Das Altpapier am 12. Dezember 2018 Die Räuber und ihre Gendarmen
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#JournalismusIstKeinVerbrechen, lautet der Hashtag des Tages. Anlass: staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Oliver Schröm, den Chefredakteur von Correctiv. Zudem auf der Agenda: Erdogans geheime Folterstätten; #FreeMaxZirngast; die deutsche Medien und die sog. kurdische Frage. Ein Altpapier von René Martens.
Dass es Länder gibt, in denen Journalisten um ihre Freiheit fürchten müssen, weil sie etwas zur Aufdeckung krimineller Vorgänge beigetragen haben, ist nicht unbedingt eine Schocknachricht. Dass die Staatsanwaltschaft Hamburg deswegen gegen einen Journalisten ermittelt, fällt dagegen nicht, zumindest noch nicht, in die Kategorie "law business as usual".
Der aktuell Betroffene ist Oliver Schröm, der Chefredakteur des Recherchezentrums Correctiv, und die Ermittlungen gegen ihn sind der Grund dafür, dass seit Dienstag der Hashtag #JournalismusIstKeinVerbrechen kursiert - und zwar explizit mit inländischem Bezug (während diese oder ähnliche Parolen sonst ja eher auf internationale Missstände zielen).
"(Dem) Ermittlungsverfahren gegen Schröm (…) voraus ging ein 'Strafübernahmeersuchen' der Staatsanwaltschaft Zürich. Die Hamburger Staatsanwaltschaft übernahm den Fall von ihren Schweizer Kollegen und ermittelt nun gegen den Correctiv-Chefredakteur 'wegen des Verdachts der Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen und unbefugter Verwertung' nach Paragraph 17 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb)."
Das berichtet zum Beispiel tagesschau.de. Die Staatsanwaltschaft Zürich wiederum war von einer ultrafeinen Schweizer Bank in Marsch gesetzt worden.
Hintergrund der Ermittlungen: die Cum-Ex-Recherchen bzw. die #CumExFiles. Worum ging es noch mal dabei? Kurz gesagt um den von Correctiv, "Panorama" und Co. aufgedeckten "größten Steuerraub der Geschichte Europas" (siehe Altpapier), begangen von "Bankern, Anwälten und Superreichen". Schröm berichtet allerdings schon seit mehreren Jahren über das Thema, zuerst für den Stern.
Weil die Räuber offenbar medienrechtlich nichts unternehmen können gegen die Veröffentlichungen, spielen sie jetzt die strafrechtliche Karte. Unschöne Aussichten also für Investigativjournalisten: Wenn man etwas medienrechtlich Wasserdichtes abliefert, heißt das noch lange nicht, dass man auf der sicheren Seite ist.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg hätte das "Strafübernahmeersuchen" auch ablehnen können. Dass sie es nicht getan hat - darüber zeigt sich zum Beispiel Frank Überall, der Bundesvorsitzende des DJV, laut Tagesspiegel "entsetzt".
"Absurder geht’s nicht: @OliverSchroem hat dem Staat gezeigt, dass er bestohlen wurde und wird dafür nun vom Staat verfolgt",
twittert Schröms Redaktion.
Einen Offenen Brief, der sich an zwei sozialdemokratische Bundesminister*innen richtet, gibt es auch:
"Es ist erschreckend, dass deutsche Behörden sich von den Tätern instrumentalisieren lassen. Der Versuch, einen Journalisten und eine ganze Redaktion mundtot zu machen, ist ein Missbrauch des Strafrechts."
Eine Diskussion darüber, ob die angeschriebenen Minister*innen die richtigen Adressat*innen sind, hat Christoph Kappes bei Twitter ausgelöst.
Spiegel Online hat zu dem Fall Tobias Gostomczyk interviewt, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund. Das ist etwas rätselhaft, weil es in der Sache um Medienrecht gar nicht geht (siehe oben), und naheliegenderweise äußert sich Gostomczyk dann auch gar nicht zu medienrechtlichen Aspekten, aber hilfreich ist seine Einordnung allemal:
"Lässt jemand Medien Unterlagen als Whistleblower unaufgefordert zukommen, dann sind Medien am Rechtsbruch nicht unmittelbar beteiligt. Vielmehr bekommen sie die Firmeninterna zur redaktionellen Prüfung auf den Schreibtisch. Jetzt müssen sie - grob gesagt - das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis dieser Unterlagen einerseits mit dem Interesse des Unternehmens an Geheimhaltung anderseits abwägen. Nur wenn das öffentliche Informationsinteresse erkennbar überwiegt, dürfen Medien diese Informationen veröffentlichen. Anders sieht es dagegen aus, wenn Medien jemanden vorab zur unerlaubten Entwendung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen anstiften - beispielsweise gegen eine Gegenleistung."
Maßgeblich sei, so Gostomzyk,
"ob es sich um eine straffreie eher passive Entgegennahme oder eine strafbare eher aktive Anstiftung gehandelt hat. Häufig ist das im Nachhinein schwer für Ermittlungsbehörden festzustellen. Hierauf kommt es aber - vereinfacht gesagt - rechtlich an".
Die Hamburger Ermittlungen laufen schon seit dem Frühjahr, sie sind Schröm aber erst seit kurzem bekannt. Die Dringlichkeit, damit jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen, ergab sich wegen einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages, die dort am heutigen Mittwoch um 15 Uhr stattfindet. Beraten wird derzeit ein neues Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), das allerdings schon seeehr weit gediehen ist.
Sowohl über die Ermittlungen als auch über die bevorstehende Anhörung schreibt Arne Semsrott bei netzpolitik.org:
"Dass ein solches Ermittlungsverfahren überhaupt möglich ist, wirft ein negatives Licht auf die Gesetzeslage zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Schon jetzt kann die Staatsanwaltschaft nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gegen Journalisten ermitteln, wenn der Verdacht besteht, dass Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verraten wurden. Derzeit plant die Bundesregierung allerdings die Einführung des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, eines neuen Gesetzes, das die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen in eine noch stärkere Position bringen würde. Ermittlungsverfahren wie gegen Schröm würden mit dem vorgesehenen Entwurf noch weiter erleichtert werden."
Im Frühjahr hatte netzpolitik.org den Gesetzesentwurf bereits veröffentlicht. Nicolas Richter ordnet ihn auf der SZ-Medienseite heute folgendermaßen ein:
"Von der juristischen Logik her wird der Whistleblower behandelt wie ein Wiesn-Besucher, der einen angetrunkenen Angreifer mit einem Faustschlag auf Abstand hält: Er tut etwas grundsätzlich Illegales (Schlagen), das aber ausnahmsweise erlaubt ist (Notwehr)."
Das Problem bei "dieser Konstruktion", so Richter, sei:
"Gegen den Schlagenden kann erst einmal ermittelt, sogar Anklage erhoben werden - schließlich hat er ja jemanden verletzt. Wenn der Verdächtige das Gericht am Ende davon überzeugen kann, dass er in Notwehr handelte, wird er freigesprochen. Ähnlich könnte es Whistleblowern und Journalisten ergehen: Sie dürften am Ende oft Recht bekommen, stünden aber, bis es so weit ist, mit einem Bein vor Gericht oder im Gefängnis."
Richter bringt an dieser Stelle auch die, salopp gesagt, Geldfrage ins Spiel:
"Aus der Sicht von Sendern und Verlegern entstehen dadurch 'chilling effects', also eine abschreckende Wirkung: Informanten und Berichterstatter würden das Risiko einer strafrechtlichen Anklage oder einer Schadensersatzforderung im Zweifel meiden. Sender und Verleger verlangen deswegen, dass das Gesetz im Fall von Whistleblowern und Journalisten von vornherein nicht greift."
Um beim Finanziellen zu bleiben:
"Allein die Kosten für das nun laufende Verfahren können sich nach Schätzung des Recherchezentrums schnell auf einen fünfstelligen Eurobetrag belaufen, ein Betrag, der von einer gemeinnützigen Organisation nicht ohne Weiteres zu finanzieren ist",
schreibt der Tagesspiegel im oben verlinkten Artikel. Noch düsterer klingt, was Tobias Gostomzyk am Ende des bereits erwähnten Spiegel-Interviews sagt:
"Das Strafgesetzbuch sieht bei Anstiftung eine maximale Freiheitsstrafe von drei Jahren vor. Daneben sind zivilrechtliche Forderungen, insbesondere Schadensersatz, nicht auszuschließen - und die könnten in dem konkreten Fall von den Banken kommen und enorm hoch sein."
Ins Gespräch hat sich Correctiv am Dienstag auch mit der neuesten Mega-Recherche unter seiner Beteiligung innerhalb kürzester Zeit gebracht - bzw. "unserer zweiten großen crossborder-Geschichte in zwei Monaten" (Schröms Stellvertrerin Ruth Fend). "13 Journalisten von 9 Medien aus 8 Ländern" haben
"in einer von Correctiv koordinierten Recherche das ganze Ausmaß des vom türkischen Geheimdienst MIT entwickelten Entführungsprogramms auf. Und es gibt Hinweise auf einen zweiten, bisher unbekannten Teil der Unterdrückungsmaschinerie: geheime Folterstätten in der Türkei",
wie man ausführlich hier nachlesen kann. Wer wenig Zeit hat, kann sich mit dieser AFP/Spiegel Online-Zusammenfassung behelfen. Wer viel Zeit hat (15 Minuten): Frontal 21, eines der neun beteiligten Medien, hat am Dienstag berichtet.
Die Medien und die PKK
Für am Thema Türkei Interessierte aus ganz anderen Gründen instruktiv ist eine von Nelli Tügel für Analyse & Kritik moderierte Diskussion "über die medialen Diskurse zum deutsch-türkisch-kurdischen Verhältnis", unter anderem der Umgang mit der sog. kurdischen Frage. Rosa Burç sagt zum Beispiel:
"Journalisten beziehen ihre Informationen oft hauptsächlich über die staatlichen Nachrichtenagenturen der Türkei. Sobald es eine vermeintlich legitime Quelle ist, eine offizielle Nachrichtenagentur eines Nationalstaates, werden die übermittelten Informationen kaum hinterfragt, obwohl die Türkei eine aktive Kriegspartei ist und kein neutraler Akteur. Da liegt das Hauptproblem beim Umgang von Massenmedien mit der kurdischen Frage. Hinzu kommt, dass sie der Logik 'gute Kurden - schlechte Kurden' folgen. Im Nahen Osten sind die 'bösen Kurden' die in Rojava, die einer linken antistaatlichen Ideologie anhängen. Die 'guten Kurden' sind zwar etwas unbequem, wollen aber wenigstens einen Nationalstaat."
Einen anderen, fast schon historisch zu nennenden Aspekt, bringt Antonia von der Behrens, Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess, in die Debatte ein. Tügel fragt mit Bezug darauf, dass "bei den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds zunächst in Richtung Mafia, aber auch in Richtung PKK ermittelt" und "die NSU-Morde sofort in ein 'migrantisches Milieu' abgeschoben" wurden, nach der Verantwortung der Medien ("Gibt es da eine Verbindung zur Kriminalisierung in den 1990er Jahren?"). Von der Behrens antwortet:
"Die Opfer des NSU waren von ihrer Herkunft her vier Kurden, ein Grieche, vier Türken. In der Presse wurde vielleicht einmal erwähnt 'der eine ist Kurde', aber im Großen und Ganzen waren sie in der öffentlichen Wahrnehmung alle 'Türken' und sunnitische Muslime - obwohl eines der Opfer Alevite war. Das spielte für die Berichterstattung aber keine Rolle. Auch dass manche die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, spielte keine Rolle. Deswegen muss man unterscheiden: Bei den Ermittlungen damals gab es alle möglichen Spekulationen hinsichtlich des Motivs für die Morde - Drogen, Mafia, organisierte Kriminalität, aber es wurde auch immer wieder ein PKK-Hintergrund in Spiel gebracht, bei jeder der Taten. (…) Auch (…) als der aus Griechenland stammende Theodoros Boulgarides ermordet wurde, auch bei dem Anschlag auf ein Lebensmittelgeschäft in Köln, das von einer iranisch-stämmigen Familie betrieben wurde und sogar bei dem Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter (…) Der Reflex der Polizei ,bei jedem Mord sofort - zumindest auch - an die PKK zu denken, ist frappierend und ich glaube, daran hat auch die extrem negative Berichterstattung über die PKK in den 1990er Jahren einen großen Anteil."
"Niederknien vor Erdogan muss ein Ende haben"
Die bisherigen großen Themen/Schlagworte von heute - der Staat gegen Journalisten, #JournalismusIstKeinVerbrechen, Türkei - lassen sich auf gewisse Weise zusammenzuführen, allerdings mit einer wenig erfreulichen Nachricht: Ein schon etwas älterer Hashtag - #FreeMaxZirngast - bleibt aktuell.
Aktuell gibt es im Fall des österreichischen Journalisten Max Zirngast (siehe etwa dieses Altpapier aus dem September, Can Dündars aktuelle Zeit-Kolumne und einen kürzlich erschienenen Beitrag Zirngasts in der Washington Post) folgende Nachrichten: "Zuständiges Gericht in Ankara hat heute Anklageschrift des STA Y. Mutlu v. 29.11. abgelehnt, weil für ungenügend befunden", twittert das Zirngast-Solidaritätskomitee. steiermark.orf.at wiederum berichtet (in anderem Tonfall): "Laut Angaben seines Anwalt" werde "jetzt eine Anklageschrift vorbereitet - der Inhalt wird aber noch geheim gehalten."
Und die Wiener Zeitung zitiert die frühere österreichische Nationalrats-Abgeordnete Berivan Aslan mit Kritik an der Regierung in Wien:
"Das Niederknien vor Erdogan muss ein Ende haben."
Männer (weiß, alt)
Der heutige Aufmacher des SZ-Feuilletons hat die Überschrift "Wer hat Angst vorm weißen, alten Mann?", und möglicherweise wird die eine oder andere Altpapier-Leser*in nun mit einer Hab-ich-doch-alles-schon-gelesen-Geste abwinken. Sollte man/frau aber nicht tun. Felix Stephan schreibt:
"Seit die konservativen Gegenbegriffe 'Sprechverbot' und 'Sprachpolizei' in der Welt sind, sind es plötzlich die saturierten älteren Herren, die Freiheit, Individualismus und Selbstentfaltung fordern. Obwohl er nach wie vor sämtliche wichtigen Positionen außerhalb des Kanzleramts besetzt, inszeniert sich der alte weiße Mann als bedrohte Minderheit, als Aufrührer, als Querkopf gegen einen neuen Biedermeier, der die Redefreiheit unter einer Pyramide aus Tabus begräbt. Das Sein bestimmt ausnahmsweise nicht das Bewusstsein."
Erfreulich nicht zuletzt, dass Stephan den imho zu selten erwähnten Geschäftsmodellaspekt dieser Inszenierungen aufgreift:
"Wer hätte gedacht, dass der gemütliche Mittelstandskolumnist Harald Martenstein eines Tages noch einmal ernsthaft kontrovers sein würde? Vermutlich nicht einmal er selbst. Die neue Widerstandskultur, die auf rote Linien, Regulierung und Tabuisierung setzt, hat ihm, hat Castorf, Sloterdijk, Walser, Morrissey und vielen, vielen anderen, ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Sie müssen vor dem zweiten Frühstück nur einen frauenfeindlichen Satz fallen lassen, um tagelang die Timelines zu dominieren. Aufmerksamkeitslogisch ist es ein Geschenk des Himmels, ein ganz neues Marktsegment, die leichteste Übung von allen."
Nachruf auf Werner Dütsch
Es ist Usus, im Altpapier immer mal wieder Schilderungen aufzugreifen, die den begründeten Eindruck nahe legen, dass die öffentlich-rechtliche Welt mal eine wesentlich bessere war als jetzt. Oft sind es traurige Anlässe, und so ist es auch dieses Mal. In der vergangenen Woche ist der zuletzt für den Autorendokumentarfilm zuständige Ex-WDR-Redakteur Werner Dütsch im Alter von 79 Jahren verstorben. Dietrich Leder ruft ihm in seinem "Journal" für die Medienkorrespondenz nach:
"Der gelernte Chemiefachlaborant Dütsch wechselte (…) zum WDR nach Köln, als der Sender Fachleute für sein Kulturprogramm suchte. Die Kenntnisse der Redakteure, die unter Hans-Geert Falkenberg das Kulturprogramm beim Fernsehen des WDR aufbauten, waren enorm. Und das zählte, anders als etwa die formale Qualifikation eines Volontariats, mit dem die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt heute ihren Nachwuchs vor allem auf das Prinzip von Befehl und Gehorsam drillt."
Das erinnert an einen Text Leders zum 80. Geburtstag Fritz Pleitgens in diesem März (siehe Altpapier):
"Heute würde er, der weder Abitur besaß noch eine Berufsausbildung abgeschlossen hatte, aber durchaus als Zeitungsjournalist aufgefallen war, in dem öffentlich-rechtlichen Sender nicht mehr fest angestellt werden."
Mehr Quereinsteiger ranlassen - könnte das also ein Weg sein, wieder mehr Kreativität in den öffentlich-rechtlichen Laden zu bringen? Über Dütsch schreibt Leder weiter:
"Die Liste der Filmreihen und Sendungen, die Werner Dütsch als Redakteur betreute, ist groß und umfassend. Sie beinhaltet den populären Genrefilm ebenso wie die spezialisierten Produktionen eines filmischen Ethnografen wie Jean Rouch. Früh wurde Dütsch Partner für die Absolventen der 1966 gestarteten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), denen er im WDR eine Heimstatt gab. Sie bildeten denn auch den Grundstock der Dokumentaristen, die dann in seiner Spätphase den Ruf des WDR als Produzent des Autorendokumentarfilms prägten. Er war Redakteur bei großen Dokumentarfilmen etwa von Romuald Karmarkar, Volker Koepp oder Gerd Kroske (…) Diesen Filmemachern war Dütsch ein verlässlicher Partner. Ein Redakteur, der sich zurückhielt, der aber genau hinsah und hinhörte und manchen Filmen durch seinen klugen Ratschlag eine überraschende Wende gab."
Altpapierkorb (Johann Georg Reißmüller, Gelbwesten, Jamal Kashoggi, Christian Krug, Jaron Lanier, "Tatortreiniger")
+++ Die FAZ widmet heute ihre komplette Seite Drei dem im Alter von 86 Jahren verstorbenen früheren Herausgeber Johann Georg Reißmüller. Von 1974 bis 1999 amtierte er auf diesem Posten. "Die Unabhängigkeit des Blattes und die zu ihrer Wahrung stark befestigte Stellung ihrer Herausgeber hatten in ihm einen eisernen Wächter und Verteidiger. Geschäftsführer, die Form oder Anstand nicht achteten, gar nach der 'reporting line' fragten, konnten froh sein, wenn sie mit mittelschweren Verätzungen durch hochfeine Ironie davonkamen", schreibt Berthold Kohler, einer der heutigen Herausgeber. Um Reißmüllers Sangeskunst geht es in dem Artikel auch. Bei Booklooker hat jemand offenbar kurz nach der Todesnachricht Reißmüllers CD gekauft.
+++ Am Montagabend lief in der ARD ein "Weltspiegel Extra" zum Protest der Gelbwesten, und der Titel des Films ("Unruhen in Paris – schafft Macron die Wende?") ist zwar behämmert, der Film selbst aber angenehm unaufgeregt und nicht auf spektakuläre Randphänome konzentriert. Instruktiv: Die in Paris lebende Journalistin, Schriftstellerin und Lektorin Gila Lustiger sagt, bezugnehmend auf die Äußerung einer befreundete Journalistin (ab 8:50 ca.): "Wir Journalisten, wir arbeiten mit Wunschbildern. Wir fanden Macron fantastisch, aber nicht unbedingt das Volk. Das ist der große Irrtum in Deutschland."
+++ "That Time magazine honored him as one of the 'Guardians of Truth' for its Person of the Year issue is an amazing testament to Jamal Khashoggi’s work and mission", schreibt die Washington Post und fügt der Würdigung Kashoggis durch das Magazin (siehe auch tagesschau.de u.a.) eine eigene hinzu.
+++ "Ende Oktober verkauften sich von Nummer 43 und 44 am Kiosk nur noch 127 000 beziehungsweise 123 000 Stück. Ob man das alleine dem Chefredakteur anlasten kann? Es ist wie beim Fußball: Immer muss der Trainer gehen, nie die Vereinsführung", schreibt die SZ heute. Konkret ist hier die Rede vom Stern und Christian Krug, der sein Traineramt nun aufgeben muss. Die Vereinsführung hat ihn weggelobt auf den Posten des Chefredakteurs für "neue Geschäftsfelder" (siehe u.a. horizont.net)
+++ Ein großes FAZ-Interview mit Jaron Lanier? Ja, warum denn nicht? Das letzte ist ja nun auch schon wieder dreieinhalb Jahre her. Heute besteht jedenfalls der gesamte redaktionelle Teil der FAZ-Medienseite aus einem Gespräch mit Lanier, Axel Weidemann hat es geführt. Lanier sagt unter anderem: "Die Systeme, die Google und Facebook nutzen, manipulieren uns über die Emotionen, die am verlässlichsten ausgelöst werden können und von Algorithmen am einfachsten erkannt werden (…) Die Menschen werden leichter reizbar, paranoider, herablassender, unsicherer. Als Gründe werden je nachdem, wen man fragt, immer andere angeführt, ökonomische oder unkontrollierte Immigration. Spannend ist, dass die Länder, in denen Populisten, die von diesen Mechanismen profitieren, an Boden gewinnen, auf den ersten Blick nichts miteinander gemein haben. Brasilien hat nicht unbedingt ein Einwanderungsproblem. In Schweden ist die wirtschaftliche Ungleichheit nicht stark ausgeprägt, es geht den Leuten dort gut. Es hat nicht viel mit der Türkei und Polen gemein, wo nationalistische Tendenzen sehr stark geworden sind. Mein etwas vereinfachter Punkt ist, dass sich diese Entwicklungen überall dort vollziehen konnten, wo Facebook stark wurde."
+++ Die zweimal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Serie "Der Tatortreiniger" läuft zum Jahresende aus, weil Autorin Mizzi Meyer sie für auserzählt hält. Peter Luley (Spiegel Online) und Sybille Simon-Zülch (Stuttgarter Zeitung) vergießen ein paar Tränen - und blicken voraus auf die neuen (bzw. letzten) Folgen, die in der kommenden Woche zu sehen sein werden.
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.