Das Altpapier am 28. März 2019 Selbstverständliche Befangenheit
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Trotz einiger falscher Knopfdrücke klammern Gegner:innen der Urheberrechts-Reform sich noch an zwei wiederverwendbare Metallstrohhalme. Verlage müssen Leser:innen die eigene Befangenheit zeigen. Die Kreativität der Werbebranche würde dem Lokaljournalismus guttun. Und die BBC pokert mit Google. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Mit einem falschen Knopfdruck kann man ganze Regionen auslöschen, oder eben – aus Sicht der Gegner:innen der Urheberrechts-Reform – das “freie Internet“. Kernspaltungs-Vergleiche sind ja das neue große Ding in der Urheberrechts-Debatte. Aber das Ringen um die neue EU-Regelung ist ja sowieso geprägt von äußerst ungelenker Kommunikation.
Dass nun auch noch zehn EU-Parlamentarier:innen bei der Abstimmung am Dienstag den falschen Knopf gedrückt haben wollen (Bericht im Standard und Protokoll der Abstimmung) kann man aus Sicht der Gegner als Sahnehäubchen, Kirsche auf dem Sahnehäubchen oder Puderzucker auf der Kirsche auf dem Sahnehäubchen bezeichnen. Das Sahnehäubchen wäre, wenn man so will, schon den Akt der Ignoranz aller Bedenken durch den Twitter-Account des EU-Parlaments gewesen (siehe z.B. Netzpolitik), die Kirsche auf dem Sahnehäubchen dann spätestens die Behauptung von CDU-Mann Axel Voss, bei Google gebe es eine Meme-Suche (siehe Vice). Beim Standard heißt es nun:
“Ob überhaupt über Abänderungsanträge gestimmt werden soll, wurde vom Parlament abgelehnt (…). Dabei war die Abstimmung haarscharf: Mit gerade einmal fünf Stimmen Mehrheit lehnte man Änderungsvorschläge ab. Für umso mehr Verwunderung sorgen nun die korrigierten Ergebnisse. Zehn Abgeordnete des EU-Parlaments geben an, auf den falschen Knopf gedrückt zu haben und gegen den Antrag gestimmt zu haben, obwohl sie eigentlich dafür seien. Zwei Abgeordnete wollten eigentlich ablehnen, ein Parlamentarier sich enthalten. Demnach wäre die Abstimmung über Änderungsvorschläge – etwa bei den (sic!) umstrittenen Artikel zu Leistungsschutzrecht und Uploadfiltern – anders ausgefallen.“
Hätte, hätte, usw. Jetzt sieht’s anders aus, denn “die Reform ist so gut wie fix“ (Standard). Ungewöhnlich sei es nicht, dass Abgeordnete ihre Entscheidung nachträglich im Protokoll änderten, schreibt Tina Groll bei Zeit Online:
“Gerade im EU-Parlament vertun sich die Parlamentarier schon einmal, weil zum Beispiel Übersetzungen verzögert sind oder missverständlich, aber auch weil die Abgeordneten über eine Vielzahl von Anträgen – oft Hunderte unterschiedlichste Punkte während einer Sitzung – abstimmen müssen und schon ein kleiner Moment der Ablenkung reicht, um nicht mehr den Überblick zu haben oder den Moment einer wichtigen Entscheidung zu verpassen.“
Die beiden wiederverwendbaren Metall-Strohhalme (Einmal-Plastik-Dinger werden ja jetzt durch die EU verboten), an die optimistische Gegner:innen sich noch klammern, sind zwei Pappkameraden: 1. die Große Koalition und 2. der Rat der EU.
Im Koalitionsvertrag (S. 49) werden Uploadfilter – die ja nicht (mehr) im Gesetzestext stehen, ohne die das hochgeladene Material aber nicht auf Urheberrechtsverletzungen geprüft werden könnte – eigentlich als “unverhältnismäßig“ abgelehnt. Und der Rat muss das vom Parlament durchgewunkene Gesetz noch endgültig verabschieden. Normalerweise ist das Formsache. Wenn z.B. Deutschland seine Zustimmung zurückziehen und sich enthalten würde, wäre eine Mehrheit nicht mehr so gewiss. Das ist aber eher unwahrscheinlich.
Eigentlich sollte die Abstimmung im Rat am 9. April stattfinden. Nun soll es aber wohl eher der 15. April (dpa-Meldung beim Handelsblatt) werden. Verschwörungstheorien, die das mit einem Ablenkungsmanöver wegen des Starts der neuen Game-of-Thrones-Staffel einen Tag zuvor in Verbindung bringen, seien an dieser Stelle mal außen vor gelassen. So haben die Ratsmitglieder noch ne knappe Woche mehr Zeit, sich die Anordnung der Abstimmungsknöpfe einzuprägen.
Was war das nochmal, dieser Interessenkonflikt?
Stattdessen lohnt sich ein (Rück)Blick auf die Berichterstattung der deutschen Zeitungen, vor allem in Sachen Transparenz. Heinrich Wefing betont heute in einem Zeit-Kommentar den Binnenpluralismus der Redaktion:
“Einschub in eigener Sache: Ja, auch Journalisten sind Urheber, und auch Zeitungsverlage haben Interessen in dieser Debatte; Journalistenverbände, auch das stimmt, haben für die Reform geworben. Und dennoch: Wie fast zu allen Fragen gab es auch zur Urheberrechtsreform unter Journalisten sehr unterschiedliche Meinungen, man kann das überall nachlesen. Auch bei ZEIT und ZEIT ONLINE wurde heftig gestritten. Die Konflikte verlaufen quer durch die Redaktionen, so wie in der Debatte insgesamt.“
Und auch viele andere Blätter, z.B. die Rheinische Post, die Süddeutsche (Pro hier, Contra hier) veröffentlichten Für- und Wider-Argumente und ließen die prominenten Befürworter und Gegner um Axel Voss (CDU) und Julia Reda (Piraten) grundsätzlich zu Wort kommen.
Allerdings ist in dem Zusammenhang auch ein Satz aus einem Beitrag von Daniel Bouhs im NDR-Medienmagazins Zapp von gestern Abend interessant:
“Außerdem hat sich die Nachrichtenagentur dpa einer Pro-Urheberrechtsreform-Allianz angeschlossen. Ihre Berichterstattung über den Gesetzgebungsprozess - also Agenturmeldungen an Zeitungen, Sender und Onlinedienste - versieht sie seitdem mit einem Hinweis, in dem sie über ihre Befangenheit aufklärt.“
Ob die dann am Ende auch in den Zeitungen oder auf den Websites landeten und auch bei Leser:innen ankommt, wage ich zu bezweifeln. Ich habe es jedenfalls nirgends gesehen. Dass die FAZ sich gerne und viel pro Reform äußerte und gerne und viel mit Menschen sprach, denen es auch so ging, hatten wir hier schon mal festgestellt. Ein genereller Transparenz-Hinweis, dass Zeitungsverlage bzw. Medienhäuser dabei natürlich auch Eigeninteressen im Blick haben und ein eventueller (ähm, wie nennet man das nochmal?) Interessenkonflikt möglich sei, war vergeblich zu suchen. Ähnlich sieht es bei all den Lokal- und Regional-Titeln aus, deren Verlage sich ebenfalls (zumindest via Verlegerverband VDZ) für das Urheberrecht einsetzten.
Wir in unserer Medienmenschen-Bubble mögen es für selbstverständlich und offensichtlich halten, dass Verleger:innen Interesse an Urheberrechts-Bestimmungen haben. Bei Hans und Erika Mustermann ist das wahrscheinlich nicht der erste Gedanken, wenn sie morgens ihre Lokalzeitung in Hamminkeln aufschlagen.
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Nicht nur bei diesem Interessenkonflikt, auch bei der Benennung von Werbung tun vor allem Medien sich schwer, die sich sonst gern seriös geben, stellt Altpapier-Autorin Juliane Wiedemeier bei Übermedien fest. Sie hat u.a. mit Arno Weyand gesprochen, dem Leiter des Beschwerdemanagements beim Presserat:
“Generell sei die Kreativität beim Umgehen klarer Formulierungen wie 'Anzeige‘ oder 'Werbung‘ sehr groß. Problematisch sei das, weil der durchschnittliche Leser bei Begriffen wie 'Partnerinhalt‘ oder 'Sponsored by‘ den werblichen Charakter nicht erkenne. 'Werbung muss als solche gekennzeichnet sein. Wir wollen, dass der Leser nicht im Unklaren bleibt‘, so Weyand.“
Die FAZ veröffentlich Beilagen unter der Bezeichnung “Verlagsspezial“, produziert von der Fazit Communication GmbH. “Sie ist der Corporate-Publishing-Arm der FAZ“, schreibt Wiedemeier. Bei National Geographic hat sie Videos mit kurzer Einblendung “Partnerinhalt“ entdeck, bei Focus werde gern der Begriff “sponsored“ benutzt und beim Stern scheint man völlig verwirrt zu sein, was nun Werbung und was redaktionelle Inhalte sind.
Würden Medienhäuser ähnlich viel Kreativität in die Entwicklung ihres Lokaljournalismus stecken, ständen wir heute vielleicht woanders.
BBC pokert mit Google
Aber die Verleger:innen haben in letzter Zeit ohnehin viel Aufmerksamkeit hier im Altpapier bekommen, blicken wir mal auf den Audio-Kosmos. Auch dort werden Kämpfe mit Plattformen ausgefochten. Zwar sehen die Ergebnisse der neuen Audio-MA (Überblick z.B. bei dwdl.de oder Meedia) gar nicht schlecht aus: Klassische Radiosender können demzufolge insgesamt stabile Reichweiten verzeichnen und Jubel-PMs verschicken. Was die Verbreitung über neue Distributoren wie Google angeht, tun sich aus Richtung Großbritannien allerdings Machtkämpfe auf.
Die BBC trennt sich was den Audio-Content angeht von einigen Google-Diensten und nimmt die Podcasts aus dem Angebot des Sprach-Assis Google Home bzw. Google Assistant und auch aus der Android-Podcast-App des US-Suchmaschinen-Riesens. Den Grund beschreibt Kieran Clifton, BBC-Chef für Distribution und Geschäftsentwicklung, in einem Blog-Beitrag (auch The Verge und Turi berichten):
“Google has since begun to direct people who search for a BBC podcast into its own podcast service, rather than BBC Sounds or other third party services, which reduces people’s choice - an approach that the BBC is not comfortable with and has consistently expressed strong concerns about. We asked them to exclude the BBC from this specific feature but they have refused.“
Die Bevorzugung Googles eigener Podcast-Angebote gegenüber der BBC-Sounds-App sieht laut NiemanLab so aus:
“Since Google’s much-publicized re-entry into podcasting last year, it’s been the case that when you search for a show using Google, you get a 'recent episodes‘ component to your search results with play buttons beside each one that uses the architecture of the Google Podcasts app.“
Dazu scheint es Uneinigkeit über Nutzerdaten zu geben: Auch was den Einblick in “meaningful audience data“ angeht, sei man nicht zufrieden mit Googles Politik. So sei es schwer, die eigenen Angebote mehr zu personalisieren und Lücken zu identifizieren, “to ensure we’re making something for all audiences.“
Da wären wir also angelangt bei den Hahnenkämpfen zwischen traditionellen Anbietern und den auf dem Audio-Markt ja noch eher neueren Gatekeepern Google, Amazon & Apple. Vor allem mit Blick auf die immer beliebter werdende Voice-Technologie, also Smart Speaker, besteht da ja schon länger eine ambivalentes Euphorie-vs.-Bedenken-Mindset – auch in Deutschland. Denn zu diskriminierungsfreier Verbreitung und Transparenz in Sachen Nutzerdaten sind die Tech-Reisen bisher weniger verpflichtet als klassische Distributoren.
Die BBC scheint nun in dem Bereich zu pokern – Reichweite gegen Macht – und zeigen zu wollen: Wir lassen nicht alles mit und machen. So schreibt Clifton:
“We don’t like removing our content from services and certainly don’t do it lightly — but unfortunately until Google changes the way they look at this, for the good of listeners, our podcasts will not be available on some of their services.”
Ob das funktioniert, ob die fehlende Google-Reichweite der BBC doch zu sehr zusetzt und ob die Gründe für den Rückzug bei der Aufsicht durch die Ofcom schwer genug wiegen, bleibt abzuwarten und ist auch für deutsche Audio-Anbieter ähnlich spannend wie der Kampf um den eisernen Thron. Denn der beginnt im Audio-Bereich mit all den Entwicklungen rund um die Voice-Technologie gerade erst.
Altpapierkorb (RTL schmiegt sich an Gruner + Jahr, Apple News+, Europawahl und Desinformation)
+++ Bei Bertelsmann kuschelt RTL zunehmend mit Gruner + Jahr. Wie eine engere Zusammenarbeit zwischen TV und Verlagshaus aussehen könnte, beschreibt Ulrike Simon bei Horizont+.
+++ Beim NDR-Medienmagazin “Zapp“ wirft Caroline Schmidt einen Blick auf verschiedene EU-Mitgliedsstaaten und wie sie sich gegen Desinformation rund um die anstehend EU-Wahl wappnen.
+++ Dem News-Aggregator Apple News+ stehen US-Medien skeptisch gegenüber, schreibt Nina Rehfeld auf der FAZ-Medienseite und hier bei Blendle.
+++ Facebook verbannt Inhalte, die weißen Nationalismus oder Separatismus unterstützen, glorifizieren oder repräsentieren. Das Vice’sche Motherboard berichtet: “Phrases such as ‚I am a proud white nationalist‘ and ‚Immigration is tearing this country apart; white separatism is the only answer‘ will now be banned, according to the company. Implicit and coded white nationalism and white separatism will not be banned immediately, in part because the company said it’s harder to detect and remove.“
+++ Die Champions League ist bei TV-Zuschauern nicht mehr so beliebt wie früher – auch weil kein einziges Spiel mehr im Free-TV empfangbar ist. Ob es Chancen gibt, dass sich an der Rechte-Vergabe künftig wieder etwas ändern wird, ist bei digitalfernsehen.de nachzulesen.
+++ Youtube schließt sich nicht dem Trend zu mehr Abo-Diensten im VoD-Bereich an und will für seine Eigenproduktionen mehr auf Werbefinanzierung setzen, berichtet Sophie Krause beim Tagesspiegel.
+++ Die neue Brecht-Doku im Ersten ist taz-Redakteur Ambros Waibel nicht gerade Freudentänze, dafür aber Sport-Vergleiche wert: “Es kommt einem das Bild eines Spitzenensembles, sagen wir des FC Barcelona, in den Sinn, das von einem eher unterdurchschnittlichen Bundesligatrainer (…) trainiert wird. Ein schwacher und gleichzeitig eitler Spielleiter unterschätzt, dass auch Spitzenleuten Spitzenleistung immer neu und mit maximalem Einsatz abgefordert werden muss. Tom Schilling als junger Brecht spielt sein Ding aber, abgesehen von einer sehr schön zynisch-verzogenen Unterlippe, auf der linken Gesäßbacke runter. Die Frauen werden hübsch hingestellt und abgefilmt.“
Neues Altpapier kommt am Freitag.