Das Altpapier am 31. Januar 2019 Emotionsfalle
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Brauchen die Öffentlich-Rechtlichen eine Paleo-Kur? Beim Thema Rundfunkbeitrag tappen alle Beteiligten gern in die Emotionsfalle. Apple möchte gern ein weißer Ritter sein. Und alberne Attacken stechen mal wieder sachliche Kritik. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Während es früher mal "Sex sells" hieß, gilt heute die Losung "Rundfunkbeitrag sells" oder eher "Zwangsgebühren sells". Streichen Sie sich den März schon mal rot im Kalender an, da soll nämlich eine Entscheidung (jetzt wirklich) zur Änderung der Rundfunkstaatsverträge und damit vielleicht auch einer Änderung der Beitragsbemessung fallen. Was dabei rumkommt und ob das Indexmodell, also die Koppelung des Beitrags an die Inflationsrate, dabei eine Chance hat, wir warten es mal ab.
Nach diversen Halbentscheidungen und Nichteinigungen treffen sich heute die Intendant:innen der Anstalten mit den Ministerpräsident:innen um schon mal ein bisschen auszubaldowern, wem was wie genehm wäre.
Wer sich nun zum x-ten mal darüber wundert/ärgert, wie lange das Ganze eigentlich schon diskutiert wird und warum sich da nichts zu konkretisieren scheint, schlage die SZ-Medienseite (oder Blendle) auf.
"Das muss schneller gehen. (…) Die Strukturen sind bisweilen inflexibel, aber Markt und Mediennutzung erfordern mehr Flexibilität",
fordert der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) da im Interview mit Peter Burghardt und Claudia Tieschky. Recht hat er. Denn für 2021 muss die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) ja wieder eine neue Beitragshöhe festlegen. Aber das wiederum wäre gar nicht mehr nötig, wenn es eventuell mit dem Indexmodell eine neue Berechnung des Beitrags geben sollte.
Eine Entscheidung muss also her. Allerdings sorgen Föderalismus und die komplexiziertesten öffentlich-rechtlichen Strukturen dafür, dass die Politik gründlich an der Realität vorbeigeht. Vor allem kann die ganzen Verflechtungen der Regelungen und Abhängigkeiten kein Ottonormal-Zeitungsleser nachvollziehen, der nicht wenigstens ein klein wenig Ahnung von KEF und Co. hat. Aber Brosda ist zuversichtlich:
"Es ist noch zu schaffen, wenn alle wollen. Klar muss nur sein: zu sagen, der Beitrag darf 2021 nicht steigen, aber im Staatsvertrag und im Auftrag darf sich auch nichts ändern, das funktioniert nicht."
Paleo-Kur für die Öffis?
An dem Punkt kommt der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Vorsitzende der deutschen Monopolkommission Justus Haucap ins Spiel. Im Interview mit der Wirtschafts Woche (€), genauer mit Peter Steinkirchner, fordert er jetzt eine Schlankheitskur für die Öffentlich-Rechtlichen. Was hätten wir denn gerne? Weight Watchers, Saftfasten, Low Carb? Eine Null-Diät will Haucap zwar nicht:
"Mir würde es sicher nicht reichen, wenn ich mir nur die Nachrichten bei den Privatsendern ansehen würde. Doch das legitimiert nicht länger die komplette Breite und Tiefe des Angebots der öffentlich-rechtlichen Sender mit ihren vielen TV-Programmen, Radiosendern und Online-Auftritten in dem heutigen Ausmaß."
Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk (von dem ja auch das Altpapier finanziert wird) müsse "vor allem deutlich schlanker" werden und sich wieder auf seinen "ursprünglichen Kern" aus Information, Kultur und Bildung und "erst nachgelagert auch aus Unterhaltung" konzentrieren. Dafür müsse es klare Rahmenbedingungen, also einen klar definierten Auftrag geben. Also weniger dreistündige Helene-Fischer-Shows, weniger Krimis, weniger teure Sportrechte. Die Kritik ist nicht neu.
Hört sich an nach einer Umstellung auf Urzeit-Kost, weg vom bunten Naschwerk. Paleo vielleicht? Ähnliches fordert aktuell auch mal wieder der Verband Privater Medien Vaunet beim Tagesspiegel. Die Unterhaltung ganz wegzulassen fände Brosda aber wiederum "absurd".
"Wenn wir das wegließen, bekämen wir eine Situation vergleichbar mit der des nicht kommerziellen Senderzusammenschlusses PBS in den USA: teils großartige Formate, aber für eine extrem kleine Zielgruppe. Wenn das Erste und das Zweite das Zwölfte und das Sechzehnte wären, entstünde auch ein Problem der Akzeptanz."
Den klassischen öffentlich-rechtlichen Auftrag sieht Haucap allerdings bei Sendern wie Deutschlandradio, Phoenix oder Arte. Würden die Öffis sich auf diesen Auftrag konzentrieren, "würde auch ein Monatsbeitrag von zehn Euro sehr gut reichen", sagte er. Dabei werde gleich auch etwas Budget frei für andere Medien.
Bling, bling, bling: Ich sehe schon bei der Fraktion "Zwangsgebühren"-Retorik die Eurozeichen in den Augen blinken und bei den öffentlich-rechtlichen Entscheidungsträgern den Blutdruck in der Höhe schnellen. Denn ein Problem an der ganzen Diskussion ist ja auch, dass gerade beim Beitrags-Thema alle in die Emotionsfalle zu tappen scheinen.
Während die Oberhäupter der Anstalten einen steigenden Bedarf herbei rufen oder schon mal vorsorglich mit Klagen drohen, fordern die Privaten auch ein Stück vom Kuchen und die Verlage bzw. deren Zeitungen (damit meine ich auch die digital erscheinenden) fangen jedes Mal an zu krakeelen, wenn sich auch nur das geringste Lüftlein aus dem Dunstkreis des Beitrags weht – einerseits, weil das Thema ein Aufmerksamkeits- und Klick-Garant ist und andererseits, weil sie natürlich vor allem was die Angebote im Netz angeht auch ein paar Aktien mit im Spiel haben (wir erinnern uns an das hübsche Wörtchen Presseähnlichkeit mit dem Streit um die "Tagesschau"-App, aber die Debatte hat ja seit der Entscheidung der Ministerpräsident:innen im vergangenen Sommer erstmal an akutem Krawallpotential verloren). Und die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im kommenden Herbst lassen nicht gerade auf eine Beruhigung der Debatte hoffen.
Auch Brosda ist "gar nicht so glücklich", dass der Beitrag in Diskussionen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk meist an erster Stelle steht. Die Frage nach den Erwartungen der Bürger an das Angebot der Öffis und eine Qualitätsdebatte seien "viel interessanter und wichtiger als die Beitragsdebatte", sagt er in der SZ.
"Wir leben in einer Zeit, in der wir uns so sehr wie seit Jahrzehnten nicht mehr fundamentale Fragen stellen: Was ist wahr? Wo informiere ich mich verlässlich? Wie entsteht ein Gespräch von Bürgerinnen und Bürgern einer demokratischen Gesellschaft zu den Fragen, die sie betreffen? Es geht beim Rundfunkauftrag um das Rückgrat der demokratischen Öffentlichkeit. Das wird manchmal leichtfertig kleingeredet. Von Bürgern und Politikern, gerne mal, nachdem sie krank waren, sich zu Hause durchgezappt und geärgert haben."
Ein ähnliches Gespräch fand gestern noch neben mir im Dortmunder Regionalexpress statt. Zwei junge Frauen im Abiturientinnen-Alter unterhielten sich über das Fernsehen: "Ey, ich guck das gar nicht. Ich mach halt Youtube und so." Dafür seien die 17 Euro im Monat ja echt teuer. "Da kannze auch Fitness für gehn."
Gerade auch solche Zielgruppen zu erreichen, das sei die "interessante Frage", meint Brosda. Und als ich nachfragte, zeigte sich gestern im Regionalexpress, die beiden jungen Frauen werden ohne ihr Wissen erreicht. Vor allem bei Youtube und Instagram mit Funk-Formaten wie "Jäger & Sammler" oder "Auf Klo".
Das wäre dann wieder ein Zeichen, dass die ÖR-Angebote bei Facebook, Youtube, Instagram & Co. nicht besonders stark gebrandet sind und das in puncto Akzeptanz nicht unbedingt hilft. Wobei die Verbreitung der beitragsfinanzierten Inhalte über soziale Medien ja nun auch wieder ein Eisen mit Erregungspotential ist. Brosda jedenfalls würden den Sendern gern sagen:
"Ihr sucht euch die Ausspielwege selbst, auf denen ihr mit euren Programmen möglichst viele erreicht. Das kann lineares Fernsehen sein oder Mediatheken, Apps oder Social Media - das ist eure Sache, weil ihr das besser könnt als wir. Hauptsache, ihr haltet die Qualitätsstandards ein und versucht, da zu sein, wo das Publikum euch findet."
Wobei wir dann wiederum auf Repeat drücken können und wieder bei der Diskussion um diese Qualitätsstandards aka. Auftrag werden. Und wer schreibt jetzt den Roman "Die unendliche Geschichte der deutschen Rundfunkpolitik"?
Datendeterminismus und weiße Ritter
Ähnlich viel Material für eine unendliche Geschichte bietet auch Facebook. Der Konzern soll laut TechCrunch unter anderem Teenager dafür bezahlt haben, ihr Smartphone "nearly limitless" durchforsten zu dürfen (auf Deutsch zu finden u.a. bei t-online). Mit der App "Research" wollte Facebook scheinbar genauestens wissen, wie Menschen zwischen 13 und 35 Jahren ihr Smartphone nutzen – für 20 Dollar im Monat. Laut dem Online-Security-Experten Will Strafach hat Facebook damit Zugriff auf
"private messages in social media apps, chats from in instant messaging apps – including photos/videos sent to others, emails, web searches, web browsing activity, and even ongoing location information by tapping into the feeds of any location tracking apps you may have installed”.
Aber keine Angst vorm Datenkrakenungeheuer, denn es naht schon der weiße Ritter, der all dem Graus ein Ende macht. Solch ein Bild möchte Apple wohl gern erzeugen, indem der Konzern die Anwendung in question nun aus seinem App-Store verbannt (siehe z.B. SpOn, Heise). Dass Datenschutz sich mittlerweile ganz hervorragend für Marketing-Moves eignet, spielt dabei wohl eine nicht unwesentliche Rolle.
Gut, es geht hier um ein transparentes Datensammeln, jedenfalls war laut t-online
"'nichts heimlich daran; der Name war buchstäblich 'Facebook Research App'', erklärte ein Sprecher. Auch sei es kein Ausspähen der Nutzer gewesen, weil sie informiert und bezahlt worden seien."
Aber dabei stellt sich auch die Frage: Sollte so etwas in Demokratien, die welche bleiben wollen, überhaupt möglich sein? Und ist eine heutige Datenentscheidungsfreiheit ein morgiger Datendeterminismus?
Für die Sozialwissenschaftlerin und Programmiererin Zeynep Tufekci jedenfalls greift Transparenz allein zu kurz. Im Interview mit der Schweizer Republik sagte sie vergangenes Jahr:
"Die Datenansammlungen durch Monopole müssen minimiert werden. Und wir brauchen endlich neue Wege für eine gesunde digitale Öffentlichkeit des 21. Jahrhunderts. Transparenz alleine hilft uns nicht weiter."
Alles andere sei naiv:
"Im Zeitalter von Machine Learning und künstlicher Intelligenz ist es töricht zu behaupten, wir wüssten, was wir da heute überhaupt unterschreiben. Wir haben doch keine Ahnung, was die heutigen Daten in Zukunft alles anrichten können! Niemand hätte vor sieben Jahren vorhersagen können, dass die getätigten Facebook-Likes von damals heute die Vorlieben, die sexuelle Orientierung und die Persönlichkeitszüge von einzelnen Personen so genau umschreiben können."
Alberne Attacke sticht sachliche Kritik
Wo Aufmerksamkeit gebündelt wird, bleiben auch Anfeindungen und Häme nicht aus. Diesen Effekt erlebte spätestens in der vergangenen Woche auch die Klima-Aktivistin Greta Thunberg (siehe z.B. Übermedien).
Für das NDR-Medienmagazin "Zapp" haben Sebastian Friedrich und Sabine Schaper mit dem Mediensoziologen Sebastian Sevignani von der Universität Jena über das Phänomen gesprochen:
"'Wenn ein Anliegen stark mit einer Person, einer Geschichte verknüpft wird, kann man, wenn man diesem Anliegen nicht wohlgesonnen ist, diesem Anliegen schaden, indem man die Person delegitimiert oder durch den Kakao zieht', sagt Sevignani. Selbiges ist in den vergangenen Wochen beim Umgang mit Greta Thunberg zu beobachten. Der Klimawandel und seine Folgen ist als Thema aus den Medien bereits wieder weitgehend verdrängt."
Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel und der Person Thunberg herrscht jedenfalls nicht vor, kritisiert Samira El Ouassil bei Übermedien:
"Beobachter wähnen Eltern und PR-Strategen hinter ihren Auftritten, die sich das publizistische Interesse an der Jugendlichen zu Nutze machen. Aber eine sinnvolle Kritik an der Instrumentalisierung gezielt eingesetzter junger Aktivisten geht in den albernen Attacken auf die Schwedin komplett unter. Denn wenn sich in die behauptete Besorgtheit um einen Teenager ein persönlicher Angriff auf eben diesen Teenager mischt, scheint die Sorge um das zu schützende Medienopfer bigott."
Stellt sich mal wieder die Frage: Wie umgehen mit solchen Empörungsmechanismen? Denn die Angriffe wurden durch die Medienberichterstattung ja auch noch zusätzlich verbreitet und übertönen umso mehr das Thema Klimawandel und jeden Versuch der sachlichen Kritik.
Altpapierkorb (RTL-Geschäftsführer, KI bei Zeitungsverlagen, DSGVO, Fatih Portakal)
+++ Jörg Graf wird Nachfolger von Frank Hoffmann und übernimmt als Geschäftsführer die Strippen bei RTL, berichtet z.B. Meedia. Und Vox bekommt einen neuen Chef: Im Sommer soll Sascha Schwingel den Job von Bernd Reichart übernehmen. Er kommt von der ARD-Tochter Degeto. Das durchbreche die bisherige RTL-Besetzungslogik, wonach Führungsposten aus der TV-Gruppe heraus besetzt werden, schreibt Joachim Huber im Tagesspiegel. Denn: "RTL braucht Erneuerung, Erweiterung. Einmal in der Fernsehpublizistik: Ironman Jenke von Wilmsdorff und Günter Wallraff undercover reichen längst nicht hin, um das gesellschaftlich wie politisch unruhige Deutschland abzubilden."
+++ Zeitungsverlage und künstliche Intelligenz: ist das noch ein Oxymoron? Nein, heißt es in einer neuen BDZV-Studie, über die u.a. der Standard berichtet.
+++ Was sagt die Bilanz nach acht Monaten DSGVO? Bei Heise steht’s geschrieben.
+++ Der türkische TV-Moderator Fatih Portakal zieht sich aus dem Geschäft zurück, berichtet der Standard: "Erst Ende Dezember hatte die türkische Rundfunkbehörde Portakals Sender Fox TV mit Strafen belegt. Grund war eine Nachrichtensendung des Moderators: Er hatte darin die Frage gestellt, ob sich wegen des politischen Drucks in der Türkei überhaupt jemand auf die Straße trauen würde, um etwa gegen steigende Gaspreise zu demonstrieren. Erdogan warf Portakal daraufhin in einer Rede vor, zum Protest aufzurufen."
+++ "Kommt das auch auf YouTube?" Den Satz höre ich bei Drehs viel häufiger von Kindern als die Frage: "Kommt das auch im Fernsehen?" Die neuen Ofcom-Studie macht das Gefühl, dass das Web das neue TV ist jetzt auch amtlich. Denn Kinder zwischen fünf und 15 Jahren verbringen den Zahlen zufolge in Großbritannien 20 Minuten mehr Zeit im Netz als vor dem TV. YouTube, Netflix und Amazon Prime Video sind – wer hätt’s gedacht – am Beliebtesten.
+++ Heute wird in Düsseldorf der Deutsche Fernsehpreis verliehen, der nicht (live) im Fernsehen übertragen wird (aber z.B. per Stream und später am Abend auf One). Ob der "Abstieg der einst großen Festivität" weiter voranschreitet? Bei t-online gibt’s schon mal einen Überblick.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Freitag.