Das Altpapier am 12. Februar 2019 Framing für Fortgeschrittene
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Die ARD – a.k.a. "Gemeinwohlmedium"? – hat sich wieder was eingebrockt, scheint es sogar ihren keineswegs schärfsten Kritikern. Schadet es, ausgerechnet jetzt Sendungen zu Digital-Themen abzuschaffen? Hilft es den Öffentlich-Rechtlichen, Reisen nach Fuerteventura zu "verschenken"? Ein Altpapier von Christian Bartels.
Herzlich willkommen in dieser Nische Ihres und unseren "gemeinsamen, freien Rundfunks" ARD!
Vielleicht handelt es sich beim 90-seitigen Papier "Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD" ja bloß um gewiefte bis tückische Satire. Jan Böhmermann? Schließlich ist das ZDF auf ähnlich übersättigten wie für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie er nun mal ist, entscheidenden Märkten wie etwa dem der Regionalkrimis, der Schmunzelkrimis, der Schwedenkrimis und der degetoid-pilcheresken Herzkino-Schmonzetten ja der global allerschärfste (und einzige) Konkurrent der ARD ... Falls es sich allerdings nicht um Satire handelt, hat sich die ARD da wohl wieder was eingebrockt.
Das Papier wird auch "Framing-Manual" genannt, richtet sich an "Führungskräfte" der ARD (Tagesspiegel) bzw. an "ARD-Manager, die im alten 'Öffi-Sprech' gefangen sind" (Welt), und wurde gegen "branchenübliche" Honorierung erstellt vom "Berkeley International Framing Institute" bzw. von Elisabeth Wehling, bekannt aus ARD-Talkshows sowie als Autorin des Fachbuchs "Politisches Framing". "Moralisches Framing" ist das, was sie nun (bzw. irgendwann in der jüngeren Vergangenheit) der ARD-Managementebene empfahl. Schreibt zumindest Joachim Huber vom Tagesspiegel, der einer von zwei Medienredakteuren ist, denen das Papier zugespielt wurde. Der andere ist Christian Meier von Springers Welt, dessen Artikel hinter einer Bezahlschranke steht. Diese beiden – differenzierende Skeptiker, die vieles am öffentlich-rechtlichen Rundfunk loben – sind ziemlich entgeistert vom "hohen Ton ..., der sich wie ein strenger Geruch durchs Papier zieht" (Huber) und dann gar zum "Eindruck einer Sektenschrift, eines Parteiprogramms, ja der Gehirnwäsche" (ders.) steigere:
"Wer das Papier bis zum Ende liest, dem schwirrt der Kopf, so gut und edel ist demnach die ARD, immer am Wohle der Gemeinschaft orientiert, die ihrerseits ihre Teilhabe freudig-erregt annimmt." (Meier, welt.de).
Ein schönes Beispiel für befremdlichen Ton, zitiert wiederum im Tagesspiegel:
"'Der gemeinsame Rundfunk ARD gibt uns die Freiheit, uns weitflächig vollkommen selbstbestimmt und mündig zu bewegen – abseits von Barrieren und verschlossenen Türen der Kommerzmedien, jenseits vom Zugriff auf unsere Daten durch Internetriesen' – und damit ist der Satz längst nicht an sein Ende angelangt ..."
Schon die Formulierung "Kommerzmedien", um sich von Medien abzugrenzen, die keinen Zugriff auf sagenhaft sichere Rundfunkbeitrags-Einnahmen haben, wäre ein solch sicherer Tritt in alle denkbaren Fettnäpfchen, dass man sich fragt, ob sich nicht doch bitte Böhmermann demaskieren kann ... Und dass die öffentlich sehr, sehr selten in Erscheinung tretende ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab, die Meier dann erreichte, noch das Wort "Gemeinwohlmedien" ins Spiel brachte, das der ARD bei sehr vielen ihrer Fernsehprogramme auf die großen Füßen fallen würde, macht die Sache nicht besser. Bemerkenswert überdies ist der Begriff "Framing" selbst, der in bisherigen Diskürschen ja vor allem negativ besetzt war (und vom eher linken Medien-Mainstream den anderen unterstellt wurde; vgl. etwa dieses Altpapier).
Falls Sie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wohlwollend-skeptisch gegenüberstehen: Bleiben Sie trotzdem gelassen wie Meier ("Ob aber die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit dem Auftrag des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland zu vereinbaren ist, muss bezweifelt werden") und Huber auf seine Weise am Ende auch:
"Auf den Schlussseiten werden 'beispielhafte linguistische Übersetzungen der moralischen Framings in kurzen Sätzen und Slogans' angeboten. Der vielleicht schönste: 'Wir nehmen jeden ernst – auch Deine Oma.'"
An dieser Stelle könnten Marktforscher einhaken und sagen, dass die Omas sich ja sowieso relativ ernst genommen fühlen vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen und es höhere Kunst wäre, ein ähnliches Gefühl auch jüngeren Generationen zu vermitteln – doch womöglich hat das Berkeley Institute beim Abfassen des Manuals auch schon an mögliche Folgeaufträge gedacht. Das ist in der freien Wirtschaft ja legitim. Falls Sie sich übrigens fragen, was manchmal etwas weniger gelassene Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker zum Thema schrieben, Micha Hanfeld oder die Bild-Zeitung: bis zum Dienstagmorgen noch nichts. Die nächste Beitragserhöhungs-Debatte ist ja noch gar nicht richtig angelaufen.
Neues von den Jugendradios Fritz & 1Live
Was die ARD Enkelinnen und Enkeln bietet, sind vor allem ihre Jugendradios. Fritz lautet der lustige Name des Berlin-Brandenburger Senders, der kürzlich (Altpapierkorb) er durch eine beträchtliche Ummodelung Aufsehen erregte. In dem Zuge sind Dennis Horn zwei Sendungen, die es nun nicht mehr gibt, aufgefallen: "'Trackback', das digitale Themen von Social Media bis zu Netzpolitik für ein junges Publikum aufbereitet hat, und das 'Chaosradio', ein Livetalk des Chaos Computer Clubs, das zum Teil tief in die Materie ging ... ". Und das sei ein Problem. Das von den Programmgestaltern angeführte Argument, diese Themen seien "zu wichtig für eine eigene Sendung" und im sonstigen Programm sogar besser aufgehoben, verfange nicht, weil solche Themen auch Tiefe bräuchten. Die neue Formatierung führe dazu,
"dass in der Radio- und Fernsehlandschaft Formate sterben, die den digitalen Entwicklungen wirklich auf den Grund gehen. In denen man nicht nur oberflächlich den Schlagzeilen hinterherhechelt, sondern in denen die Zeit dafür da ist, die digitale Welt in all ihren komplexen Zusammenhängen zu erklären."
Was Horn übrigens bei Digitalistan schreibt, also einem Blog des WDR, der zwar keine Sendung ist, aber ungefähr eine solche Tiefe bietet und eben auch zum großen Angebot der ARD gehört. (Apropos: Haben wir schon ausdrücklich genug erwähnt, dass das Altpapier hier beim MDR ebenfalls dazu gehört?)
Der WDR selbst wiederum bietet auch ein Jugendradio, 1 live (das online gerade einen noch fröhlicheren Eindruck macht als RBBs Fritz). Diesem Radio gilt die heutige kurze FAZ-Glosse (45 Cent bei Blendle), die gefährlich daher kommt, weil bloß "In medias res" drüber steht und keine Überschrift andeutet, wo genau der Artikel wieder hin mäandert. Will flü / Frank Lübberding, wenn er zunächst den Hashtag #fridaysforfuture anführt, etwa gegen den Klimawandel schulschwänzende junge Leute polemisieren? Im Gegenteil, stellt sich heraus, es geht um eine andere WDR-Aktion:
"Unter #1Liveloveplane können sich jetzt paarungsbereite Singles im passenden Alter für eine Reise bewerben. Aber nicht, um sich klimaneutral auf dem Fahrrad in eine Jugendherberge im Sauerland zu begeben. Die Singles bewerben sich für eine 'mega Party-Woche' auf Fuerteventura. Die Insel ist von der Landeshauptstadt Düsseldorf schlappe dreitausend Kilometer Luftlinie entfernt. Da fragt man sich schon, welche Ängste im Sektor von 1Live gerade dominieren. Die vor dem Klimawandel wohl kaum."
Um hart, aber fair zu bleiben: Im Internetauftritt der WDR-Aktion "Wir schenken euch eine Reise nach Fuerteventura!" lässt sich schnell erkennen, dass der WDR da außer zur Hörerbindung auch etwas für den Paderborn/Lippstadt Airport tut, also einen Flughafen in der Peripherie, und ein bisschen lokaler Public Value schon auch mitschwingt (zumindest aus nordrhein-westfälischer und nicht hessischem Blickwinkel). Doch vielleicht wäre es nicht schlecht, zum Gesamterscheinungs-Bild der ARD-Jugendradios noch ein paar Gutachten externer Experten zu Rate zu ziehen.
(Wobei, nur eine Idee: Wenn die ARD allen Beitragszahler mal eine Reise nach Fuerteventura schenken würde – könnte das nicht die Akzeptanz der Öffentlich-Rechtlichen nachhaltig erhöhen? Vielleicht würde sogar Malle reichen. Das liegt ja etwas näher und wäre dann wiederum für den ökologischen Fußabdruck besser).
Die Doku-Debatte geht weiter
Tut mir leid, es folgt noch was Öffentlich-Rechtliches-Kritisches. Die Debatte über Dokus- und -mentarfilme (zuletzt Altpapier gestern) geht noch weiter. Und zwar mit einem lesenswerten Interview der Dokumentarfilmerin Katarina Schickling aus dem Vorstand von "Dok Regie" – einer Dokumentarfilmer-Interessensvertretung "unter dem Dach des Bundesverbandes Regie", die nicht identisch ist mit der AG Dok, deren Studie zuletzt Aufsehen erregte. Der Süddeutschen gegenüber nimmt Schickling bei einer Menge gerade vieldiskutierter Aspekte ("Protagonisten werden heute, auch bei öffentlich-rechtlichen Sendern, regelrecht gecastet. Finden Sie mal drei Frauen, die vergewaltigt worden sind, die das offen vor der Kamera erzählen. Und dann sagt der Sender, die eine kommt nicht so sympathisch rüber ...") kein Blatt vor den Mund. Ihre vielleicht prägnanteste Aussage, was den ARD-Gesamtzusammenhang betrifft:
"Bei der ARD sind, im Gegensatz zum ZDF, Wiederholungen ein großes Thema, weil es so viele Abspielflächen gibt. Ich habe vor einigen Jahren eine Dokumentation gemacht, 'Mahlzeit Deutschland', die ist 40 Mal wiederholt worden, ich sehe da keinen Cent. Die Filme sind auch eigentlich immer in der Mediathek, weil sie in irgendeinem Dritten gerade gelaufen sind. Für die Mediathekenvergütung gibt es auch beim ZDF noch kein hundertprozentig zufriedenstellendes Modell. Ich hoffe, dass die aktuelle Diskussion ein Weckruf ist ..."
Mahlzeit!, wünscht jedenfalls Ihr und unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD. Jetzt folgt aber wirklich ein Thema, zu dem der ARD derzeit nicht der geringste Vorwurf zu machen ist, gleich ganz oben im Altpapierkorb ...
Altpapierkorb ("Serienschwemme", gemeinnütziger Journalismus? Schreibregelverordnung, "exquisite" Springer-Kniffe, typisch deutsche Medientagungen)
+++ "Die große Serienschwemme", "im Serienregal stapelt sich schon Material, das unbedingt gesichtet werden will", "genau deshalb endet der Freizeitspaß immer öfter in blankem Frust", macht Doris Priesching im Standard dem anschwellenden Überdruss an all den laangen Serienstaffeln, die alle, die mitreden wollen, gesehen haben müssen, Luft. Zum Thema sprach sie auch mit den Produzenten Nico Hofmann und Jan Mojto, die Interessantes über die stark steigenden Preise berichten. Wer die Serienschwemme aber überhaupt nicht anheizt, zumindest bis ca. im Herbst 2020 die nächste "Babylon Berlin"-Staffel nachgespielt wird, ist die ARD! (Bzw. brachte nicht mal Nico Hofmann seine neue "Charité"-Staffel ins Spiel ...).
+++ Der "Kampf der Titanen", bei denen sich lange abwägen ließe, wer bzw. wessen Firmen noch weniger sympathisch sind, also zwischen David Pecker (National Enquirer, enger Trump- und Saudi-Arabien-Unterstützer ...) und Jeff Bezos (Datenkrake und Einzelhandels-Killer mit Amazon, aber auch Washington Post), ist Thema der FAZ-Medienseite. Sowie frei online und weniger paukenschlagend der taz und des Standard.
+++ Es gibt gerade viele Gutachten, darunter eines, das noch mal wieder die Forderung, "Journalismus steuerrechtlich als gemeinnützig anzuerkennen", aufstellt. Was vor allem steuerrechtlich gemeint ist. Thomas Schnedler berichtet darüber auf netzwerkrecherche.org. "Das politische Klima" im Bundestag scheine dafür günstig.
+++ Kaum hat das Bundeskartellamt sich nach seehr reiflicher Überlegung durchgerungen (Altpapier), die Datenmarkt-Macht des Facebook-Konzerns mit seinen Junge-Leute-Marken Instagram und Whatsapp als bedenklich zu bewerten, lädt bundespraesident.steinmeier flott und fröhlich zu Insta. Meldet die SZ-Medienseite.
+++ Michael Haller, wichtiger Journalismus-Professor schon im vergangenen Jahrtausend, rückte anlässlich der Relotius-Fragen kürzlich mit einem älteren Lehrbuch ins Bewusstsein. Jetzt hat die taz ihn dazu befragt. "Für das Reportageschreiben gibt es keine Schreibregelverordnung", sagt er, in der nächsten Neuauflage seines Buchs werde er aber schärfere Grenzen "zwischen dem, was zulässig ist, und dem, was man sein lassen sollte", ziehen.
+++ Lob für Springer-Medien gibt's bei uebermedien.de natürlich nicht. Aber welches für "drei formale Kniffe, die ich kommunikationswissenschaftlich betrachtet exquisit finde", hat Samira El Ouassil doch in ihre Kolumne hineingeschmuggelt. Es geht ums neue Bild Politik-Heft (AP gestern).
+++ Passend zu aktuellen Debatten sind die Bezüge des ZDF-Intendanten Thomas Bellut erhielt im Jahre 2017 veröffentlicht worden (epd). Kaum im mittleren sechsstelligen Bereich lagen sie ...
+++ "Nach 18 Jahren auf eigenen Wunsch" verlässt Unterhaltungschef Tom Sänger RTL (horizont.net). Angesichts der sehr vielen Personalien, die unter ausschweifendstem Geblurbe verkündet werden, scheint ein regelrechtes Auf eigenen Wunsch-Konzert bei RTL stattzufinden. Mit Prognosen, ob das RTL-Programm sich grundlegend verändern wird, scheinen sich noch keine Medienbeobachter aus dem Fenster lehnen zu wollen.
+++ Im Fall "Verband Sozialer Wettbewerb" gegen Cathy Hummels (Altpapier-Jahresrückblick) gab's gerade eine Gerichtsverhandlung (SZ).
+++ "... Auf jeden Fall muss der Staat ran, er soll mehr regulieren und dann auch gut ausgerüstet die Strafverfolgung aufnehmen. Die Staatsvertreterin vor Ort will sich aber lieber nicht mit den großen Konzernen anlegen. Sie verspricht sich (und dem Publikum) Besserung durch die freiwillige Selbstkontrolle der Betreiber. Die Journalismus-Theoretiker fordern, dass die Journalismus-Praktiker*innen sich auf das professionelle Bereitstellen von Informationen konzentrieren – vielleicht mit der Neuerung, Objektivität durch Transparenz zu ersetzen. Wenn das alles nichts hilft, soll es zu guter Letzt dann das Individuum richten. Die Leser*innen brauchen einfach mehr Medienkompetenz, dann wird das schon": Neben eigenen politischen Ansichten auch weit darüber hinaus prägnante Beobachtungen zu typisch deutschen Medientagungen liefert Sevda Can Arslan auf medienblog.hypotheses.org (bzw. einem neuen Sub-Blog).
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.