Das Altpapier am 14. Dezember 2018 Bewährte Fronten
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Der Rundfunkbeitrag ist rechtens, das Leistungsschutzrecht eher nicht so: Das EuGH feierte gestern deutschen Medienthementag. Außerdem besuchte die “Tagesschau“-Redaktion Köthen, rtl.de will seine Dschungel-Insassen bald selbst vermelden, ein neues Fußballportal ähnelt FC Bayern TV und Jan Böhmermann feiert Weihnachten bei Hoppenstedts. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.
Ein Urteil reicht, und schon sind die öffentlich-rechtlichen Sender in Grüßaugust-Stimmung. Mit “Rundfunkbeitrag: ARD begrüßt Urteil des EuGH“ und “Das ZDF begrüßt die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs“ empfingen ARD und ZDF gestern die auch hier bereits erwähnte Nachricht vom Urteil zur Rechtmäßigkeit des Rundfunkbeitrags. Bei der ARD ist zudem von “eindeutige(m) Urteil“, “(k)larer hätte die Entscheidung des EuGH nicht ausfallen können“ und “nun für Klarheit gesorgt“ die Rede, beim ZDF von “Rechtssicherheit auf allen Ebenen.“
In anderen Worten: “Puh. Verschnaufpause, anyone?!“
Die ist hart verdient, denn nachdem im Sommer bereits das Bundesverfassungsgericht über die 2013 erfolgte Änderung im System Richtung Haushaltsabgabe geurteilt und diese für okay befunden hatte, hat nun auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärt, dass Deutschland diese selbständig vornehmen durfte, ohne die europäische Ebene darüber zu informieren. Zudem befand das Gericht es für rechtens, dass die Sender sich selbst ums Eintreiben nicht gezahlter Beiträge kümmern (wer auf Juristendeutsch steht, kann das auch in der Pressemeldung des EuGH nachlesen; einen Überblick über vergangene und laufende Rechtsstreitigkeiten gegen den Beitrag hat Christian Kerl im Hamburger Abendblatt). Nach der Klage mehrere Nicht-Zahlungswilliger gegen den SWR hatte das mit dem Fall befasste Landgericht Tübingen die europäische Ebene um Klärung gebeten.
Die Weitergabe dieser Informationen erfolgt vorwiegend neutral. Formulierungen wie “Für die Gegner des Rundfunkbeitrags gab's mal wieder eine juristische Schlappe“ (Uwe Mantel / DWDL) oder “Die Gegner des Rundfunkbeitrages haben am Donnerstag eine weitere Niederlage erlitten“ (Joachim Huber / Tagesspiegel) kann man noch am ehesten unter Einordnung der Entscheidung verbuchen. Wobei ich mich zunehmend frage, ob dieses bei so ziemlich jedem tagesaktuellen Thema zu beobachtende Phänomen am Hochhalten der Trennung von Bericht und Kommentar liegt, oder ob niemand mehr die Zeit hat, sich neben dem Paraphrasieren von Pressemeldungen auch eine Meinung zu bilden?
Wo dieser Luxus, früher unter “journalistisches Handwerk“ bekannt, noch herrscht, und das sogar binnenpluralistisch, ist die FAZ.
Auf deren Meinungsseiten (€) argumentiert Jasper von Altenbockum:
“Der Feldzug gegen den 'Staatsfunk' und dessen 'Zwangsabgabe' mag damit juristisch am Ende der Fahnenstange angekommen sein, politisch ist er es noch lange nicht. Unterzugehen droht dabei, was die Deutschen am öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich haben. Über Inhalte lässt sich streiten, aber sind die der Privaten so viel besser? Vor allem die AfD bläst zum Sturm auf die 'Paläste' der Rundfunkanstalten. Es geht ihr dabei nicht um Informationsfreiheit oder Vielfalt, sondern um den Sturz der 'Systempresse'. Wer da mitheult, ist blind dafür, was ihn dann erwartete.“
Als Überschrift steht da tatsächlich “Bewährter Beitrag“, was einem Michael Hanfeld niemals auf seine Medienseite käme. Er zitiert lieber Erich Honecker, der glaubte, mit Ochs, Esel und unaufhaltsamem Lauf August Bebel zu zitieren, sowie, sicher ist sicher, Schillers fest gemauerte Glocke. Und weiter:
“Erstaunlich an der Entscheidung ist nicht nur, dass sich das Gericht nicht mit dem Umstand befasst, dass alle – mehrfach – für eine Leistung zahlen müssen, ganz gleich, ob sie diese nutzen wollen oder können, sondern auch außer acht lässt, dass die Sender durch den Beitrag viel mehr Geld einnehmen als durch die Gebühr. Zuvor lagen die jährlichen Einkünfte bei bis zu 7,5 Milliarden Euro pro Jahr, heute ist es eine halbe Milliarde mehr.“
Der Frust, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ein so sicheres Erlösmodell haben, sitzt tief.
Dass auch dieses Urteil die generelle Debatte über den Auftrag der Sender nicht beendet, zeigt ein Zitat von Malu Dreyer, die bekanntermaßen nicht nur Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, sondern als solche auch Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder ist. Sie hofft,
“dass sich die öffentliche Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nun gezielt der Frage zuwendet, wie die Angebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio insgesamt zukunftssicher gestaltet werden können“. (Volker Nünning / Medienkorrespondenz)
Schließlich ist in der Gegenwart zu beobachten, dass viele zwar unabhängige Medien schätzen, dafür aber nicht unbedingt 17,50 Euro im Monat aufwenden mögen, zumal sie auch für Netflix, Spotify, DAZN, Sky, die Bild-Zeitung und das Goldene Blatt blechen müssen. Das zu ignorieren, verheißt keine sichere Zukunft, allen nun erfolgten Urteilen zum Trotz.
(Offenlegung: Das Altpapier wird Ihnen präsentiert vom MDR und damit auch Ihrem Rundfunkbeitrag. Vielen Dank!)
Deutsches Leistungsschutzrecht stolpert über Formfehler
Um direkt bei Michael Hanfeld und seinen privaten Fehden gegen Medien mit funktionierendem Erlösmodell zu bleiben (€):
“Das deutsche Leistungsschutzrecht, das Presseverlagen ermöglicht, von Online-Konzernen wie Google für die Verwendung von Nachrichtentexten Lizenzgebühren zu verlangen, wird wohl für lange Zeit auf Eis gelegt.“
Mit dieser subtilen Andeutung, was er selbst vom Leistungsschutzrecht (LSR) hält, steigt Hanfeld ein in die zweite, EuGH-verursachte Meldung des gestrigen Tages, nach der Generalanwalt Gerard Hogan dem Gericht nahelegt, das deutsche LSR für nicht rechtmäßig zu erklären. Ein Urteil dazu wird frühestens in Frühjahr erwartet; meist folgt das Gericht jedoch derartigen Empfehlungen.
Während beim Rundfunkbeitrag eine Anmeldung der Beitrags-Einzugs-Änderung auf EU-Ebene für überflüssig erklärt wurde, sei genau das beim LSR angesagt gewesen, weil es Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes haben könne, argumentiert Hogan. Passagen wie (Quelle: EuGH-Pressemeldung)
“(e)ine freie und lebendige Presse sei Teil des Lebenssaftes der Demokratie, die den Grundstein der Union und ihrer Mitgliedstaaten darstelle. Es sei einigermaßen unrealistisch, einen Journalismus von hoher Qualität und Vielfalt zu erwarten, der sich an die höchsten Standards der Medienethik und des Respekts vor der Wahrheit halte, wenn Zeitungen und andere Pressekanäle nicht über einen nachhaltigen Einkommensstrom verfügten. Es wäre töricht und naiv, nicht zu erkennen, dass das tradierte Geschäftsmodell von Zeitungen in der gesamten Union – Verkauf und Werbung – in den letzten zwanzig Jahren durch die Online-Zeitungslektüre der Konsumenten ausgehöhlt worden sei, wobei diese Praxis ihrerseits durch das Aufkommen leistungsstarker Suchmaschinen wie der von Google betriebenen erleichtert worden sei“
gehen den Verlagen sicher runter wie Öl. Doch Recht müsse Recht bleiben, und da hätten sich die deutschen Gesetzgeberhalt verrannt, so Hogan.
Was macht die VG Media als Vertreterin der Verlage und des LSR? Sie hört, was sie hören möchte (Pressemitteilung der VG Media):
“Anders als von Google bestritten, betont der Generalanwalt ausdrücklich die Bedeutung der ,freien und lebendigen Presse als Teil des Lebenssaftes der Demokratie, (…) Es wäre höchst bedauerlich, wenn ein formelles Versäumnis der Bundesregierung dazu führen würde, dass diese großen und vor allem aktuellen Anstrengungen vergeblich waren“.
Dazu Stefan Niggemeier bei Twitter:
“Lügen fürs #Leistungsschutzrecht: Anders als die VG Media behauptet, bestreitet Google gar nicht die Bedeutung der freien Presse für die Demokratie.“
Falls Sie meine Meinung interessiert: Insbesondere, da es um Journalismus und Qualität geht, täten der Debatte etwas mehr Faktentreue und zwei Kommata gut.
Ausgehend von der generalanwaltschaftschen Empfehlung lohnt es sich, drei Gedankengängen zu folgen.
1. War das Versäumnis der Info-Weitergabe an die EU-Kommission wirklich ein solches? Diese Frage wirft Mario Sixtus per Tweet auf:
“Ist es eigentlich völlig ausgeschlossen, dass Leuthäuser-Schnarrenberger, die dieses Axel-Springer-Verlag-Gesetz ja selbst nie wollte, damals durch bewusste handwerkliche Fehler im Gesetzgebungsprozess quasi eine Zeitbombe eingebaut hat?“
2. Haben sich die Verlage bei ihrem Versuch, sich über Google News eine neue Erlösquelle zu erschließen finanziell eher geschadet (Friedhelm Greis / Golem)?
“Allerdings droht den deutschen Verlagen, die das Leistungsschutzrecht mit Hilfe der VG Media und zahlreichen Gerichtsverfahren durchzusetzen versuchen, der komplette Verlust ihrer Prozess- und Anwaltskosten. Diese dürften sich bereits auf rund zehn Millionen Euro summieren.“
3. Wollte die gleiche EU, die das deutsche LSR nun für nichts rechtskonform hält, nicht selbst ein solches einführen?
“Ausgerechnet an diesem Donnerstag gehen in Straßburg die Verhandlungen über die EU-Urheberrechtsreform in die entscheidende Runde. Bizarre Pointe: Gut möglich, dass von der EU dann doch genau so ein Recht eingeführt wird wie das, das der Generalanwalt nun für nicht anwendbar hält“,
schreibt Karoline Meta Beisel dazu auf der SZ-Medienseite. Den aktuellen, aber noch nicht als Einigung zu bezeichnenden Stand hat Der Standard aus Österreich:
“Ein aktueller Kompromiss würde vorsehen, dass bei ,unwesentlicher, Verwendung kein Geld verlangt werden dürfte, jedoch wird nicht weiter spezifiziert, was das konkret bedeutet. Hyperlinks sollen ausgeschlossen werden.“
Was hingegen seit gestern und einem Urteil (das letzte für heute, versprochen) des Bundesverwaltungsgerichts feststeht, ist, dass Netzpolitik.org trotz Informationsfreiheitsgesetzes keinen Einblick in die Protokolle der Verhandlung zum deutschen LSR erhält.
“Das Kanzleramt ist der Meinung, dass Kanzlerin und Minister/innen in Zukunft nicht mehr frei diskutieren können, wenn diese interne Willensbildung zeitnah öffentlich wird. Deswegen sei es richtig, der Öffentlichkeit die Einsicht in das Protokoll zu verwehren. Richter Korbmacher stimmte dem zu“,
informiert Andre Meister. Immerhin die Teilnehmerliste der Kabinettssitzung darf die Redaktion nun einsehen. Dass damals Eckart von Klaeden, Staatsminister im Bundeskanzleramts sowie Bruder von Axel-Springer-Cheflobbyist Dietrich von Klaeden mit am Tisch saß, ist bereits bekannt.
Altpapierkorb (“Tagesschau“ goes Köthen, rtl.de als Bild-Konkurrenz, 3 Kilo KEK)
+++ “Die Tagesschau-Macher müssen immer wieder erklären, wie Journalismus funktioniert, wie Nachrichten entstehen“, das ist nur eine Erkenntnis, die Christoph Richter für @mediasres vom Besuch des “Tagesschau“-Teams in Köthen mitgebracht hat. Im “Tagesschau“-Blog berichtet Kai Gniffke himself von der Diskussionsveranstaltung und sinniert: “An diesem Abend wird immer wieder deutlich, dass die Menschen ganz großen Wert auf unabhängige Medien legen und deshalb an uns Öffentlich-Rechtliche besondere Erwartungen haben. Die Diskussion über Nachrichtenauswahl ist hilfreich für uns und zwingt uns immer wieder, die eigene Arbeit zu reflektieren.“
+++ In diesem Jahr sind die Insassen des nächsten Dschungelcamps noch von der Bild-Zeitung vermeldet worden, im nächsten könnte damit “Schluss sein, denn RTL nimmt die Show-Berichterstattung in die eigene Hand. Der Sender plant ein Nachrichtenportal durch den Komplettumbau der Webseite rtl.de“, schreibt Ulrike Simon bei Spiegel+. Noch in diesem Jahr könnte es losgehen.
+++ Datenkraken unter sich: Jede dritte auf einem Android-Handy geöffnete App sendet Daten an Facebook, genauer an dessen Analyse-Dienst, meldet das Infoportal mobilsicher.de, das vom Justizministerium finanziert und von iRights e.V. betrieben wird.
+++ Deutsche Politik aus der Sicht russischer, an Stimmungsmache interessierter Staatsmedien ist das Thema von Altpapier-Kollege René Martens in der aktuellen Ausgabe epd medien (derzeit nicht online).
+++ Was die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) zur Sicherung der Meinungsvielfalt im digitalen Zeitalter herausgefunden und auf drei Kilo Papier gedruckt hat, bespricht Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner evangelisch.de-Kolumne.
+++ Otro heißt ein neues Fußballportal, und was daran anders ist (“dass ihnen nicht wie in traditionellen Interviews unangenehme Fragen gestellt werden können, die dann von anderen Medien noch unangenehmer aus dem Kontext gerissen werden können. Die Spieler bleiben die Bosse ihres eigenen Bildes und ihrer Worte, und sie verdienen damit Geld“) beschreibt Benedikt Warmbrunn auf der SZ-Medienseite.
+++ Einen Blick auf die ARD-Pläne für die kommenden zwei Jahre wirft Joachim Huber im Tagesspiegel.
+++ Wer eine Alternative zu “Weihnachten bei den Hoppenstedts“ sucht, wird vielleicht bei “Böhmermanns perfekte Weihnachten“ fündig. Das Werk läuft heute Abend (23.15 Uhr) im ZDF und wird in der taz von Jürn Kruse als fast zu dicht für 30 Minuten qualifiziert.
Neues Altpapier erscheint am Montag, schönes Wochenende!