Das Altpapier am 8. Februar 2019 Oops! … They Did It Again
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Die Funke Mediengruppe investiert mal wieder in die Zukunft, auch bekannt als “Sparen und Entlassen“. Facebooks Datenhunger wird vom Bundeskartellamt gestoppt. Bertelsmann gefällt das neue EU-Urheberrecht nicht (mehr). Das “Game of Thrones“ Chinas. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.
Wer deutschen Medien vorwirft, sie seien zu sehr auf schlechte Nachrichten fokussiert, der tut ihnen Unrecht. Zumindest ihre Pressestellen und Verlagsbossmenschen beherrschen den Happy Sound durchaus, und zwar vorwiegend, wenn die Meldungen im Kern eigentlich total unerfreulich sind.
So war es auch gestern, als die Funke Mediengruppe per Pressemitteilung ankündigte, ihre Regional- und Lokalmedien neu aufzustellen - so zumindest die Überschrift. Weiter ging es mit
“Zukunftsprogramm FUNKE 2022 schafft Voraussetzungen für weiteres Wachstum: Agile Strukturen und Prozesse beschleunigen digitalen Shift / Kosteneinsparungen geben Raum für Investitionen“,
und man musste schon ordentlich weiter lesen, um die Kosteneinsparungen konkreter zu bekommen, nämlich als
“Teil der Neuausrichtung ist ein strategisches Kostensenkungsprogramm an allen Standorten, das auch Personalabbau beinhaltet.“
Zukunft heißt bei den funky Funkes also Sparen und Entlassen.
Dabei herumkommen soll ein zweistelliger Millionenbetrag. Wer dafür daran glauben muss, weiß der DJV:
“Wie der DJV erfuhr, sollen in der Berliner Zentralredaktion mehr als 20 Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeitsplätze verlieren. Das entspricht fast einem Viertel der Stellen. An den drei Zeitungstiteln in Nordrhein-Westfalen will Funke zehn Prozent der Stellen streichen. Die Redaktion der Westfalenpost in Warstein mit fünf Mitarbeitern soll ganz geschlossen werden. Die Ausbildung der Volontäre seiner NRW-Zeitungstitel in der Medienakademie-Ruhr will der Konzern für ein Jahr aussetzen. Komplett schließen will der Konzern das Essener Druckhaus mit 120 Mitarbeitern.“
Zudem sollen die Wochenblätter in Braunschweig und Hamburg jeweils zusammengestaucht werden und die Berliner Morgenpost sowie die Thüringer Funke-Titel mehr auf digitale Verbreitung setzen. Wie teuer das Verteilen der ausgedruckten Ausgaben vor allem in der Fläche ist, war an dieser Stelle ja bereits am Mittwoch Thema.
Sowohl Ulrike Simon bei Horizont als auch Anne Fromm und Jürn Kruse in der taz erkennen einen Grund für den finanziellen Druck im Essener Zeitungskonzern im Kauf eines großen Batzens Printtitel aus dem Springer-Verlag im Jahr 2013. Dass man sich damit überhoben hat, ist sicher richtig. Allerdings sehe ich (Offenlegung: Einst Volontärin bei besagter, auf Eis gelegter Medienakademie) darin weniger die Ursache als ein Symptom: Bei Funke hat man schlichtweg keinen Plan, wie Journalismus nach Erfindung des Internets funktionieren könnte. Das rächt sich, übrigens nicht erst nun, und ist besonders bitter, weil wir verdammt nochmal guten Lokaljournalismus brauchen. Wo sonst kann man das System Demokratie erklären und erlebbar machen, wenn nicht an der Basis?
Bei Verdi ist man erwartungsgemäß auf Zinne. Der stellvertretende Vorsitzende Frank Werneke verkündet per Pressemitteilung:
“Statt einer vernünftigen Strategie für ausdifferenzierte Informationen im Norden, Westen, Osten oder der Mitte Deutschlands, wo vollkommen unterschiedliche gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen herrschen, wird Einheitsbrei produziert. Durch eine Kette an publizistischen und unternehmerischen Fehlentscheidungen wird ein einstmals stolzer und bedeutender Verlagskonzern systematisch vor die Wand gefahren.“
Christian Jakubetz schreibt derweil in seinem Blog unter Bezug auf die New York Times, die aktuell mehr Geld in ihre Redaktion zu stecken gedenkt (Altpapier gestern):
“Will man also etwas verkaufen, muss das Produkt stimmen.
Und genau bei dieser nicht wirklich neuen Idee kommen wir wieder auf Essen und New York: Die einen investieren massiv in Journalismus. Die anderen reduzieren Personal, schließen Redaktionen, setzen Ausbildungen aus.“
Man stelle sich vor, ein Automobilkonzern würde die schlecht laufenden Geschäfte mit einem ähnlichen System anzukurbeln versuchen und statt guter Hardware einfach über Fehlleistungen hinwegtäuschende Software… oh, wait.
Something is rotten in the state of Deutsche Unternehmenskultur. Nur zwei Branchendienste leisten beständig Widerstand, das zu akzeptieren.
Bei W&V entblödet sich Chefredakteur Jochen Kalka nicht, seinen Funke-Text anzuteasern mit
“So geht digitale Transformation: Die Geschäftsführer Ove Saffe und Andreas Schoo fackeln nicht lange rum. Sie investieren, reduzieren und setzen auf digitale Geschäftsmodelle.“
Es folgen Schwärmereien über den neuen Newsroom im frisch bezogenen Essener Funke-Neubau (“Arbeiteten die Redakteure bisher vor allem in verstaubt anmutenden Einzelzimmern, so tauschen sie sich jetzt agil aus.“ - Zwischenfrage: Wie genau sieht so ein agiler Austausch aus? Bitte sagt, dass Fist Pumps involviert sind!), und, mein persönliches Highlight:
“Wie in einem Printhaus sieht es hier nicht aus, auch wenn neben dem Porträt des Verlagsgründers Jakob Funke in Lettern an der Wand geschrieben steht: 'Journalismus aus Leidenschaft’.“
Ich habe den Satz jetzt achtmal gelesen und möchte festhalten: Er ergibt einfach keinen Sinn.
Dagegen ist der Teaser bei kress.de geradezu harmlos, wo es heißt:
“'Mehr denn je brauchen wir guten, verlässlichen Regional- und Lokaljournalismus. Wir dürfen uns aber nichts vormachen, seine Zukunft ist extrem gefährdet’, sagt Ove Saffe, für das Zeitungsgeschäft verantwortlicher Geschäftsführer. Wie die Funke Mediengruppe die Regional- und Lokalmedien neu aufstellt.“
Der Dachstuhl brennt, aber man kann natürlich auch behaupten, dass davon angesichts der kalten Jahreszeit Menschen mit dauerkalten Füßen massiv profitieren.
*geht kopfschüttelnd ab*
Mit Kartellrecht gegen Facebooks Datensammel-Wut
Blutdruck oben? Da kann er bleiben - etwa, indem man sich dieses Schmankerl aus einer aktuellen Pressemeldung aus dem Hause Facebook zu Gemüte führt:
“Das Bundeskartellamt unterschätzt den starken Wettbewerb, dem wir in Deutschland ausgesetzt sind.“
Ha! Ha! Ha! Von wem denn bitte? StudiVZ oder MySpace? Oder gelten Payback und die Rentenversicherung schon als soziale Netzwerke?
Den Anlass für die Stellungnahme hat das Bundeskartellamt gestern geliefert, indem es dem Kraken untersagte, in Zukunft weiterhin Daten von Nutzern aus verschiedenen Quellen zusammenführen, solange diese nicht ausdrücklich ihre Zustimmung dazu erteilt haben. Bislang erfolgt das automatisch mit Akzeptieren der AGB. Konkret geht es dabei um das Kombinieren von Informationen von Facebook, Instagram und WhatsApp mit allem, was etwa über Internetseiten mit Facebook-Like-Button eingesammelt werden kann. (Hier geht es zur Pressemitteilung des Kartellamtes. Eine gute Zusammenfassung hat Zeit Online).
Facebook hat nun zwölf Monate Zeit, Lösungsvorschläge zu präsentieren. Allerdings hat das Unternehmen bereits angekündigt, Beschwerde einzulegen. Das könnte noch ein schöner Marsch durch die juristischen Instanzen werden.
Interessant ist zum einen, dass ausgerechnet das Bundeskartellamt über einen Umweg für mehr Datenschutz sorgen will. Was aber in Ordnung geht, argumentiert Rupprecht Podszun vom Institut für Kartellrecht der Uni Düsseldorf bei Meedia:
“Wenn die Datenschützer bei Facebook schneller und engagierter draufgeschaut hätten, hätte das Kartellamt sicher nie ein Verfahren eingeleitet. In gewisser Weise stopft das Kartellamt da die Vollzugslücke. Das kann man anmaßend nennen oder auch mutig. Aus meiner Sicht gibt es hier kartellrechtlich schon ein Argument: Wir können nicht dauernd behaupten, dass Daten der wichtigste neue Rohstoff für die digitale Ökonomie sind und dann vor Fällen zurückschrecken, in denen der Nutzer nicht mit Geld, sondern mit Daten 'zahlt’.“
So sieht das auch Jannis Brüh in seinem Kommentar für die SZ:
“Mit seinen Vorgaben für Facebook zeigt das Kartellamt: Gefährliche Konzentration wirtschaftlicher Macht gibt es nicht nur in Form von Fabriken, Lieferketten und Geldbergen. Auch die Datenberge der Digitalkonzerne können zum Problem für den fairen Wettbewerb werden.“
Zum anderen ist unklar, ob sich wirklich etwas ändert, wenn nicht das Sammeln und Zusammenführen der Daten verboten, sondern nur eine Erlaubnis dafür eingefordert wird.
“Das klingt zwar gut, könnte sich (sic!) aber in der Praxis schlimmstenfalls auch als Bestätigen eines weiteren Banners oder eines Häckchens (sic!) in den Einstellungen zur Einwilligung funktionieren – ohne dass die Nutzer verstehen, was da genau passiert. So wie das Facebook bereits seit Jahren macht“,
schreibt Markus Beckedahl bei Netzpolitik.org. Ähnlich sieht das auch Markus Böhm bei Spiegel Online:
“Auch im Fall der jetzt angefochtenen Datensammlung von Facebook wird es letztlich am Nutzer selbst hängen, ob er die für ihn richtige oder nur die erstbeste Option anklickt, um schnell wieder seine Ruhe beim Chatten oder Foto-Liken zu haben. Vorgaben wie die des Kartellamts bieten Nutzern die Chance auf den sprichwörtlichen Elfmeter ohne Torwart - von allein landet der Ball aber nicht im Tor.“
Zu guter Letzt bleibt die Frage:
“Wer würde kontrollieren, ob Facebook die Auflagen auch einhält - und Daten aus verschiedenen Quellen wirklich nicht miteinander verknüpft?“
Dennis Horn stellt sie bei tagesschau.de.
Um positiv zu schließen: Es bewegt sich was. Immerhin irgendwas.
Altpapierkorb (EU-Urheberrecht, Doku-Problem mit System, chinesisches “Game of Thrones“)
+++ Jetzt sind nicht mal mehr deutsche Medienkonzerne - in Form von Bertelsmann - mit der geplanten EU-Urheberrechtsreformzufrieden, die heute nochmal thematisiert und nächste Woche in die finale Verhandlungsrunde gehen soll (Altpapier), meldet Patrick Beuth bei Spiegel Online.
+++ Das Problem “Menschen hautnah“ hat System, zeigt eine Studie des Journalisten Fritz Wolf, die Oliver Weber heute auf der Medienseite der FAZ vorstellt: “ARD und ZDF zeigten immer weniger Dokumentationen und Reportagen und engten die Darstellungsweise immer stärker ein. Mehr als vier Fünftel der gezeigten Filme seien streng 'formatiert’, werden also nach dramaturgischen Konzepten, seriell, unter 'Dachmarken’ gezeigt. Reihen wie 'Menschen hautnah’ vom WDR oder '37 Grad’ im ZDF folgen, so die Studie, 'festen Erzählregeln’, wie etwa einer bestimmten Art, ein Happy End zu inszenieren oder mehrere Einzelgeschichten zu kontrastieren. Im Ergebnis, so die Studie, 'verengt Formatierung auch den Blick auf die Wirklichkeit, weil es oft nicht um Beobachtung der Realität geht, sondern um Umsetzung von Konzepten’.“
+++ Jill Abramson, die ehemalige Chefredakteurin der New York Times, soll in ihrem neuen Enthüllungsbuch über das Nachrichtengeschäft (“Merchants of Truth“) abgeschrieben haben (Spiegel Online, taz, The Guardian).
+++ Falls Sie sich für Springers neues Wochenmagazin Bild Politik interessieren, aber nicht im Test-Gebiet Norddeutschland leben, vermitteln Georg Altrogge bei Meedia und Markus Ehrenberg im Tagesspiegel einen ersten Eindruck.
+++ Neues Außenwirtschaftsrecht klingt jetzt nicht unbedingt sexy, kann aber etwas für den Erhalt unabhängiger Medien tun, erklärt Volker Nünning in der Medienkorrespondenz. Neu ist: “Will beispielsweise ein nicht in der EU ansässiger Investor, etwa aus China oder Russland, bei einem hiesigen Medienunternehmen mit mindestens 10 Prozent einsteigen, dann kann von Seiten der Bundesregierung dieser Einstieg geprüft werden.“
+++ Vom uns gänzlich böhmischdörfischen chinesischen Serienmarkt (oder kennen Sie “Die Geschichte des Yanxi-Palastes“, angeblich beliebter als “Game of Thrones“?) berichtet Lea Deuber auf der Medienseite der SZ.
+++ Mit welchen Medien die Deutschen ihre Zeit verbringen, beschäftigt Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner Kolumne bei evangelisch.de.
+++ Über die Schwierigkeiten, ein Kolumnen-Thema zu finden, kolumniert Ulrike Simon diesmal bei Spiegel+.
+++ Aus Umfragen kann man verlässlich Meldungen generieren, muss es aber nicht: Thomas Wind beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe epd medien mit dem Verhältnis von Meinungsforschung und Medien (derzeit nicht online).
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag. Ein schönes Wochenende!