Das Altpapier am 29. Januar 2019 Sind Leaks gut?
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Und Lecks böse? Jedenfalls werden sie immer mehr, und damit muss umgegangen werden. Die klassischen Medien sind jetzt auch beim AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes keine Gatekeeper mehr. Facebook will sich mit Whatsapp und Instagram noch enger vereinigen, und deutsche Kommentatoren kommentieren bemerkenswert schüchtern. Außerdem: die Serien-Höhepunkte der ARD 2019. Ein Altpapier von Christian Bartels.
Es gibt frische Lecks oder, flüssiger per Fremdwort formuliert: "Leaks". Zum Beispiel "Dark Side of the Kremlin": In dieser stolze 175 GB großen Datensammlung gehe es um "russische Offizielle, aber auch Journalisten, Industrielle und Vertreter der orthodoxen Kirche" sowie um die für Russlands gewaltige "Militärexporte zuständige Agentur" Rosoboronexport, referiert der Standard aus der New York Times. Ein paar Enthüllungen dürften durchaus zu erwarten sein, sobald das Material durchdrungen ist. Interessant ist ferner, dass der Leaks-Pionier Wikileaks auf diese Daten "schon 2016 ... Zugriff hatte", sie aber nicht veröffentlichte.
Indes in Singapur wurden "durch ein Datenleck die Namen und persönlichen Angaben von mehr als 14.000 HIV-infizierten Patienten", vor allem von internationalen, publik. Offenbar auf Initiative eines abgeschobenen US-Amerikaners "veröffentlicht wurden die Namen der Patienten, Kontaktdaten, das jeweilige Test-Ergebnis sowie weitere medizinische und persönliche Informationen", berichtet futurezone.at.
Vielleicht ist es Zufall, dass deutschsprachige Berichte dazu sich eher in österreichischen Medien finden. Vielleicht interessieren sich deutsche Medien auch nicht für so was – außer natürlich, deutsche Politiker und Journalisten sind betroffen. Nach dem großen Datenklau, der kürzlich deshalb weit überdurchschnittliche Beachtung in Politik und Medien erfuhr (Altpapier), hat Deutschlandfunks "@mediasres" eine aufschlussreiche Umfrage zum Thema "In Datenpakete, die plötzlich im Netz auftauchen, reinschauen oder besser liegenlassen?" angestellt.
"Tatsächlich haben sich nicht nur Boulevardjournalisten für das Datenpaket interessiert, sondern auch öffentlich-rechtliche",
fasst der DLF zusammen, als seien "Boulevard" und "öffentlich-rechtlich" grundsätzlich ein Gegensatzpaar. Bloß Oliver Schröm von correctiv.org rät: "Journalisten sollten sogar in Kauf nehmen, eine Geschichte zu verpassen, die vielleicht in den Daten steckt", sofern sie keine Hinweise auf Berichtenswertes haben. Sich mit dem Thema zu beschäftigen, lohnt jedenfalls. Richtig weg gehen auch ältere Daten ja nie, während immer mehr immer größere Datenmengen neu dazu kommen und auch Lecks immer öfter auftreten dürften.
Facebook als "Hauptschlagader der AfD"
Beim gerade größten deutschen Leak verhält es sich etwas anders. Das "Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der 'Alternative für Deutschland' (AfD) und ihren Teilorganisationen" des Verfassungsschutzes "lag unglaublich vielen Medien vor", wie Anna Biselli von netzpolitik.org ebenfalls im Gespräch mit "@mediasres" sagte. Bloß der übrigen Öffentlichkeit lag es außer den in Medien veröffentlichten Auszügen nicht vor – bis netzpolitik.org es nun veröffentlichte.
"Die Verfassungsschutz-Analyse ist ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte. Es gehört in die Öffentlichkeit und nicht in einen Panzerschrank neben dem Schredder",
erklärten Biselli, Andre Meister und Markus Reuter den Schritt. Immerhin kann sich AfD-Chef Alexander Gauland nicht mehr, wie vergangene Woche in der Maischberger-Talkshow beschweren, dass zwar "ein paar Journalisten", nicht aber er "als Beschuldigter" wüsste, "was mir vorgeworfen wird" (vgl. diese Talkshow-Besprechung). Sehr viel berichtet wird über dieses Leak nicht. Die meisten Medien wissen zwar, dass sie keine Gatekeeper mehr sind und sein können, freuen sich aber, wenn sie die Rolle vorübergehend doch noch mal einnehmen können, wie es beim ihnen zugespielten Verfassungsschutz-Bericht war.
"Dennoch droht Netzpolitik.org ein Verfahren. Es werde überlegt, Strafanzeige zu stellen, hieß es im Umfeld der Regierung. Der Tagesspiegel und weitere Medien, die aus dem Gutachten zitiert hatten, blieben unbehelligt",
berichtet der Tagesspiegel. Anno 2015 (Altpapier) war ja schon mal was gewesen zwischen dem Verfassungsschutz und dem Blog. Gibt's eine zweite Runde? Dass am besten die Behörde selbst hätte das Gutachten veröffentlichen sollen, kommentiert jedenfalls Frank Jansen im Tsp.: "Die Kriterien des Verfassungsschutzes bei der AfD-Analyse dürfen kein Geheimnis sein."
Und gerade das, was bei anderen geleakten Geheimdokumenten gegen eine Veröffentlichung spräche – mögliche Gefährdung von V-Leuten oder anderen Menschen – dürfte beim AfD-Gutachten ausgeschlossen sein. Schließlich besteht es nur aus "offen zugängliche Informationen", wie der verfassungsschutz.de ja selbst mitteilte.
Vor allem besteht es aus Material von Facebook als der "Hauptschlagader der Partei" AfD, hat netzpolitik.org herausgelesen:
"Andere soziale Medien wie Twitter oder Instagram erwähnt der Verfassungsschutz nur vereinzelt. YouTube dient dem Inlandsgeheimdienst vor allem als Quelle zu öffentlich zugänglichen Aufzeichnungen von Reden auf Parteiveranstaltungen oder Demonstrationen. Rechte Nischennetzwerke wie gab.ai spielen im Gutachten überhaupt keine Rolle. Dafür 379 Facebook-Quellen. Immer wieder Facebook".
Wie Biselli im verlinkten DLF-Interview sagt: "Auf Facebook sind eben alle Menschen".
Facebook, Whatsapp, Insta (noch verschlungenere Datenkrakenarme)
Und wie schrieb Juliane Wiedemeier in ihrem Altpapier-Jahresrückblick?
"Bei den Facebook'schen Skandalen, Anhörungen und Aktionen des Jahres verliert man leicht den Überblick." In punkto Überblick ist Mark Zuckerberg gerne behilflich. Die jeweils gewaltigen Datenkraken-Arme Whatsapp und Instagram sollen mit ihrem Eigentümer Facebook organisch zusammenwachen. "Whatsabook" ließe sich diese "Mega-Chat-Plattform" schon mal nennen, wie es der Internetauftritt der Illustrierten Stern tut.
Der entsprechende New York Times-Bericht zieht viel deutsches Medienecho nach sich. "Zuckerberg bricht die Versprechen, die er Nutzern wie Mitarbeitern von Instagram und Whatsapp gab, als er die Firmen kaufte", kommentiert Jannis Brühl im Wirtschaftsressort der SZ mit Recht. Als Facebook die Apps kaufte, hatte es den Kartellbehörden, die in Mediendingen nicht überall so harmlos sind wie hierzulande, Zusagen machen müssen. Noch nicht gebrochene Versprechen Facebooks aufzuzählen, ginge schneller. Brühl formuliert scharfe Bedenken:
"Nicht nur, dass die geschützten Verbindungen in der Hand eines Konzerns liegen werden, der dem Abfluss von Daten an die NSA oder dubiose externe App-Anbieter nichts entgegenzusetzen hatte. Der Inhalt der Nachrichten wird zwar bald gegen Angriffe von außen gesichert, doch die Metadaten - wer kommunizierte wann mit wem? - aus den bislang getrennten Systemen dürften zusammenfließen ..."
Leider kleidet er sie in viele zahme Formulierungen à la: "Es lässt sich nun nicht mehr leugnen: Hier entsteht ein Monopolist" und: "Datenschützer, Wettbewerbshüter und Zivilgesellschaft müssen genau hinschauen" – als würde das Hinschauen deutscher Datenschützer Facebook beschämen. Öffentlich-rechtlich wird genauso schüchtern formuliert. "Facebook müsse sicherstellen, dass die Plattform besonders abgesichert sei", sagte ein "aus dem Silicon Valley" zugeschalteter ARD-Korrespondent dem Deutschlandfunk, und: "Eventuell kommt das Bundeskartellamt", das gegen Facebooks Marktmacht ermittelt, "ein paar Monate zu spät". Könnte auch sein, dass es ein halbes Jahrzehnt zu spät ist, rufen wir aus dieser (auch zur ARD gehörenden) Nische.
Abschied bei RTL, Verantwortung bei der ARD
Rasch noch zwei Blicke ins meistgenutzte und einstweilen noch gesamtgesellschaftliche Leit-Medium, das lineare Fernsehen. Da geht's emotional zu. Im Privatfernsehen steht ein "emotionaler Abschied nach insgesamt 27 Jahren" an, weiß Thomas Lückerath bei dwdl.de zu berichten: RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann, dem Ende 2018 die wohl erhoffte Weiterbeförderung in der alles andere als flachen Hierarchie des Bertelsmann'schen Fernsehgeschäfts nicht zuteil wurde, verlässt den Laden. "Welche möglichen weiteren Folgen diese Personalie an der Spitze von RTL mit sich zieht, bleibt abzuwarten"
Welch "große Verantwortung für die offene Gesellschaft" das Fernsehen, besonders das öffentlich-rechtliche und ganz besonders die ARD schultern müssen, weiß kein amtierender Verantwortungsträger so eindrücklich in Worte zu kleiden wie Hoffmanns Kollege dort, ARD-Programmdirektor Volker Herres. Vergangene Woche in Hamburg stellte die ARD ihre fiktionalen Attraktionen fürs noch neue Jahr vor. Herres erinnerte "völlig zu Recht" daran, dass der Beginn des Zweiten Weltkriegs jetzt 80 Jahre zurückliege, die Weimarer Verfassung sogar 100 undsoweiter, fand ebenfalls dwdl.de. Bloß das Programm der ARD sei 2019 sogar besonders schwach:
"Wie die Sendeanstalten und ihr Haupthaus nämlich mit Biopics über Harald Juhnke oder Ottilie von Faber-Castell, mit der 18. Staffel 'Um Himmels Willen' oder Nr. 22 von 'In aller Freundschaft', mit dem krachigen Ostwest-Agententhriller 'Wendezeit' oder dem gefühligen Architektur-Melodram 'Lotte am Bauhaus' noch Menschen diesseits der Stammzuschauer 60+ erreichen will, bleibt nach der ... Pressekonferenz mehr denn je ein Rätsel",
schreibt Jan Freitag. Während all die kontinentalen bis globalen Akteure wie Sky und Netflix, an denen sich ja vieles kritisieren lässt, jedenfalls dafür zu sorgen verstehen, dass sehr regelmäßig neue Serien auf die Bildschirme kommen, sorgt die ARD als immerhin neunundzwanzigstgrößter Medienkonzern der Welt bloß dafür, dass weiterhin jede Menge neue 90-Minüter produziert werden, wie sie sonst in dem Ausmaß nur noch das ZDF herstellt. Im Bereich ambitionierterer Serien bleibt sie zufrieden damit, Juniorpartner bei "Berlin Babylon" zu sein und die nächste Staffel nächstes Jahr vorstellen zu können. Auch das ist einer der Fehler im eingespielten System, die wirklich mal beherzter korrigiert werden müssten.
Altpapierkorb (neuer Facebook-Lobbyist, Daten gegen Glasperlen, Katzen-Content, auch gedruckt, "neue Furtwängler-Studie")
+++ "Die Programmverantwortlichen reiten die Welle von Mord und Totschlag bis zur Unerträglichkeit – Hauptsache, die Quote stimmt. Dabei merken sie nicht, dass sie mit ihrer Quotenhörigkeit selbst maßgeblich zum Akzeptanzverlust der Öffentlich-Rechtlichen in immer mehr Teilen der Gesellschaft beitragen" (Handelsblatt-Medienkommissar Siebenhaar über die "brutale Dichte von Krimis" in ARD und ZDF).
+++ Facebook, das gerade wieder das Gegenteil seiner Ankündigungen von vor kurzem tut (s.o.), hat immerhin einen bestens ausgestatteten neuen Star-Lobbyisten vor allem für EU-Zusammenhänge: den ehemaligen britischen Vizepremier Nick Clegg (Süddeutsche).
+++ "Daten gegen Bequemlichkeit so wie einst Gold gegen Glasperlen", "War Ethik bislang die Basis unserer gemeinsamen Kultur und unserer Kultur der Gemeinsamkeit, so wird sie nun aufgesplittet zu einem austauschbaren Asset des Wettbewerbs": Eine kräftige Polemik von Ex-Ethik-Professor Erny Gillen und Ranga Yogeshwar gegen Facebook und die Münchener Uni, die sich von diesem bezuschussen lässt (Altpapier) steht heute auf der FAZ-Medienseite.
+++ Das global aktive US-amerikanische Portal buzzfeed.com will 15 Prozent seiner Belegschaft entlassen. Darüber berichten die Süddeutsche ( €; "Ist das die Zukunft des Journalismus? Querfinanzierung über Katzenvideos und Kochbücher?"), die auch die offenbar gar nicht betroffene deutsche Redaktion besuchte, und die taz ("Die spanische BuzzFeed-Redaktion soll ganz geschlossen werden").
+++ Die allerneueste Zeitschrift des renommierten Verlags Gruner+Jahr heißt Miau und soll "die Liebe zu Katzen mit dem Bedürfnis nach Achtsamkeit und Entschleunigung" verbinden. Da muss sich selbst werben und verkaufen, das fürs Werben und Verkaufen jede Menge Verständnis besitzt, etwas lustig machen ...
+++ Von 650 britischen Sendern, die nach einem Brexit nicht mehr lizensiert sein dürften, in die EU hinein zu senden, haben sich vierzehn um eine Lizenz bei deutschen Medienwächtern beworben, berichtet die FAZ.
+++ Das Lied vom "intensiven Abstimmungsprozess", an dessen Ende die deutschen Medienwächter just zum Start der neuen "Pastewka"-Staffel endlich herausfanden, wer genau für Schleichwerbe-Verdacht gegen die vorige Staffel zuständig ist (Altpapier), singt Ellen Nebel in epd medien.
+++ Eins der hoffentlich größeren Themen dieses Jahres dürfte die geplante Fusion der beiden größten deutschen Kabelnetzbetreiber unter dem Dach von Vodafone sein (siehe Altpapier-Jahresrückblick). Jetzt hat das Deutschlandradio die Kabelverbreitungs-Verträge für seine drei Programme in drei Bundesländern "nicht verlängert, da die Entgelte, die der Kabelnetzbetreiber" Unity Media "für die Verbreitung der Programme fordert, zu hoch seien", meldet die SZ-Medienseite.
+++ In die "neue Furtwängler-Studie" (SZ), die die "MaLisa-Stiftung" von Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth herausgab, schauten dieselbe und der Tagesspiegel. "Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien" heißt sie und ziehe das Fazit: "Es gibt keine fortschrittlichere Welt im Netz. Einzig in einem Punkt, in Sachen Diversität, sind die sozialen Medien laut Studien weiter als die klassischen".
+++ Und die Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung über "freie Mitarbeiter*innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk", die "in vielen Bereichen benachteiligt" seien, beschäftigt die taz. Vom "szenischen Einstieg" in die Vorstellung der Studie berichtet Jürn Kruse: Es fiel "auch ein Satz, der über die eigenen Medien hinausblickt: Wer von der Printkrise lese, habe das Gefühl, bei den Öffentlich-Rechtlichen auf der Insel der Glückseligen zu leben. Trotz freier Mitarbeit. Trotz womöglicher Schlechterstellung als die Festangestellten. Irgendeinem geht es immer noch schlechter als mir. Ist das tröstlich oder traurig?"
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.