Das Altpapier am 28. Februar 2019 Alfreds Schuhe
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Bernd Stelters Humorverständnis ist wichtiger als das europäisch-japanische Freihandelsabkommen. Erfolgreiches Change-Management mit den DuMonts. Die Zukunft des Lokaljournalismus ist nicht, wenn Politiker Rentnern Nachrichten am Telefon durchgeben. Impulse hat seinen Preis. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.
Nein. Nein. Wirklich nicht. Es geht einfach nicht. Wie stellen Sie sich das denn vor? Also nicht über Bernd Stelter zu berichten, dessen Fähigkeit, einen Doppelnamen auszusprechen, und die damit verbundene Aufregung bereits am Dienstag hier Thema war. Schließlich machen das alle, alle, wirklich alle anderen auch, und da kann man als Focus Online, Focus Online und T-online natürlich nicht nicht dabei sein. Immerhin hat der WDR mittlerweile bekannt gegeben, dass er den Witz, also "Witz" Stelters auszustrahlen gedenkt. Den sich daran anschließenden Protest einer Frau aber nicht. Das will vermeldet sein!
"Der WDR begründet das u.a. damit, dass die Unterbrechung in der Aufzeichnung ohnehin teilweise unverständlich und nicht hörbar gewesen sei und sich zudem über mehrere Minuten zog. Man wolle aber in einem Laufband einen Hinweis geben, der auf eine Videotext-Seite mit Zusatzinfos verweist".
Diese wichtige Information wird ihnen präsentiert von Uwe Mantel und DWDL.
Tä-tää! Tä-tää! Tä-tää!
Na gut. Die Berichterstattung über das europäisch-japanische Freihandelsabkommen JEFTA, das neue, deutsche Fluggastdatengesetz mit weitreichenden Persönliche-Daten-Speicherfolgen oder die steigende Konzentrationen von Arzneimittelrückständen im Leitungswasser wären vielleicht auch interessant gewesen. Das meint zumindest die Nicht-Regierungsorganisation Initiative Nachrichtenaufklärung (INA), die einmal im Jahr die Top Ten der vergessenen Nachrichten veröffentlicht. Gestern war es wieder soweit.
"Es ist unglaublich, dass so wichtige Themen wie das JEFTA eine so geringe Resonanz in den Medien gefunden haben. Wenn man bedenkt, dass es ein Freihandelsabkommen zwischen zwei der größten Wirtschaftsräume der Welt ist, kann man hier schon von journalistischem Systemversagen sprechen",
zitiert die dazugehörige Pressemitteilung INA-Geschäftsführer und Kommunikationswissenschaftler Hektor Haarkötter.
Andererseits ist es möglicherweise etwas aufwändiger und damit zeitraubender, sich damit auseinanderzusetzen, dass alte Menschen Medikamente verschrieben bekommen, die für alte Menschen gar nicht geeignet sind, oder dass in Deutschland an Frauen Beschneidungen vorgenommen werden. Und, noch schlimmer: Diese Themen klicken nicht so gut wie der Stelter Bernd.
Diese Medien sollen echt sterben gehen. Oh! Machen sie schon.
Der kurze lange Atem von DuMont
Wenn das mal nicht a hell of a Überleitung war - oder wie Wolf Schneider es gerne läse: verdammt gut. Knorke. Famos. Ausgezeichnet. Toll. Grandios.
Das Gegenteil davon dürften alle Angestellten des Noch-Zeitungshauses DuMont sich derzeit denken. Immerhin sieht es nach dem angekündigten Verkauf des Tageszeitungs-Geschäfts (Altpapier gestern) so aus, als ob sie bald ihren Job verlören oder mit anderen, bereits kürzungsgestählten Kollegen etwa bei Funke oder Madsack darum kämpfen müssten ("Kämpf um Deinen Job", auch mal eine schöne Abendshow-Idee für Sat1). Oder hat vielleicht Timo Busch Interesse am zumindest kurzfristigen Besitz von Berliner Zeitung, Kölner Express und Hamburger Morgenpost? Abwickeln kann man hinterher ja immer noch.
Das berühmte, nun nicht mehr interessierende Geschwätz von gestern des DuMont-CEO Christoph Bauer ("verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Change Management in der Medienbranche (…) mit dem Fokus auf der Digitalisierung von Medienunternehmen und Geschäftsmodellen", Quelle: dumont.de, Mesut-Özil-Gedächtnis-Emoji) hat in einer Fleißarbeit Ulrike Simon für Horizont zusammengetragen. Meine persönlichen Highlights:
"Unserem Unternehmen geht es wieder gut. Umsatz und operatives Ergebnis steigen weiterhin, wir haben eine solide Finanzbasis. Wir haben einen langen Atem." (SZ, 2018)
"Wir haben uns entschieden und alles daran gesetzt, den Berliner Verlag als wichtigen Standort von DuMont zu erhalten und zukunftsfähig zu machen, das ist jetzt gelungen." (SZ, 2018)
"Wir schaffen wichtige Rahmenbedingungen, um das Geschäftsfeld Regionalmedien mit hohem Tempo weiterzuentwickeln." (Schreiben an die Mitarbeiter, 2018)
Es kommentiert der sich gerade im Dauereinsatz befindende Zeitungsforscher Horst Röper, zunächst im Interview mit Finn Holitzka in der taz:
"Das Haus war über Jahrzehnte beherrscht von Alfred Neven DuMont. Seinen Erben sind seine Schuhe nun offenbar viel zu groß. Wenige Jahre nach dem Tod des Altverlegers stoßen sie nun quasi den gesamten Besitz ab – da ist nichts mehr von Tradition zu sehen. Die Erben fühlen sich offensichtlich mit den Aufgaben, die sie übernommen haben, überfordert."
Sowie im Gespräch mit Michael Borgers bei "@mediasres":
"Bislang gibt es immerhin noch keine Region, wo gar keine lokale Berichterstattung von Zeitungen mehr stattfindet. Wenn sich das im Markt ergäbe, wäre das ein weiteres Signal dafür, dass der Markt die Versorgung mit Journalismus nicht mehr leistet. Das ist ein klassisches Marktversagen und in diese Situation schlittern wir immer mehr."
In Großbritannien wissen sie schon, wie sowas endet: Nachdem ihre Zeitung, der Harlow Star, eingestellt wurde, rufen Rentner aus der Stadt nordöstlich von London bei ihrem Abgeordneten mit der Bitte an, ob er ihnen nicht Nachrichten schicken oder vorlesen könne, weil sie sonst nichts mehr mitbekämen, berichtet Ada von der Decken, ebenfalls bei "@mediasres".
Auch wenn Vorlesestunden für Rentner abzuhalten für manche Lokalpolitiker als Aussicht verlockend klingen mag: für Freunde des Systems Demokratie ist sie das nicht.
Da der Markt versagt, sollten sie sich so langsam ganz dringend mal überlegen, wie sich Journalismus in der Fläche noch finanzieren und damit realisieren lässt. Es ist ja nicht so, als ob es in Deutschland kein bewährtes System gäbe, über dessen verstärkten Einsatz im Lokalen man nachdenken könnte.
Ganz genau, öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Ich meine Dich.
Strategie Impulse: Freiexemplare runter, Abo-Preis rauf
Alternativ könnte man bei DuMont auch dem Vorbild des Unternehmermagazins Impulse folgen und die Berliner Zeitung für sagen wir 15 Euro das Stück nur noch an Abonnenten liefern. Dessen Verleger Nikolaus Förster streicht Bordexemplare, Lesezirkel und was die für Werbekunden relevante Reichweite sonst noch aufbläht sowie den Kioskverkauf und reduziert die Auflage damit von 70.000 auf 12.500 Exemplare, berichtet Gregory Lipinski bei Meedia. Der Einzelverkaufspreis klettert dafür von 19,90 auf 24,90 Euro.
Ein Magazin, das 25 Euro koste und Produkte für viele tausend Euro anbiete, passe nicht zum kostenlosen Verteilen am Flughafen, erklärt Förster im Video-Interview mit Turi2:
"Meine Empfehlung wäre für Verleger zu schauen, wie kann ich in Qualität investieren? Denn nur, wenn die Qualität stimmt, wird es auch eine Zahlungsbereitschaft geben."
Auf Qualität zu setzen, um journalistische Produkte zu verkaufen: Wann hat man denn zuletzt so gelacht?
Ach ja: Annegret Kramp-Karrenbauer. Ha. Haha. Hahahahahahaaaa!
Altpapierkorb (Werbegesicht Jan Böhmermann, Framing-Manual, Asteroiden-Einschlag)
+++ Mit kommunistischen Diktatoren zu speisen ist okay, aber Reporter sollen bei dem Dinner nicht dabei sein, zumindest nicht alle: tagesschau.de hat die neuesten Kapriolen des Donald Trump.
+++ Auch wenn das Jan Böhmermann nicht passte: Computer Bild durfte mit seinem Foto eine Leseraktion aka Werbung für DVB-T2-Receiver bebildern, urteilte gestern das Oberlandesgericht Köln. "Bei einer Gesamtabwägung müsse der Moderator die Veröffentlichung seines Bildes hinnehmen. Für die Leser sei ersichtlich, dass mit dem beworbenen Receiver die vom Kläger moderierte Sendung weiterhin empfangen werden kann. Es sei aber nicht der Eindruck entstanden, der Kläger werbe selbst für das konkrete Produkt", so die Pressemitteilung des Gerichts. "Hallo liebe Stars, Sportler, Youtuber und Testimonials, ab sofort können Zeitungsverlage
- ohne Euer Einverständnis
- ohne, dass Ihr ihnen das untersagen könnt und
- ohne, dass sie etwas dafür bezahlen müssen
mit großen Fotos von Euch billige Werbung für Ramschprodukte machen", reagierte darauf @janboehm.
+++ Über die kuriose Nachrichtensperre im Missbrauchs-Prozess gegen den australischen Kardinal George Pell und die Folgen für Journalisten, die diese missachteten, berichtet Jan Bielicki auf der Medienseite der SZ.
+++ Der Versuchsballon Bild Politik (Altpapier) scheint ein ziemlicher Flopp zu sein, mit einer geschätzten Remissionsquote von bis zu 90 Prozent, so Marvin Schade bei Meedia.
+++ Wenn der Schutz von Geschäftsgeheimnissen Recherchen torpediert: Ein Thema gestern Abend im NDR bei "Zapp".
+++ Mit dem elenden Framing-Manual der ARD (zuletzt am Dienstag Thema hier) tut sich auch der WDR-Rundfunkrat schwer, meldet mit epd und dpa Joachim Huber im Tagesspiegel.
+++ Der Verfassungsschutz darf die AfD nicht länger als Prüffall bezeichnen, Journalisten dürfen das weiterhin, meint zumindest Medienrechtler Tobias Gostomzyk, zitiert im Neuen Deutschland.
+++ "Peter Rüchels Geschichte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist deutlich reicher und abwechslungsreicher, als in den meisten Nachrufen dargelegt", schreibt Dietrich Leder in seinem Journal für die Medienkorrespondenz über den verstorbenen "Rockpalast"-Erfinder. Den Beweis für seine These tritt er natürlich gleich an.
+++ Die FAZ-Medienseite widmet sich heute den Serien "I Am the Night" (True Crime: Wer tötete die junge, als "Schwarze Dahlie" bekannt gewordene Elizabeth Short?; donnerstags auf TNT) und "8 Tage" (Panik vor dem Asteroideneinschlag; freitags auf Sky).
Neues Altpapier gibt es morgen wieder.