Das Altpapier am 20. Februar 2019 Es wird geframet, dass sich die Rahmen biegen
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... und zwar von allen Seiten in sämtliche Richtungen, dass es fast schon eine Freude ist. Die jüngste Debatte rund um unsere ARD erreicht ihren Höhepunkt. Mit dabei (als Vorwürfe): "semantische Mätzchen", "Sackgasse", "SPD" und natürlich Orwell -"Neusprech"". Außerdem: Müssen Regierende wirklich in allen sog. soz. Medien mit-posten? Machen Österreichs Medien ein "Desaster" durch? Ein Altpapier von Christian Bartels.
Nach gut einer Woche hat die große ARD-Framing-Debatte (Altpapier) so richtig Fahrt aufgenommen, am Ende des Tages sogar innerhalb der ARD. Es geht um das Papier/ "Manual"/ Gutachten bzw. um den Text "Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD", den der MDR anno 2017, als er den ARD-Vorsitz führte, in Auftrag gegeben hat. Bekanntlich erscheint auch diese Kolumne beim MDR und damit im großen, ähm, Ökosystem der ARD. Nach den gestern hier genannten Kommentatoren ergriffen weitere das Wort, zum Beispiel mit Jan Böhmermann eine der von vielen jüngeren Leuten geschätzten Integrationsfiguren unseres gemeinsamen, freien Rundfunks (also wenn man in den Rahmen das ZDF mit einbezieht).
"Die ARD ist die SPD unter den öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern",
twitterte er. Dabei kann die ARD noch gar nicht auf solch eine lange Geschichte wie die Sozialdemokratie zurückblicken.
Wen die Bild-Zeitung dann in einem für ihre Verhältnisse langen Artikel anfragte, um sich ihre Formulierung "dass die ARD immer noch verschweigt, wie viel Gebührengeld die Anfertigung des Gutachtens verschlang" paraphrasieren zu lassen: den "Medien-Experten der SPD-Bundestagsfraktion". Martin Rabanus sagte das, was gerade ungefähr jeder sagt, der sich nicht sehr weit aus dem Fenster lehnen möchte ("Dass ein großes Unternehmen wie die ARD darüber nachdenkt, wie es sich nach außen darstellt, halte ich für nicht ungewöhnlich. Die Kosten müssen aber transparent dargestellt werden!"). Natürlich zitierte die Bild-Zeitung außerdem Susanne Pfab, die ARD-Generalsekretärin, die eigentlich nie öffentlich in Erscheinung tritt, erst recht nicht, wenn es um wichtige Dinge geht. Bloß zurzeit wird sie immerzu zitiert.
"Der ARD-Vorsitzende, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, wollte sich auf Anfrage nicht zum dem 'Framing-Manual' äußern", musste der Evangelische Pressedienst mitteilen, als er einen weiteren Überblick gab. Ersatzweise sprach er halt mit Pfab ("hat das umstrittene 'Framing-Manual' ... erneut verteidigt") sowie mit einem der in Berlin zahlreich vertretenen "Politikberater", Johannes Hillje. Der hält das das Vorgehen der ARD für "vollkommen legitim", allerdings nicht ohne es auch kräftig zu kritisieren ("Die Diskreditierung von Privatmedien und Rundfunkgegnern legitimiere den Diskurs der gegenseitigen Abwertung").
Nachdem sich dann auch der "Medienkommissar" vom Handelsblatt, Hans-Peter Siebenhaar, geäußert hat ("Offenbar hat sie", die ARD, "sich nach der Einführung der Haushaltsgebühr in eine medienpolitische Sackgasse manövriert, aus der sie nicht mehr herauskommt"), musste sich wirklich auch der wichtigste Medienkommissar der im Zweifel Öffentlich-Rechtlichen-freundlichen Gegenseite mal äußern. Stefan Niggemeier bemüht sich bei uebermedien.de redlich, das "misslungene Papier" gegen die "absurde Debatte" zu verteidigen. Er registriert aber dennoch, dass eben nicht alle der vielen überwiegend absurden Formulierungen daraus folgenfrei verperlt sind:
"Gedanken aus dem Papier, das Elisabeth Wehling 2017 vorlegte, finden sich in der Public-Value-Kampagne wieder, die die ARD im vergangenen Jahr im großen Stil auflegte. Auch deren Slogan 'Wir sind deins' steht wörtlich in dem Wehling-Gutachten (allerdings bloß als einer von Dutzenden teils aberwitzig abwegigen Vorschlägen wie: 'Kontrollierte Demokratie statt jeder wie er will', 'Kein Demokratiekapitalismus. Kein Rundfunkkapitalismus. Kein Informationskapitalismus, 'Fernsehen ohne Profitzensur' und 'Wir sind Ihr'). Aber man kann der ARD nicht ernsthaft vorwerfen, dass sie ihren Wert für die Gesellschaft herausstellt. Im Gegenteil: Das muss man von ihr erwarten. Natürlich muss die ARD diesen Wert vor allem täglich in ihren Programmen beweisen."
Das nun ist der Punkt, an dem auf Seiten der taz ein dem Framing, auch dem moralischen, gewiss nicht abholder Gastautor (Eric Wallis ist amtierender "Pressesprecher für Greenpeace") einsteigt und die "semantischen Mätzchen" des Papiers besonders scharf kritisiert:
"Wer immer wissen wollte, wie das Neusprech aus George Orwells Roman 1984 funktioniert, hat nun die Erklärung. Da hilft es nicht, dass ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab nachträglich beschwichtigt ... Glaubwürdigkeit lässt sich kaum mit schönen Wörtern steigern. Wir dürfen nicht vergessen: Auch die Kritiker der ARD sind Beitragszahler. Wenn die ARD ihre Kritiker von der eigenen Moral überzeugen möchte, dann am besten mit Inhalten ..."
Das nun, die Orwell-Erwähnung, ist der Punkt, an dem Detlef Esslinger für die Meinungsseite der Süddeutschen einsteigt:
"Die ARD wird dämonisiert, weil sie nicht auf die Sprachtricks von Populisten hereinfallen will. Kritiker sprechen von 'Umerziehung' und 'Neusprech'. Das ist perfide"
lautet der Online-Vorspann. Argumentiert also der Greenpeace-Pressesprecher aus Sicht der linksliberalen Süddeutschen infam? Oder meint sie bloß die Kollegen von der FAZ ("skandalöser Sprachmanipulationsleitfaden mit Propagandasätzen wie aus einem Orwell-Roman" steht heut im großen Wirtschafts-Kommentar ...)? Es ist kompliziert – oder erfrischend, wenn Diskussionen mal jenseits der überraschungsfrei starren Rahmen verlaufen, die im deutschen Medien-Mainstream (auch und gerade in unseren gemeinsamen freien öffentlich-rechtlichen Rundfunk, würde ich sagen) leider längst üblich sind. Flexible Rahmen beleben die Debatten und helfen am Ende besser, Gemeinsames zu finden, oder? Ein Baustein aus Esslingers Argumentation lautet dann noch:
"Mehrere Autoren nutzen die Werkzeuge der Linguistik, um eine Linguistin zu diskreditieren, weil sie der ARD empfiehlt, sich mithilfe ihres Fachs gegen die Feinde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu wehren. Dies ist ebenso raffiniert wie infam."
Wobei es in dieser Logik dann allerdings schlicht infam ist, Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks pauschal als "Feinde" zu framen. Schließlich sind auch die Kritiker Beitragszahler, die aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht austreten können. Spätestens die Online-Überschrift "Wer will in einem Land leben, in dem Fox News den Diskurs prägt?" zeigt, dass die Süddeutsche Zeitung, auch wenn es Binnenpluralismus natürlich gibt, inzwischen leider sehr häufig auf Holzhammer-Haltungsjournalismussetzt. Oder möchte sie relevante privatwirtschaftliche Medien in Deutschland mit dem US-amerikanischen Sender Fox News gleichsetzen? Dann sollte Esslinger das bitte konkret benennen (anstatt sich in Andeutungen über den namentlich nicht genannten Jürgen Todenhöfer zu verlieren ...).
Als es nun so hoch her ging im Blätterwald, äußerte sich ARD-seits auch mal jemand anders als Susanne Pfab. Erst ergriff mit Rainald Becker der auch als Fernsehgesicht bekannte Chefredakteur das Wort, wohl der dpa gegenüber (welt.de), und sagte ungefähr, dass die ARD netzpolitik.org nicht verklagen will, obwohl der Blog das vielleicht urheberrechtlich geschützten Dings endlich veröffentlichte. Dann kam eine erste harte Zahl auf und schaffte es noch auf die gedruckte FAZ-Medienseite ("Das Generalsekretariat der ARD habe sie", Framing-Expertin Elisabeth Wehling "mit neun Workshops für 'Mitarbeitende' beauftragt", von denen erst vier "schon stattgefunden" hätten. "Was die Ausarbeitung gekostet hat, teilt die ARD nicht mit.") Und dann teilte die ARD der dpa gar noch die zweite harte Zahl, was das Ganze gekostet hat, mit. Und sogar ihr aktueller Vorsitzender sagte ein paar Worte:
"Die ARD hat die Kosten für das von ihr beauftragte, umstrittene 'Framing Manual' von Sprachforscherin Elisabeth Wehling und damit verbundene Workshops offengelegt. Sie lagen demnach bei 120.000 Euro. Die Kosten für die Arbeitsunterlage und begleitende Workshops hätten sich auf 90.000 Euro belaufen, die der MDR als damalige Vorsitzanstalt bezahlt habe, weitere 30.000 Euro habe das Generalsekretariat für Folgeworkshops bezahlt. Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm sagte, die Aufregung um das Papier sei 'völlig übertrieben'",
meldet die Medienseite der Süddeutschen. (Klar, dass Michael Hanfeld nun online nach-schäumt).
In Lehrbücher für vorbildliche Krisenkommunikation wird diese Geschichte zumindest als positives Beispiel nicht eingehen. Lässt sich schon was draus lernen? Jedenfalls für Institute und weitere Dienstleister in der, ähm, Wissenschaft des Framing (bzw. der kognitiven Linguistik, wie wissenschaftliche Wissenschaftler wohl sagen würden): dass sie ihre Texte/ Papiere/ "Manuals"/ Gutachten künftig unbedingt so formulieren sollten, dass diese auch den Gegenseiten in die Hände fallen könnten, ohne allzu großen Schäden anzurichten. Erst recht, wenn solche Gegenseiten in den Texten/ Papieren auf mindestens sehr anfechtbare Weise erst zurechtgeframet werden.
Andererseits, wenn jetzt eine echte Debatte über den gewiss erstrebenswerten Gemeinwohl-Charakter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Gang kommt, die statt des diffusen Anglizismus "Public Value" tatsächlich diesen klareren Begriff verwendet und wegen des großen Interesses nachhaltiger geführt wird als die erwähnte, rasch verpuffte "Wir sind deins"-Aktion – dann hätte die Sache auch ihr Gutes.
Altpapierkorb (Bürgermeister-Tweet vor Gericht, EU-Urheberrecht noch schlimmer? Kanzler Kurz' "message control", Funkes Thüringen-Pläne, "Lösungsjournalismus"?)
+++ Rahmen werden ja gebraucht! Z.B., was twitternde Regierungspolitiker angeht, meint Jost Müller-Neuhof in einer lesenswerten Tagesspiegel-Analyse zu einem heute am Berliner Verfassungsgerichtshof erwarteten Urteil. Dabei geht es um einen Tweet des Berliner Regierenden Bürgermeisters (@RegBerlin) aus dem Mai 2018. Geklagt hat die AfD, der Tweet selbst ist unaufregend, doch "vielmehr schwebt über diesem wie über vorangegangenen, ähnlich gelagerten Fällen, noch eine andere Frage: War die Einlassung eigentlich nötig? Musste sie sein?" Nein, meint Müller-Neuhof, und "dass der Staat nicht jeden Netzdienst mit seiner Anwesenheit beehren und damit aufwerten kann. Dass es unverzichtbar sein soll, bei Social Media präsent zu sein, kann eigentlich nur mit dem Monopolismus erklärt werden, den die großen Anbieter hier etablieren konnten. Es mutet wie ein Witz an, dass das Bundeskartellamt Facebook einerseits den Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung attestiert, während die Bundesregierung andrerseits den Missbrauch mit ihrem Auftritt adelt." Und selbst der Bundespräsident kürzlich noch einen Instagram-Account aufmachen zu müssen meinte (Altpapierkorb neulich).
+++ Vielleicht verfolgt die Bundesregierung in einigen Ressorts konsistente Pläne. In der Netz- und Medienpolitik im weitesten Sinne tut sie's nicht, zeigen auch die jüngsten Entwicklungen der EU-Urheberrechtsreform. "Die Hoffnung, dass" Justizministerin "Barley die EU-Urheberrechtsreform am Mittwoch beim Treffen der EU-Mitgliedstaaten kippen könnte" (netzpolitik.org) zerstreute Bundeskanzlerin Merkel am Dienstag ausgerechnet "auf der Vodafone-Veranstaltung 'Digitising Europe Summit'" (SPON). +++ Und die Ansicht, dass der jüngste der zahllosen Kompromisse "die Situation nochmals verschärft" hat, vertritt Thomas Stadler (internet-law.de): "Obwohl ich nicht zu Alarmismus neige, ist die Befürchtung, dass eine solche Regelung Plattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram in Europa generell in Frage stellt, keinesfalls mehr abwegig oder übertrieben".
+++ Wie sieht's aus in der Rundfunkpolitik im engen Sinne, das heißt vor allem der Rundfunkbeitrags-(Erhöhungs-)Debatte? Überblick anhand eines Ministerpräsidenten-Intendanten-Treffens, bei dem bloß die MPs fehlten, die zeitgleich mit Merkel den "Kohleausstieg" diskutierten, gibt die Medienkorrespondenz.
+++ Den schönen Rahmen "saubere Trennung von Amt und Expertentätigkeit" gibt die FAZ der Neuigkeit, dass Thomas Hitzlsperger künftig nicht mehr an den langen ARD-Fußballabenden zu sehen sein wird (außer vielleicht, ein Spiel des VfB Stuttgart würde mal live übertragen).
+++ "Indem der Konzern dem MDR dabei auch noch bewusste Fake News vorwirft, spielt er acht Monate vor der Landtagswahl ausgerechnet der AfD in die Hände": Der epd medien-Beitrag von Ellen Nebel über die Pläne der Funke-Medien in Thüringen (siehe Altpapier) steht inzwischen frei online.
+++ Noch mal Medienkommissar Siebenhaar: "Das Kanzler-Konzept der 'message control' funktioniert", berichtet er aus Österreich. Allerdings funze es nur für Kanzler Kurz' Regierung, für die österreichischen Medien sei es "ein Desaster. Sie drohen zum Dienstleister der politischen Macht zu werden". Was auch den Standard beträfe: "Die letzte verbliebene Oppositionszeitung ... befindet sich nach einem Chefredaktionswechsel in einem seltsamen Transformationsprozess. Statt wie das berühmte Vorbild, die 'New York Times', im Duell mit Trump als unabhängige, kritische Zeitung mit investigativen Recherchen zu profitieren, setzt das Blatt lieber auf digitale erfolgreiche Geschichten vom weiblichen Unterleib. Der politische Umbau des eigenen Landes hingegen, wird kaum beachtet. Die Frustration im eigenen Haus über den Richtungswechsel ist groß."
+++ Wie immer noch desaströser: alles was in Medien-Dingen aus der Türkei gemeldet wird (SPON).
+++ "Im vergangenen Jahr wurden in der amerikanischen Medienbranche – Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften, Publishing allgemein und Kino – 15.474 Arbeitsplätze abgebaut. Bei den Nachrichtenmedien allein waren es 11.878 ...", meldet wuv.de in harten Zahlen. "Wesentlicher Teil des Problems für die Medienbranche sind ... die Tech- Konzerne Google, Facebook und Amazon, in deren Kassen in den USA mehr als 60 Prozent der digitalen Werbespendings fließen." Dieser Wert dürfte in Deutschland höher liegen.
+++ Bald könnten "drei der neun ARD-Landesrundfunkanstalten eine weibliche Führung" haben (epd), wenn nämlich der Radio Bremen-Rundfunkrat der einstimmigen Empfehlung der Findungskommission folgt und die ZDF- Journalistin Yvette Gerner zur Nachfolgerin Jan Metzgers wählt. "Was nicht in ihrer Vita auf der ZDF-Homepage steht: 2002 kandidierte sie als SPD- Mitglied für das Amt der Oberbürgermeisterin von Speyer", ergänzt meedia.de.
+++ Und den Begriff "Lösungsjournalismus" (statt des umständlichen "konstruktiver Journalismus") schlägt Stefan Fries bei Deutschlandfunks "@mediasres" vor.
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.