Das Altpapier am 14. März 2019 Der kleine Unterschied
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Auch ehemalige Journalisten vergessen mal, was ihre Profession einst ausmachte. Die CDU will auf den Do-it-yourself-Trend aufspringen und Nachrichten künftig selbst machen. Stärkt oder schwächt das den Journalismus? Twitter setzt zum Fave- und Retweet-Fasten an. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Das Stilmittel "Abruptes Verlassen des Raumes" ist nicht nur unter AfD-Menschen beliebt, auch unter Fußball-Funktionären erfreut sich diese Entziehungs-Taktik großer Beliebtheit. Der neueste Move in dem Bereich kam gestern von DFB-Präsident Reinhard Grindel, der ein Interview der Deutschen Welle abbrach. Scheinbar waren ihm die Fragen von DW-Reporter Florian Bauer nicht genehm:
"Florian Bauer (DW): Es geht ja bei beiden Wettbewerben (Anm. Altpapier: der Nations League und der Klub-WM) um insgesamt 25 Milliarden US-Dollar...
Grindel: Herr Bauer, das bringt doch jetzt nichts, Sie versuchen mir immer eine Bemerkung in den Mund zu schieben, mit der Sie was machen können, und ich weiche Ihnen seit zehn Minuten aus. Jetzt machen Sie doch vernünftige Fragen, auf die ich vernünftig antworten kann.
DW: Naja, ich glaube, das mache ich.
Grindel: Nein.
(…)
DW: Aber Herr Grindel, ich frage doch offen...
Grindel: Nein, Sie fragen nicht offen, Sie versuchen mir irgendwas in die Schuhe zu schieben ...
DW: Gar nicht.
Grindel: ...dass ich sage, es gäbe nie eine Global Nations League.
DW: Das habe ich doch verstanden. Das ist doch in Ordnung, aber da muss ich doch anständig nachfragen.
Grindel: Herr Bauer, drei Fragen zu Katar, sonst stehe ich auf.
DW: Darf ich jetzt die 25 Milliarden nun noch einbringen?
Grindel: Nein.
DW: Das habe ich doch inhaltlich bisher noch nicht gefragt.
Grindel: Herr Bauer, komm, wir lassen es."
Ein Transkript des kompletten Interviews gibt’s online bei der Welle. Bei Deutschlandfunk Kultur spricht Bauer im Interview mit Axel Rahmlow über seine Sicht der Dinge.
Problematisch ist bei dem Ganzen nicht nur, das Grindel das Interview abbricht. Die dahinterstehende Vorstellung von Journalismus ist deutlich erschreckender, denn der DFB-Häuptling scheint anzunehmen, dass Medien vor allem dazu da sind, brav die Brocken zu kauen, die man ihnen vorwirft und dem Rest des Rudels zu erzählen, wie lecker sie schmeckten. Erstaunlich ist das vor allem, weil Grindel ja selbst mal auf der anderen Seite des Mikros stand, für Radio, Zeitung und Fernsehen (u.a. Sat.1 und das ZDF). Andererseits ist so eine Aktion wohl auch selbstentlarvender und aufmerksamkeitsträchtiger als jedes andere 08/15-Sport-Interview.
Da bekommt der Hashtag des BR, #fragGrindel, gleich eine ganz neue Dimension. Grindel soll nämlich am Sonntagabend zu Gast sein bei "Blickpunkt Sport", die Redaktion ist scheinbar noch auf der Suche nach Fragen. Ob nur vernünftige Fragen gestellt werden, auf die der mittlerweile ja schon so gepiesackte DFB-Chef auch vernünftig antworten kann (und wird?), stand nicht dabei.
DiY-Journalismus made by AKK
Ebenfalls ein seltsames Verständnis von Journalismus zeigt CDU-Frontfrau Annegret Kramp-Karrenbauer. Was am Wochenende schon in der Süddeutschen (und hier im Altpapierkorb) anklang – der Partei einen eigenen "Newsroom" zu schaffen – wird nun etwas weiter ausgeführt. Aus einem Interview mit dem Magazin der Jungen Union hat Jonas Schaible für t-online folgendes Zitat von AKK gefischt:
"Die Partei müsse einen Weg finden, 'in Echtzeit auf unterschiedlichen Kanälen zu kommunizieren und eigene Nachrichten zu setzen', sagte sie: 'Beim Auftaktgespräch zum Werkstattgespräch haben wir beispielsweise keine Presse zugelassen. Wir haben einen Livestream angeboten … Wir waren Herr über die Bilder, wir haben die Nachrichten selbst produziert. In diese Richtung wird es weitergehen'",
Sowas scheint nicht ganz neu zu sein. Wir erinnern uns an die AfD, die vergangenes Jahr mit großem Getöse einen ähnlichen Schritt ankündigte.
Kramp-Karrenbauer twitterte nun zu den CDU-Planungen unter #Newsroom:
"Unabhängiger, freier, kritischer Journalismus ist mir ein Herzensanliegen und wesentlicher Bestandteil einer freiheitlichen Demokratie."
Ähm, unabhängiger, freier, kritischer Journalismus von durch die CDU finanzierten "Journalist:innen" über die CDU? Damit beweist AKK in etwa ein Verständnis von Journalismus, mit dem Alice Weidel vor einem Jahr brillierte, als sie ankündigte, die Leute im geplanten AfD-Newsroom würden Themen "journalistisch sauber für die Öffentlichkeit aufbereiten" (siehe Altpapier).
Dass Journalismus und PR zwar ein ähnliches Handwerkszeug benutzen, aber gegensätzlichen Interessen verpflichtet sind, scheint irgendwie in Vergessenheit zu geraten. Journalismus: Interesse der Allgemeinheit vs. PR: Eigeninteresse einer Organisation/Partei/Firma. (Ja, es ist mir ein Bedürfnis, diesen kleinen Unterschied hier nochmal aufzuschreiben.)
Nun ist es ja so (Internetz und Social-Media-Dings sei Dank), dass Politikerinnen, Wirtschaftsmenschen und Verbandshäuptlinge Medien nicht mehr in dem Maße für ihre Kommunikation brauchen, wie in grauer Vorzeit, als sie noch auf Journalist:innen als Multiplikatoren angewiesen waren. Das Tauschgeschäft Information gegen Aufmerksamkeit ist nicht mehr so nötig wie einst.
Dabei stellt sich auch die Frage: Wenn Menschen, seien es Konsumenten oder Akteurinnen, sich zunehmend auf eine journalistische Berichterstattung verlassen oder sich ihr entziehen wollen, liegt das an einem gewaltigen Imageproblem des Journalismus? Jein. Sicher könnte vieles besser laufen, sei es der Umgang mit eigenen Fehlern, die Aufklärung im Fall Relotius, Transparenz redaktioneller Abläufe und Probleme und wie sie die Berichterstattung formen, die eigene Finanzierung, Clickbait, Sie dürfen die Liste beliebig fortschreiben.
Was im Zusammenhang mit Grindel und AKK allerdings mindestens genauso schwer wiegt: Menschen in der Öffentlichkeit haben offenbar zunehmend ein Problem mit Journalismus, der über PR-Haftigkeit hinausgeht. Die Tendenz, sich der kritischen Auseinandersetzung zu verweigern, nicht auf Unvorhergesehenes zu reagieren und sich nicht angreifbar zu machen, scheint seit Jahren zuzunehmen.
Das ist auf gewisse Weise paradox: Während die virtuellen Möglichkeiten für Austausch und Diskussion zunehmen, scheint sich die Bereitschaft zur offenen und kritischen Auseinandersetzung eher zu verringern. Aber klar, warum auch Risiken eingehen, wenn man das Publikum doch direkt erreichen kann?
Die Frage (und Motivation) für die Zukunft wird sein: Reitet das den Journalismus noch tiefer in eine Legitimationskrise oder wird es eine Chance sein, sich zu behaupten und zu zeigen, warum das Handwerk der kritischen Berichterstattung so wichtig für eine Gesellschaft ist.
Zu dem AfD-"Newsroom" ist es in angekündigter Form bisher übrigens nicht gekommen. Bei der SZ berichtete Jens Schneider am Wochenende, dieser "Newsroom" sei
"zum Teil nur ein Mythos. Bestimmt zwanzig Mitarbeiter wolle man einstellen, hieß es, und eigene Reporter für Recherchen losschicken. Dazu ist es nie gekommen, wohl auch, weil gesetzlich klar begrenzt ist, wofür eine Fraktion jenes Geld ausgeben darf, das sie vom Staat für ihre Arbeit bekommt. Meist konzentriert sich die Arbeit darauf, AfD-Botschaften zu verbreiten."
Altpapierkorb (SWR-Intendant:innen, Türkei, Lügenpresse, "Merchants of Truth", Twitter ohne Engagement-Zahlen)
+++ Die Diskussion um die Wahl eines Intendanten oder einer Intendantin beim SWR (siehe Altpapier x und y) ist auch auf der FAZ-Medienseite (hier bei Blendle) und beim Tagesspiegel angekommen. "Bei zu vielen Kandidaten könne sich der Vorgang somit länger hinziehen, als Boudgoust amtieren möchte. Zudem stehe es dem Wahlgremium bei seiner nächsten Sitzung am 22. März frei, ein anderes Wahlverfahren mit drei oder noch mehr Kandidaten zu beschließen. So sei nie angezweifelt worden, dass die übrigen drei Kandidaten ebenfalls für den Intendantenposten in Frage kämen", berichtet Kurt Sagatz über eine Aussage von Hans-Albert Stechl, einem der Vorsitzenden der Wahlfindungskommission des SWR. Das Prinzip, "muss halt schnell gehen, da können wir nicht auf alle Bewerbungen eingehen", mag in der Privatwirtschaft funktionieren. In anderen Bereichen betonen die Öffentlich-Rechtlichen allerdings immer wieder gerne, dass ihr Auftrag über den der Privaten hinausgehe.
+++ Bei dwdl.de berichtet Alexander Krei über die Geschäftszahlen von RTL und die Planung, in den nächsten drei Jahren mindestens 350 Millionen Euro zusätzlich in den Ausbau der eigenen Streaming-Dienste zu investieren.
+++ Im ZDF-Moma murmelt eine Frau was von Lügenpresse, Lügenfresse und Mainzelmännchen in die Kamera und rempelt Moderatorin Hayali weg. Es berichten so gut wie alle, z.B. die Welt und der Kölner Stadtanzeiger. Die Moderatorin reagiert gelassen und bat die Frau zum Gespräch. "Aber den Hecklerinnen beim Frühstücksfernsehen oder bei Stelter im Gürzenich geht es wohl kaum um Austausch, sondern um Plattform. Dialog kann nicht erzwungen werden", schreibt Finn Holitzka bei der taz.
+++ "Die Bundesregierung darf sich nun nur nicht mit dem Teilerfolg zufrieden geben, sondern sollte weiterhin darauf bestehen, dass alle Korrespondenten in der Türkei frei arbeiten können", fordert Wolf Wittenfeld bei der taz, nachdem der ZDF-Korri Jörg Brase nun doch wieder aus Istanbul berichten darf, der Tagesspiegel-Reporter Thomas Seibert und der NDR-Reporter Halil Gülbeyaz aber bisher keine neue Pressekarte erhalten haben.
+++ Lesenswert abgeschrieben? "Dass ein Werk über den Zustand des amerikanischen Journalismus mit handwerklichen Mängeln behaftet ist, mutet mindestens ironisch an. Das heißt allerdings nicht, dass Abramson nicht eine lesenswerte Analyse vorgelegt hätte", schreibt Alan Cassidy auf der SZ-Medienseite über "Merchants of Truth" oder "Händler der Wahrheit", das Buch der ehemaligen NYT-Chefredakteurin Jill Abramson.
+++ Twitter will sich laut NBC ein bisschen "friendlier" machen und testet das Weglassen von Engagement-Zahlen unter den einzelnen Tweets. Fave- und Retweet-Fasten für eine gesundere Kommunikation? "’We’re also actually working on changing the product and changing the policies to improve the health of the conversations,’ Coleman (Anm. AP: Keith Coleman, Twitter’s head of consumer product) said, pointing to faster and more ‘proactive’ enforcement including the takedown of accounts spreading hoaxes and conspiracy theories.”
+++ In dem Buch "The Last Column” hat das Committee to Protect Journalists die letzten Werke von 24 Journalist:innen veröffentlicht, die seit 1992 bei oder nach ihrer Berichterstattung getötet wurden, u.a. dabei: Jamal Kashoggi und Anna Politkovskaya. Für Analog-Verweigerer gibt es das Ganze auch in Form kurzer Videos. "When you put it all together in one place, you realize this is what journalism is. It’s not just big names trying to reach a global audience. It’s people trying to inform their communities, where such activity is inherently dangerous”, sagt CPJ‘s Executive Director Joel Simon dazu im Time Magazine.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Freitag.