Das Altpapier am 11. Februar 2019 Im Zweifel überraschungsfrei
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Von “Bild“ gibt ein neues Politikmagazin, das sich ideologiekritisch gibt, denn Ideologen sind immer die anderen. Dokus sind für die Öffentlich-Rechtlichen “systemgerecht“, lange Dokumentarfilme sind es nicht. Und die FAS wünscht sich ein Fernseh-Kulturprogramm, das “komplexer, radikal anders, langsamer und uneindeutiger“ ist. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Hat da jemand zu viel Marie Kondo gelesen? “Die Welt lässt sich nicht mehr sauber strukturieren nach Politik, Wirtschaft, Innen, Außen“, heißt es in einer Ankündigung für das neue Wochenmagazin “Bild Politik“ aus dem Haus Axel Springer, das seit Freitag testweise hier und da verkauft wird, als E-Paper aber überall downloadbar ist – sogar auf der Autobahn wäre es das, hätte “unsere Regierung“ nicht “versagt“, wie es auf der Titelseite im Empörtendeutsch heißt. Bei Bild Politik setzt man jedenfalls auf eine neue Ordnungsmethode: “Das Heft wird (…) konsequent in die Rubriken 'Ärger‘, 'Neugier‘ und 'Freude‘ aufgeteilt.“
Does it spark joy?, aber als journalistische Relevanzwährung. Ohne Witz, da hat jemand zu viel Marie Kondo gelesen.
Es gibt nicht bei jedem testweise irgendwo herumliegenden Magazin sofort Rezensionen. Bei einem Politikmagazin, auf dem “Bild“ steht, ist das anders, wohl, weil schon der Name nach Diskursbeeinflussung riecht. Folglich gibt es dazu bereits Kritiken. Sie fallen negativ aus, was aber nicht daran liegt, dass eh alle immer gegen Springer wären. Meedia, zum Beispiel, kann man eine prinzipienreiterisch kritische Haltung gegenüber dem Haus an der Berliner Rudi-Dutschke-Straße kaum vorwerfen, auch an diesem Wochenende nicht. Zu Bild Politik allerdings schreibt Meedia:
“Bild Politik (…) wirkt wie die Fortsetzung des Boulevardblatts“, also Bild,“ mit anderen Mitteln. Die aus Print und Online bekannten Positionen werden hier weiter vertreten, auch wenn das angebliche Stilmittel des Wochentitels 'Analyse‘ heißt. Diesel-Wut vom Auto Bild-Chef, Aufforderung zum Wolf-Schießbefehl oder eine Ehrenrettung in eigener Sache mit Ausrufezeichen ('Die Medien sind nicht schuld am Erfolg der AfD‘): Vieles, fast alles, könnte genauso bei Bild, Bild am Sonntag oder auf der Website Bild.de stehen.“
Man versteht dort also wohl nicht so genau, wofür das Ganze. Die Süddeutsche Zeitung fasste sich in der Druckausgabe vom Samstag kurz, aber fand, bei vorhandenen Grauschattierungen, das Magazin auch nicht sooo überzeugend. Es handle sich, so Thomas Hahn in der SZ, um “eine 52-seitige Fachzeitschrift für den halbinformierten Wutbürger“:
“Im Blatt geht es gegen Grüne, Umweltaktivisten, sozialdemokratische Rentenpläne, umständliche Gutmenschen und immer wieder um 'die Politik‘, die nichts oder zu wenig tue, gemeint ist die Regierung von Angela Merkel. Im Ressort 'Neugier‘ kann man erfahren, dass Sozialverbände das Phänomen Altersarmut überbewerten. Und die 'Freude‘-Seiten spiegeln auch nur das, was vom Ärger übrigblieb. Das Heft ist wohl überparteilich gedacht. Die erste Ausgabe aber liest sich eher wie die Vereinszeitschrift vom rechten CDU-Flügel, der potentiellen AfD-Wählern gefallen will.“
Bei Meedia heißt es, angekündigt sei Bild Politik als “Erklärmagazin“, das “mit den vielen Unklarheiten in der Politikberichterstattung aufräumen will“. Herausgekommen ist allerdings dann doch nur ein weiteres Meinungsmagazin. Idealtypisch für den Spagat zwischen vermeintlich nicht politisch gefärbtem Antwortjournalismus und gewöhnlich gebrauchten Bild-Meinungen ist eine “Analyse“ der Diesel-Debatte, in der es zum Beispiel heißt, es werde “zu viel Wirrsinn vermischt, zu viel Unsinn gesagt, zu viel ideologisch aufgeladen. Es tobt ein Kulturkampf gegen das Auto.“ – Im Grunde funktioniert Bild Politik in vielen Texten nach dem hier erkennbaren Strickmuster: Erst wird auf die böse Ideologie der anderen hingewiesen. Dann haut man seine eigene Meinung raus und insinuiert durch die Vorrede, es handle sich gar nicht um eine. Allerdings ist die objektiv wie ein Fernglas hingemeißelte “Kulturkampf“-Passage auch noch ein wörtliches Zitat von FDP-Chef Christian Lindner, das an dieser Stelle nicht als solches ausgewiesen ist. Erst viele Absätze später heißt es: “FDP-Chef Christian Lindner platzte unlängst der Kragen: 'Gegen das Auto tobt ein Kulturkampf'“ usw., usf. – Genau genommen kommt mir die Argumentationstaktik von Bild Politik vor allem albern vor.
Ideologen sind immer die anderen
Nicht uninteressant ist es, ergänzend das recht ausufernde Interview mit dem Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner zu lesen, das in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen ist. Im Grunde liefert Döpfner, der von der NZZ befragt wird wie ein unabhängiger Experte für Gott und die Welt, eine Art Metatext, der vor ideologiekritischen Merksätzen strotzt. Von “Es darf keinen intentionalen Journalismus geben, der darauf abzielt, die Welt nach dem eigenen Gusto zu verbessern“ bis “Es gibt Formen von Tugendterror und Tugendzwang, die nicht mehr menschlich sind“ ist da viel bei. Besonders gut haften bleiben die Passagen, in denen es darum geht, dass eine überwiegend linke Journaille “eine ideologische Erwartungshaltung“ bediene. Wie Bild Politik, so teilt auch Döpfner zwischen den Zeilen mit, dass man im Haus Springer so etwas wie neutrales Schreiben praktiziere: “Wir legen Wert auf Handwerk, Recherche und ideologische Unbefangenheit.“ Ideologen sind immer die anderen.
Dass bei Twitter als Reaktion das Beispiel “Silvester in der Frankfurter Fressgasse“ aufkam, sei der Vollständigkeit halber einfach mal ganz objektiv erwähnt.
“Dokumentarfilme sind nicht systemgerecht“
Was Mathias Döpfner auch sagt, ist: “Journalisten sind Wahrheitssucher. Sie befinden sich auf der Suche nach Wahrheit, aber sie kennen sie nicht.“ Da hat er natürlich recht, und wir leiten damit über zum Themenkomplex Dokumentationsfernsehen, der dank der für “Menschen hautnah“-Filme gecasteten Protagonisten (siehe, nur zum Beispiel, dieses Altpapier) seit vielen Tagen auf der Agenda steht. Der Medienjournalist Fritz Wolf hat vergangene Woche die im Altpapier am Freitag schon kurz aufgegriffene Studie “Deutschland – Doku-Land“, erstellt im Auftrag der AG Dok, also der Dokumentarfilmer, vorgestellt. Er macht darin ein in den öffentlich-rechtlichen Sendern weiter gestiegenes Übergewicht des formatierten Doku-Films gegenüber dem in Inhalt und Gestaltung offeneren Dokumentarfilm aus:
“Beobachtungen der Wirklichkeit und ihre Analyse, dokumentarische Tiefenbohrungen kosten eben Zeit und damit Geld. Lieber verteilen die Redaktionen ihre Gelder auf Basis von Konzeptionen, Treatments und Thesenpapieren, was die Projekte berechenbarer macht oder das zumindest verspricht. Damit schieben sich die Konzepte vor die Realität, das Berechenbare vor den Zufall, die Inszenierung vor die Beobachtung. Tendenziell sollten sich wohl Beobachtungen nach Konzeptionen richten. Dokumentationen und speziell die formatierten sind in diesem Sinne systemgerecht. Dokumentarfilme sind nicht systemgerecht.“
Peer Schader hat für Übermedien (frei lesbar derzeit nur mit Abo) die Präsentation besucht (auch die taz schreibt darüber). Am Ende seines Texts sind einige Kernpunkte der Studie zusammengefasst; Schader zitiert zudem auch ausführlich Sendervertreter:
“Die Sender fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Montags liefen im Ersten zur besten Sendezeit hochwertige Dokumentationen, auch in der Reihe 'die story‘ gebe es regelmäßig zeitkritische Inhalte, sagt Matthais Kremin, Leiter des WDR-Programmbereichs Kultur und Wissenschaft Fernsehen. Dass es Produzenten heute komplizierter vorkomme, ihre Ideen in den Sendern unterzubringen, könne daran liegen, dass die Redaktionen intensiver als früher über Inhalte diskutierten: 'Wir wollen auch dafür sorgen, dass sich niemand mit einer Einzelentscheidung völlig vergaloppiert.‘ (Wobei diese angebliche Stärke in der Redaktion von 'Menschen hautnah‘ zuletzt offensichtlich nicht ausgespielt werden konnte.)“
Es bleiben, das ist ein Kern der Debatte, unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man bei aller Komplexität, auf die Schader hinweist, so etwas wie Wirklichkeit näherkommt: durch Treatment-Journalismus, also die Format-Doku, oder durch ergebnisoffene Betrachtungen, die länger dauern, mehr Geld kosten und auch leichter an einem an Senderfarben und Formaterwartungen gewöhnten Publikum vorbeigehen können.
Nichts ist mutiger als “aspekte“
Hier schließt eine Kritik der ZDF-Kultursendung “aspekte“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an (0,45 € bei Blendle):
“Das Problem ist ja nicht, dass eine Sendung wie ‚aspekte‘ so ist, wie sie ist. Bedauerlich ist, dass es nicht auch noch etwas anderes gibt im Hauptprogramm der Öffentlich-Rechtlichen. Etwas, das komplexer, radikal anders, langsamer und uneindeutiger wäre, das mehr Raum zum Denken ließe, indem es den Zuschauer mit etwas konfrontierte, das seine Kenntnis übersteigt, das ihn intellektuell herausfordert. Das Ärgerliche ist, dass 'aspekte‘ schon das mutigste, vom Quotendruck am ehesten entlastete Kulturformat im Hauptprogramm des ZDF darstellt.“
Der Text heißt “Die große Abholung“, und hier schließt sich der Kreis zum neuen Magazin Bild Politik, das sich ideologiekritisch und dadurch übergeordnet gibt, aber nichts anderes macht als so viele formatierte Magazine: Es will sein Publikum ansprechen. Mit Beiträgen, von denen man glaubt, dass es sie gerne konsumieren möchte. Im Zweifel überraschungsfrei.
Altpapierkorb (Adil Demirci, Jeff Bezos, Funke-Sound, “Kitchen Impossible“, Sigmar Gabriel als Holtzbrinck-Autor, @tweetsvonwagner)
+++ Drehbuchautoren, die für die ARD arbeiten, “können künftig mit höheren Vergütungen rechnen.“ – FAZ und Tagesspiegel berichten.
+++ Nicht nur Deniz Yücel, Peter Steudtner und Mesale Tolu waren in der Türkei inhaftiert, Adil Demirci ist es immer noch: “Am Schicksal von Adil Demirci nehmen die Deutschen kaum Anteil. Weder Merkel noch Außenminister Heiko Maas haben sich bislang zu dem Fall öffentlich geäußert. Nach wie vor befinden sich neben Demirci mindestens vier weitere Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei im Gefängnis. Die Bundesregierung, so scheint es, hat sich damit abgefunden, dass deutsche Staatsbürger in der Türkei aus politischen Motiven festgesetzt werden. Die Behörden werfen Adil Demirci vor, Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) zu sein, die vom türkischen Staat als Terrororganisation eingestuft wird. Am 14. Februar wird in Istanbul der Prozess gegen ihn fortgesetzt.“ Schreibt Der Spiegel (€).
+++ Und die taz unterscheidet in Sachen Solidarität für Demirci in einem ebenfalls ausführlichen Text zwischen kleiner und großer Geste: “Auf der Mikroebene ist die Solidarität mit Adil Demirci groß: Demircis Arbeitgeber hat seinen Vertrag verlängert, obwohl er nicht anwesend ist. Eine deutsche Delegation flog zum ersten Prozesstag in die Türkei und möchte dies am 14. Februar wieder tun, darunter die Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel (Die Linke) und Rolf Mützenich (SPD) sowie der Investigativjournalist Günter Wallraff. Der CDU-Bundestagsabgeordneter Jürgen Hardt war dabei, als Bruder Tamer Demirci 5.000 Unterschriften für die Freilassung seines Bruders an Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, überreichte.“ Aber: “Eine erneute Konfrontation mit der Türkei erschien nach Adil Demircis Festnahme nicht mehr opportun. Es überwiegen wieder die gegenseitigen Abhängigkeiten: Die wirtschaftlich angeschlagene Türkei braucht Deutschland, wenn sie sich schon mit Trumps USA überworfen hat. Und Deutschland ist weiterhin abhängig von der Türkei, wenn es darum geht, Geflüchtete aus dem Nahen Osten fernzuhalten.“
+++ Über den “gequirlten Hühnerbrei“ in den jüngsten Pressemitteilungen des Funke-Konzerns (Altpapier) macht sich Hans Hoff bei DWDL lustig.
+++ Wird die Thüringer Allgemeine mit ihren Ausgaben weiterhin gedruckt, oder gibt es sie nur noch digital? Der MDR hatte gemeldet, Funke prüfe die Einstellung des Druck. epd Medien schrieb: "Dieses Vorhaben bestätigte Funke-Sprecher Tobias Korenke dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Erfurt. Wie lange diese Prüfung andauern werde, sei noch offen." Später ruderte der Sprecher zurück und sagte MDR aktuell: "Ich glaube, ich bin da falsch verstanden worden."
+++ Das Vox-Format “Kitchen Impossible“ wurde ins Ausland verkauft und ist in den Niederlanden gestartet, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Und erklärt die Rezeptur der Sendung und die Auslandsadaptionen.
+++ In den USA bestellt Präsident Donald Trump seine Wahlkampfhilfen nicht bei Amazon, sondern beim National Enquirer. Die SZ: “Das Blatt kaufte die Rechte an der Geschichte des ehemaligen Playboy-Models Karen McDougal, mit der Trump von Juni 2006 bis April 2007 eine Affäre hatte. Das war gut ein Jahr, nachdem er Melania geheiratet hatte. Eine Veröffentlichung dieser Geschichte mitten im Wahlkampf hätte für Trump sehr unangenehm werden können. Der Enquirer aber zahlte McDougal 150 000 Dollar für ihre Geschichte, um sie dann gerade nicht zu veröffentlichen. 'Catch and kill‘ heißt das in der Branche: einfangen und töten.“
Hintergrund: Amazon-Chef Jeff Bezos, “dem auch die regierungskritische ‚Washington Post‘ gehört“, wirft dem Enquirer “Erpressung mit Nacktfotos“ vor. Und vermutet, dass Enquirer-Mann “David Pecker seinem Freund im Weißen Haus nun wieder einen Gefallen getan hat“ (SZ).
+++ Die SPD-Politikerin Gesine Schwan erhebt im taz-Interview Vorwürfe gegen den ehemaligen SPD-Chef Gabriel, der nach seiner politischen Karriere “ohne Karenzzeit“ bei Holtzbrinck als Autor angefangen hat. Aber sie klagt auch über Holtzbrinck: “Ich sehe Sigmar Gabriels öffentliche Einlassungen, ich höre Gerüchte und Interna, ich lese viel. Der Berliner Tagesspiegel hat Gabriel zum Beispiel eine besondere Rolle zugesprochen. Nahles wird in der Zeitung systematisch negativ belegt, Gabriel wird protegiert und als Kanzlerkandidat oder möglicher neuer Parteichef gehandelt.“ Wer sich selbst ein Bild machen möchte – ich vermag da selbst derzeit keine Einschätzung zu geben –, möge die Suchfunktion auf tagesspiegel.de bedienen.
+++ “Für manche Forscher wünschte man sich auch dringend ein Medientraining“, schreibt Zeit Online: “Exemplarisch war das vorvergangenen Sonntag bei Anne Will zu besichtigen, wo der emeritierte Epidemiologe Heinz-Erich Wichmann eigentlich Köhler hätte Paroli bieten sollen. Doch der Fachmann für Luftschadstoffe tauchte so in die Details der Materie ab, dass nur noch wenige Zuschauer mitkamen. Nun kann man das Wichmann kaum vorwerfen: Talkshow-Fähigkeit war in seiner Karriere nie gefragt. (…) Doch die Fernseh-Debatte zeigt, wie wichtig heute Forscher sind, die den medialen Auftritt beherrschen.“ Klingt freilich, als wären Medienmechanismen nicht menschengemacht. Der Text stammt allerdings aus dem Wissens-, nicht aus dem Medienressort.
+++ Der Satire-Account @tweetsvonwagner wird aus Gründen bei Twitter nicht mehr befüllt. Schreibt die SZ.
Offenlegung: Ich schreibe manchmal für Übermedien und saß mit Fritz Wolf zuletzt in einer Kommission des Grimme-Instituts.
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.