Welt sagen wolle. Die Kolumne war da schon offline, was Balthus nicht wusste, sagt sie. In ihren Mails fand sie dann die Kündigung.“

Dass die Kolumnistin einen Fehler gemacht hat, ist nicht zu bestreiten. Mit Blick auf die Beschwerde Schawinskis bei Poschardt kommt aber auch noch eine andere Ebene hinein: Es sei “eine seltsame und seltsam normale Geschichte“, heißt es beim rbb Inforadio. “Man kann es Alte-Weiße-Männer-Bündnis, Old-Boys-Club, oder Buddy-Buddy-Kumpanei nennen.“ Beim Schweizer Onlineportal Watson kritisiert Simone Meier die Strukturen hinter dem Fall:

“Drei Männer jenseits der 50 in Chefpositionen. Auf der Verliererseite: die gemaßregelte Frau. Ein krasser Klassiker des strukturellen Sexismus. Männer reichen sich die Hand. Ein Schulterschluss der Bros. Eine Mechanik, die so lange greifen wird, bis eine jüngere Generation übernimmt. Gerade auch in der Medienwelt. Da können sich vornerum noch so viele Journalistinnen und Journalisten engagiert den Arsch abschreiben. Dahinter ist viel zu vieles beim Uralten.

Probier’s mal mit Kooperation

Weg vom Uralten – in diesem Fall der Konzentration auf den eigenen Fernseh-Brei – wollen verschiedene TV-Anbieter. Die Europäische Medienallianz habe eine verstärkte Zusammenarbeit angekündigt, berichtet Timo Niemeier bei dwdl.de. Die EMA solle als Plattform für gemeinsame Initiative dienen, u.a. beim Videostreaming.

“Man wolle auf diese Weise den Wandel der europäischen Medienindustrie aktiv mitgestalten. Wie dieser Wandel aber konkret aussehen soll, scheint unklar. Bei ProSiebenSat.1 strebt man ja nach wie vor eine große Streamingplattform mit möglichst vielen Sendern an. 'Ich halte viel von der Vision und halte es für richtig, an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten‘, erklärte ProSiebenSat.1Puls4-Chef Markus Breitenecker zuletzt im DWDL.de-Interview, als es um die Möglichkeit einer europäischen Streaming-Plattform ging. Diese ist aber noch längst nicht in Sicht - selbst hierzulande fahren ja quasi alle großen Medienhäuser eigene Strategien.“

Ähnlich sieht das auch bei den Öffentlich-Rechtlichen aus – allerdings unter sich. Bei epd Medien (leider bisher nicht online) wirft Leonhard Dobusch ein, dass in der ZDF-Mediathek oft nach dem “Tatort“ und in der ARD-Mediathek die “Heute Show“ zu den meistgesuchten Sendungen zähle. Ergo:

Sender, egal ob Radio oder Fernsehen, verlieren im Internet an Relevanz - sofern es überhaupt noch Sinn ergibt, online von 'Sendern‘ zu sprechen.“

Er fordert zu einer Art Musketier-Attitüde auf: die eigene Markeneitelkeit zurückzustellen und stattdessen stärker zusammenzuarbeiten und “öffentlich-rechtliche Netzwerkeffekte zu generieren“. Vorbild könne dabei das eigene junge Content-Netzwerk sein:

“So wie Funk sollten also auch ZDF, ARD und Deutschlandfunk ihre besten Sendungsreihen und ihre besten Redaktionen in den Vordergrund, ihre Logos und Dachmarken in den Hintergrund rücken. Die damit verbundene Schwächung der Senderidentität wäre kein Bug, sondern ein Feature eines digitalen, öffentlich-rechtlichen Ökosystems mit Zukunft.“

Hinweis: Ich arbeite hin und wieder für epd Medien.


Altpapierkorb (Geschichtsvergessenheit, SWR-Intendant:innenwahl, Herr Grindel)

+++ Für einen Kommentar zu Israel-Wahl steht die Frankfurter Rundschau in der Kritik. Die (mittlerweile geänderte) Schlagzeile “Der ewige Netanjahu“ erinnere an den antisemitischen Propagandafilm “Der ewige Jude“. Dort “werden Juden als gefährliche 'Untermenschen‘ dargestellt, als parasitär, kultur-, rast- und heimatlos. Die Figur des 'ewigen Juden‘ ist schon viel älter, erhielt in der Moderne die genannten antisemitischen Züge. Eine Politikredaktion muss das wissen“, kommentiert Frederik Schindler bei der taz.

+++ Wäre die FAZ ein Kolosseum, heute würden darin die Gladiatoren Hermann Eicher (SWR-Justitiar) und Peter Voß (ehemaliger SWR-Intendant) gegeneinander antreten. Denn einerseits (€, Blendle) verteidigt der SWR-Justitiar Hermann Eicher die Entscheidung der Gremien, bei der Intendant:innenwahl nur zwei Kandidati:innen zur Wahl zu stellen – Kai Gniffke und Stefanie Schneider. Wer mehr Hintergrundinfos braucht, hier entlang (Altpapier, Grimberg): “Nein, lieber Peter Voß, man kann es Ihnen nicht nachsehen, dass Sie Ihren Gastbeitrag in dieser Zeitung nicht dazu nutzen, Argumente gegeneinander zu wägen und sich offensichtlich – unzureichend recherchiert – auch nur ein sehr unvollständiges Bild davon gemacht haben, wie umfassend und sorgfältig alle nur denkbaren Alternativen geprüft worden sind.“ Andererseits geht aber auch Voß erneut zum Gegenangriff über: “Wenn der SWR-Justitiar den Verdacht zerstreuen möchte, dass eben doch sachfremde Motive politischer Shareholder im Spiel sind, ist das verständlich. Dass er dabei über den menschlich nicht sehr anständigen Umgang mit drei Bewerbern kein Wort verliert, ist hingegen bedauerlich, aber auch bezeichnend. Wem ich mit meinem Kommentar einen Dienst erweisen wollte, fragt Hermann Eicher zuletzt: der Öffentlichkeit, die einen Anspruch darauf hat, nicht so billig abgespeist zu werden, wie er es leider versucht.“

+++ Beim Bild-Blog dröselt Moritz Tschermak die Aussagen von Julian Reichelt zur Auflage des Boulevardblattes auf (u.a. aus diesem Interview bei Horizont+).

+++ Ob Herr Grindel, der ehemalige DFB-Chef, der ja nicht so gerne Interviews zu Ende führt, zum ZDF zurückkehren kann, werde nun durch einen Experten geprüft, berichtet Michael Hanfeld bei der FAZ.

+++ Mit dem Titel “World Press Photo“ wurde dieses Bild ausgezeichnet (Link zu Zeit Online).

+++ Der Prozess des österreichischen Journalist und Student Max Zirngast in der Türkei wurde gestern vertagt, berichtet der Standard. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.

+++ Beschwerden über jugendgefährdende Inhalte bei der FSM (Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter) sind auf einem neuen Höchststand. Warum? Das beschreibt Kurt Sagatz beim Tagesspiegel.

+++ In seiner Medienkolumne bei evangelisch.de gibt Altpapier Autor Christian Bartels zu: “Es ist oft leicht, sich über die Medienwächter lustig zu machen oder zu ärgern. Ihre Arbeit fundiert zu kritisieren, ist auch nicht schwer“. Er meint damit die Medienanstalten, gibt dabei allerdings auch zu bedenken: “Oft aber sind dramatisch veraltete Gesetze, an die sie sich halten müssen, die Ursache.“

+++ “Tschüss Ü-Wagen, hallo Cloud“, konstatiert Marcus Schuler nach der Broadcasting-Messe in Las Vegas bei Deutschlandfunks “@mediasres“. Mit leichterer und vernetzterer Technik brauche es kaum mehr große Produktionsteams vor Ort.

+++ Die Shortlist des Nannen Preises ist da, z.B. hier bei Meedia.de. Auf der Longlist fand sich auch Altpapier-Autor Klaus Raab mit einem Text über die Suche nach seinem verstorbenen Schwager, den er nie kennenlernte.

+++ Es sei “ein Bollwerk wider alles Unzüchtige, Ungebührliche und die garstige Unbill der Welt da draußen sowieso“, glossiert Arno Orzessek bei @mediasres zum Ende der Show “Willkommen bei Carmen Nebel. “Sie ist ein musikalischer Hochsicherheitstrakt für das Heile, ein öffentlich-rechtliches Elysium, kurz: eine gelebte Utopie, porentief gereinigt von allem Bösen.“

Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag. Schönes Wochenende!