Das Altpapier am 21. Februar 2019 Kein Pressefreiheits-Paradies am Horizont
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Ein Autor des SZ Magazins soll gefälscht haben. Von einem neuen “Fall Relotius“ zu sprechen, treibt den Blutdruck aber erstmal unnötig in die Höhe. Die Slowakei ist auch ein Jahr nach Jan Kuciaks Ermordnung kein Märchenland. Einige Gallier stellen sich weiter gegen die Urheberrechtsreform. Und zeugt die Floskel “starke Frau“ von Denkfaulheit? Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
WTF?! Diese Kolumne beginnt heute mit einem Fluch, denn da hat es scheinbar wieder einer, der die Wirklichkeit fassbar machen sollte, mit der Wirklichkeit nicht so genau genommen. Bei Meedia.de berichtet Marvin Schade über einen Autor des SZ Magazins, in dessen Text der Redaktion eine Protagonistin als zweifelhaft auffiel. Das Stück über Beziehungen sei nicht veröffentlicht worden, der Journalist habe zugegeben, dass die Zweifel berechtigt waren.
Die Chefredaktionen von Magazin und Zeitung hätten dies als “groben Verstoß gegen die journalistischen Standards“ erachtet und die Zusammenarbeit mit dem freien Journalisten beendet. Er sei mehrfach ausgezeichnet worden, habe unter anderem den Nannen Preis und den Reporterpreis erhalten. Schade zitiert eine SZ-Sprecherin: Bei der Überprüfung der bereits erschienenen Stücke haben sich nach Verlagsangaben aber
“keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es weitere schwerwiegende Verstöße gegen unsere journalistische (sic!) Standards gegeben hat. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass in einer Geschichte des Journalisten fremdsprachige Zitate unsauber wiedergegeben wurden und dadurch Sachverhalte ungenau dargestellt worden sind.”
Auch für Zeit und Spiegel hat der Autor gearbeitet. Bei letzterem prüfe das mit Relotius Zitat Zeit-Sprecherin:
“Wir prüfen intensiv alle Texte des freien Mitarbeiters. Dies geschieht unter Mithilfe des Autors, der uns seine Rechercheunterlagen zur Verfügung gestellt hat. Die Prüfung hält noch an. Bislang haben sich alle Orte, Personen und Ereignisse als real erwiesen. Allerdings sind in einem Teil der Texte sachliche Fehler und Ungenauigkeiten der Schilderung aufgefallen. Über eine abschließende Bewertung und mögliche Konsequenzen beraten wir zeitnah, nach Ende aller Recherchen.”
Turi2 schreibt dazu “Relotius reloaded?“, bei FAZ.net heißt es dazu in der Dachzeile “Neuer Fall Relotius?“, bei T-Online bzw. dpa “Zweiter Fall Relotius?“. Sicher ist das griffig und weckt Gänsehaut-Assoziationen. Die Geschichte mit der erfundenen Person wurde allerdings vorher erkannt und gar nicht veröffentlicht. Das macht die Sache zwar nicht weniger schlimm, ist aber dennoch ein entscheidender Unterschied. Relotius veröffentlichte ja tatsächlich auch mehrere Reportagen mit erfundenen oder völlig zurechtgeschusterten Protagonisten und Ereignissen (Gedankenstütze in diversen Altpapieren).
Das lässt sich so in dem neuen Fall (noch?) nicht sagen. Meedia veröffentlichte den Namen des Autors bisher nicht, weil “der Betroffene in der Sache bislang nicht angehört werden konnte“. Deshalb halte auch ich mich hier mit Vermutungen, Analysen und Vergleichen zurück.
Aufpoppende Fragen nach einer problematischen Kultur durch Überhöhung und des journalistischen Handwerks durch zu viele Auszeichnungen und der Entstehung von Reporter-Olymps, anderen Fehlern im System und intensiverem innerredaktionellem Factchecking werden auch hier zu ihrer Zeit diskutiert werden.
Kein Märchenland
Ein Jahr ist davongerast, seit der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte in ihrem Haus erschossen, geradezu hingerichtet wurden (siehe Altpapiere). Die internationale Aufmerksamkeit habe Journalisten in der Slowakei geholfen, sagte Arpad Soltesz, der Leiter des "Jan-Kuciak-Investigativzentrums", der dpa (zu lesen beim heute-Journal). Die regierungskritischen Medien des Landes hätten an Vertrauen gewonnen.
Nicht ganz so rosarot blickt Beata Balogová, Chefredakteurin der größten slowakischen Qualitätszeitung SME, auf das vergangene Jahr zurück, wie Karl Gedlicka für den österreichischen Standard berichtet. Nach dem Doppelmord gab es zwar die stärksten Proteste in der Geschichte der unabhängigen Slowakei, Ministerpräsident Róbert Fico, Innenminister Róbert Kaliňak und Polizeichef Gašpar mussten zurücktreten. Das sei einerseits ein Indiz dafür, dass öffentlicher Druck in ihrem Land noch funktioniere und die Slowakei noch freie Medien habe.
"‘Aber sie sind fragil.‘ Das Problem sei eine generelle Atmosphäre, in der Medien als 'Feinde der Nation‘" dargestellt werden. Die Menschen würden ermutigt, Journalisten zu attackieren und zu bedrohen. Regierungschef Peter Pellegrini sei zwar moderner und nicht so extrem in der Kommunikation wie der zurückgetretene Robert Fico, aber nicht grundsätzlich medienfreundlicher.“
Auch Peter Bárdy, Chefredakteur von Kuciaks Arbeitgeber, dem Webportal aktuality.sk, sehe einiges an (Achtung, Euphemismus) Optimierungspotenzial, schreibt Alexandra Mostyn bei der taz. Als die Demonstrationen aufhörten, seien die Morde bagatellisiert worden:
“'Jáns Ermordung wurde plötzlich als ein Mord wie jeder andere kleingeredet, oder es wurde Jáns journalistische Arbeit angezweifelt‘, sagt er. Das ärgert ihn, nicht nur weil es um einen Kollegen geht. 'Es gehört nicht wirklich zum Standard eines EU-Staates, dass dort Journalisten umgebracht werden.‘“
Dass es sicherlich kein Mord wie jeder andere war, zeigen die Recherchen des OCCRP, (Organized Crime and Corruption Reporting Project). Dort wurden ja schon vor einem Jahr Hintergründe zu den Morden und Kuciaks unvollendete Recherchen über Verbindungen zwischen slowakischer Politikelite und der italienischen Drogenmafia veröffentlicht. Nun hat sich das Rechercheteam durch die Entwicklungen der 80er und 90er Jahre gewühlt, um drei Fragen zu beantworten:
“How did the mafia become so powerful in Slovakia? How deeply do its tentacles reach into the country’s politics, its economy, and its future? And most importantly, will there be justice for Ján and Martina?”
Die Klärung der Frage nach der/dem Mastermind/Drahtzieher:in/______________ (beliebigen anderen Tropus hier einfügen) scheint aber immer noch nicht in Sicht zu sein. Zwar wurden bisher acht Personen verhaftet und vier angeklagt, der mutmaßliche Mörder und die mutmaßliche Auftraggeberin wurden gefasst, aber die offiziellen Ermittlungen haben noch kaum Erkenntnisse und Folgen ergeben, was die genauen Motive und Hinterleute angeht. Beim OCCRP schreiben Pavla Holcová and Eva Kubániová:
“Zsuzsová’s (Anm. AP: mutmaßliche Auftraggeberin) motives for ordering Ján’s killing are unknown; he had never written about her. But she worked for Marian Kočner, a prominent businessman about whom Ján had written extensively. Andruskó (Anm. AP: mutmaßl. Mörder) would later tell police that Zsuzsová told him that Kočner paid for the killing. Kočner has not been charged in connection with the murders, though he has been detained for the same financial crimes Ján had written about.”
Der Gedanke, dass diese Aufklärung schon reichen würde, um die Situation etwas zu entwirren, kommt leider aus einem Land mit regenbogenfarbenen Einhörnern und pinke Lamas. Reporter ohne Grenzen warnt vor Anzeichen politischer Einflussnahme und fordert unabhängige Ermittlungen. Und auch Balogová kritisiert im erwähnten Standard-Text, die Korruption reiche so weit, dass ein Toppolizist Kocner geholfen habe, Informationen über Journalisten zu sammeln.
“Es genügt nicht, die Auftraggeber des Mordes zu finden, sondern das ganze Netzwerk muss untersucht werden.“
Und juristisch gesehen wartet auch nicht gerade eine ein Pressefreiheits-Paradies am slowakischen Horizont. Bei der DW schreibt Keno Verseck:
“Derzeit liegt dem Parlament ein Gesetzesentwurf vor, mit dem Politiker ein nahezu uneingeschränktes Antwortrecht erhalten sollen, wenn die Presse über sie berichtet. Sollte die Regelung in Kraft treten, dann hätten Medien künftig vor allem eine Aufgabe: tagtäglich dutzendfach Verlautbarungen von Politikern zu veröffentlichen. Der slowakische Verband der Zeitungsverleger (AVT) protestierte in einer Stellungnahme scharf gegen das Vorhaben. 'Zum traurigen Jahrestag [der Ermordung von Ján Kuciak] müssen wir leider feststellen, dass zum Schutz der Journalisten und zur Verbesserung ihrer Sicherheit nichts unternommen wurde.‘“
Protest der Gallier
Eine andere Gesetzesänderung (siehe Altpapier von Montag) ist ebenfalls stark umstritten, die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten hat ihr aber nun zugestimmt. Unter all den Römern, die für die heiß diskutierte Reform des Urheberrechts gestimmt haben, gibt es allerdings ein kleines gallisches Dorf (Finnland, Italien, Luxemburg, die Niederlande und Polen), das sich gegen die Änderung stellt. In einem gemeinsamen Statement der Asterix-und-Obelix-Staaten heißt es:
“We believe that the Directive in its current form is a step back for the Digital Single Market rather than a step forward.”
Die richtige Balance zwischen dem Schutz der Rechteinhaber und den Interessen der EU-Bürger und Unternehmen fehle ebenso wie die juristische Klarheit. Das führen sie nicht weiter aus. Gemeint ist aber wahrscheinlich das, was Sascha Lobo in seiner SpOn-Kolumne schreibt:
“Die aktuelle Urheberrechtsreform ist Konzernpolitik und stärkt letztlich die Position von Google bis Facebook. Weil diese Riesenkonzerne - wenn überhaupt - die einzigen Plattformen sein werden, die sich das Rechtsrisiko leisten können, von Nutzern hochgeladene Inhalte zu erlauben. (…) Wo die Interessen von Urhebern und Verwertungskonzernen auseinandergehen - und das ist ab und an der Fall - ist bei dieser Reform mit größter Tendenz pro Konzerne entschieden worden.“
Justizministerin Katharina Barley (SPD) räumt den Galliern noch Chancen ein. Laut heise.de äußerte Zweifel, dass das Parlament den Kompromiss im März abnicken wird:
"Ich sehe die Möglichkeit, dass die vorgelegte Richtlinie am Ende auf Grund der anhaltenden Diskussionen um Artikel 13 im EU-Parlament keine Mehrheit erhält."
Sie habe sich regierungsintern dafür eingesetzt, dass die Urheberrechtsrichtlinie ohne den Artikel verabschiedet werde. Wenn ich mich recht entsinne ist sie aber doch auch die Ministerin, unter deren Federführung der Kompromiss ausgehandelt wurde. Just saying.
Jedenfalls reißt der Protest gegen die geplanten Änderungen nicht ab, in Berlin hat sich z.B. ein neues Anti-Bündnis gebildet.
Altpapierkorb (Journalistenmord in USA geplant, Tanit Koch bei n-tv, gemeinnütziger Journalismus)
+++ Ein “white nationalist” in den USA hatte laut New York Times eine lange Liste bekannter Journalisten, Politiker der Demokraten, Professoren, Richter und “leftist in general“ aufgestellt, die er zu töten plante. Er habe sich am Manifest des norwegischen Massenmörders Anders Breivik orientiert. Auf Deutsch berichtet u.a. die FAZ/dpa.
+++ Tanit Koch wird Geschäftsführerin bei n-tv, berichtet Joachim Huber beim Tagesspiegel. Nach dem “unwürdigen Ende“ (Link zum Altpapier)bei Bild vor gut einem Jahr und einigem Gemunkel ist das nun offiziell. Mit der Personalie wird scheinbar auch die Organisation der journalistischen Arbeit der RTL Gruppe umgemodelt. Bei dwdl.de schreib Alexander Krei: “Mit ihrem Wechsel an den Rhein gehen auch andere weitreichende Veränderungen einher, denn in ihrer neuen Funktion soll Tanit Koch als künftige Chefredakteurin Zentralredaktion eine gemeinsame Redaktions-Einheit aufbauen, die das inhaltliche Fundament für alle journalistischen Produkte der Mediengruppe RTL bilden wird, wie es heißt. Dabei soll sie mit n-tv-Chefredakteurin Sonja Schwetje, RTL-Chefredakteur Michael Wulf sowie sowie Jan Rudolph, dem Chefredakteur von RTL Interactive, zusammenarbeiten.“ Hans Demmel, der bisher auf dem Stuhl saß (und auch bei und im Altpapier immer wieder zu Wort kam), gehe auf eigenen Wunsch. Er bleibt aber weiterhin Vorstandschef beim Privatsender Vaunet.
+++ Nach den Haftstrafen für acht Cumhuriyet-Journalisten (taz) geht heute ein zweiter Prozess gegen die Journalistin Pelin Ünker wegen der Panama-Papers-Recherchen weiter. Beschwerdeführer sind laut Deutschlandfunks “@mediasres“ drei mit Erdogan verlinkte Politiker, die mit Offshore-Firmen auf Malta in Verbindung gebracht wurden. Ünken und ihr Anwalt seien nicht besonders zuversichtlich.
+++ Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell ist in seiner “@mediasres“-Kolumne genervt von “starken Frauen“. Also, nicht von den Frauen selbst, sondern von der Verwendung der Floskel, die ihm vor allem rund um die Berlinale sauer aufgestoßen ist: “Das automatisierte Reden von der 'starken Frau‘ bezeichnet eine gewisse Denkfaulheit: Es gibt heute mehr Filme also vor 50 Jahren, in denen Frauen nicht nur Dekoration sind. Aber anstatt endlich über diesen Umstand hinwegzukommen und Frauen, das vermeintlich 'schwache Geschlecht‘, in den Filmen als das zu beschreiben, was sie wirklich sind, macht es sich die Kritik durchs scheinbare Lob einfach: Es geht um 'starke Frauen‘. Was übrigens auch schön zeigt, dass Frauen sich anstrengen, etwas Besonderes sein müssen, wenn sie das tun wollen, was Männer immer tun dürfen: Hauptrollen spielen.“
+++ Nach den Spar- und Entlassungsankündigungen bei Funke, Buzzfeed, Vice und HoffPo sprechen sich der deutsche Buzzfeed-News-Chefred Daniel Drepper und Albrecht Ude im Netzwerk-Recherche-Newsletter für gemeinnützigen Journalismus aus und betonen die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: “Anzeigen finanzieren weniger Journalismus als erhofft. Verlage legen ihre Recherchen zunehmend hinter Bezahlschranken. Gemeinnütziger Journalismus ersetzt keine wegbrechenden Institutionen. Was bleibt? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk. (…) Wir sollten uns noch viel intensiver damit auseinandersetzen, wie wir ARD und ZDF besser machen können.“
+++ Beitragsfinanzierte Inhalte auf Plattformen von US-Riesen wie Facebook und YouTube pumpen? Die Frage sorgt immer wieder für Gebrüll und Diskussionen in der Medienmetasphäre. Heute gibt’s beim NDR-Medienmagazin “Zapp“ eine Stimme von Florian Hager dazu. Am Prinzip, auf sogenannte Drittplattformen zu gehen, müsse er grundsätzlich festhalten, sagt der “funk“-Programmgeschäftsführer. Nur das führe bei der Zielgruppe zum Erfolg. "‘Die jetzigen Fernsehmacher müssen sich überlegen, was für Inhalte sie zur Verfügung stellen, um die Leute zu versorgen, die in dieser Welt sozialisiert wurden‘, mahnt Hager. Das ist sein Appell an die Kollegen in den klassischen Funkhäusern: Überlegt euch, was ihr dem 'funk‘-Publikum anbietet, wenn es erst mal 30 oder 40 Jahre alt ist und gelernt hat, weitgehend ohne klassisches Fernsehprogramm auszukommen.“ Von Facebook verabschiede man sich allerdings zunehmend.
+++ Die sechs Kandidaten für das World Press Photo stellt der Standard vor.
+++ Dem Dortmunder Tatort kommt die Kommissarin abhanden, berichtet der Kölner Stadtanzeiger.
+++ Die Washington Post muss sich eine Verleumdungsklage über 250 Millionen US-Dollar stellen, berichten die Süddeutsche und die taz. Die Post selbst zitiert aus der Klage des 16-Jährigen und seiner Familie, der sich mit der Berichterstattung über eine Szene mit einem Native American am Lincoln Memorial im Januar falsch dargestellt sieht.
+++ Der “Rockpalast“-Gründer Peter Rüchel ist mit 81 Jahren verstorben, berichtet der Kölner Stadtanzeiger. Falls das Format nicht jede:r ein Begriff ist: “Mitte der 70er Jahre kam der passionierte Musikliebhaber als Leiter des Jugendprogrammes beim WDR in Köln auf die Idee, Konzerte von Rock- und Popstars live im Fernsehen zu übertragen. Es war nicht nur Kult unter den Fans, die millionenfach des nachts vor dem Fernseher hingen. Es war vor allem Vorreiter für all das, was später als Musikfernsehen den Globus umspannen sollte und setzte international Maßstäbe in Sachen Konzertübertragungen.“ Das erste “Rockpalast“-Konzert gab’s anno 1977. Wer nun in Erinnerungen schwelgen möchte: Zu Rüchels 80. Geburtstag veröffentlichte der Musikexpress ein großes Interview.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.